Die Königin des Ostens

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Tag 35

Feuerrote Haare.
Unbamherzige Augen.
Ein versteinertes Gesicht.
Heika, die Königin des Ostens hielt Einzug in ihre Stadt.
Begleitet von einen Komitee aus Wachen.

Die Königin ließ ihren brennenden Blick über das Geschehen schweifen.
Jeder der fünf Stadtwachen schien unter ihren Augen zu schrumpfen.

In welch einer Lage sie von ihrer Königin ertappt worden waren.
Unfähig die Mauern zu beschützen.

"Eine Erklärung", sagte sie, "wäre interessant."

Sie musste nicht die Stimme erheben, um sich Gehör zu verschaffen. Ihre Wort enthielten die Spannung des Gewitters um uns herum und hallten wie Donner wieder.

Schweigen.

Keiner der Männer traute sich etwas zu sagen.

"Vor den Mauern brennt es. Die Tore sind ungeschützt. Stattdessen treiben sich meine Wachen lieber in der Stadt herum und tyranniseren meine Bürger."

"Eure Hoheit", die mutigste - oder dümmste - der Wachen meldete sich zu Wort, "mit Verlaub. Wir haben diese fünf daran gehindert in die Stadt vorzudringen, nach dem sie sich geweigert hatten, sich auszuweisen."

Ein lautes Donnergrollen ertönte.
Schien sich über die Lügen der Wache zu empören.

Die Königin warf den Mann nur einen spöttisches Lächeln zu.
Dieser zuckte vor Schreck zusammen.
Den Gefangene, den er zu Boden presste, stöhnte vor Schmerz auf, als ihm der Dolch in den Nacken gepickst wurde.

"Soweit ich sehe, sind wir schon in Kel drinnen", sagte Heika zuckersüß.

Ein letztes grausames Lächeln, dann wurde ihr Gesicht wieder zu Stein.
Ihre Macht strahlte von ihr aus, als wäre sie eine Sonne.
Hitzewellen strömten über das Pflaster und ich konnte hören, wie der Regen auf den Steinen verdampfte.
Ich drückte mich fester gegen die Mauer, froh, dass der Mann vor mir mich verdeckte.

Die Königin richtete ihre geballte Wut und Macht auf die dumme, dumme Wache.

"Wie kann es sein", schrie sie, "dass meine Wachen zu schwach sind, einfache Bürger abzuhalten in die Stadt einzudringen.
Kannst du nur gegen Kinder gewinnen? Ist ein einfacher Omega zu stark für dich?"

Verächtlich zeigte sie auf den Mann, der noch immer unter ihm lag.

"Nein Eure Hoheit, ich-"

"Ruhe! Wage es nicht deine Königin zu belügen. Du bist schwach. Du bist eine Schande für meine Stadt und mein Land. Spar dir deine leeren Worte und beweiße deinen Wert."

Die Königin des Ostens sprang von ihrem Schimmel und zog ihr Schwert.
Wie eine Todesgöttin stand sie da.
Die nassen roten Haare gegen ihren Kopf gedrückt, während Donner und Blitz sich im Hintergrund einen Krieg lieferten.

"Kämpf gegen mich. Gewinn oder stirb."

Jedes Blut wich aus dem Gesicht des Mannes.

"Eure Hoheit, ich bitte Euch-"

Gerade noch schaffte die Wache es aufzuspringen und wegzurollen, bevor das Schwert der Königin die Luft zerschnitt, wo gerade noch sein Hals gewesen war.

Der Omega auf den Boden rannte eilig weg vom Kampfpatz, blieb aber nicht weit von mir entfernt stehen. Zwar verdeckte die Wache vor mir fast meine gesamte Sicht, aber ich konnte mir denken, warum er nicht flüchtete.
Wusste, dass wenn ich freie Sicht hätte, sich die selbe Angst in meinen Augen, sich in seinen wiederspiegeln würde.

"Du sollst kämpfen, habe ich gesagt."

Zögerlich tauschte die Wache den Dolch gegen ein Schwert. Doch er griff nicht an.

Zum ersten Mal verstand ich die Lage, in der er sich befand.
Die Königin würde versuchen in zu töten, doch er durfte sie nicht verletzen.
Unfaire Regeln, die ihm einen gewaltigen Nachteil gaben.

Erneut hob die Königin ihr Schwert und stürmte auf den armen Mann zu.
Er werte ab.
Stahl traf auf Stahl.
Sie griff an. Er verteidigte.

Dann traf sie seinen Oberschenkel.
Gequält schrie er auf. Doch er kämpfte weiter.

Ich musste meine Augen schließen. Ich konnte es mir nicht mitansehen.
Wie sie ihn abschlachtete.
Ein weiterer Schrei.

War Alvae auch so?
Bestrafte er seine Untertanen und Wachen ebenfalls so brutal?

Ich hatte ihn, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, als kälter und brechneter als seine Schwester wahrgenommen.
Doch mir gegenüber war er immer warm und lieb und gütig gewesen.
Eine Fasade?

Ein weiterer Schrei.
Lauter und gequälter.

Eine unbemerkt Träne lief mir über das Gesicht. Vermischte sich mit den Regen auf meiner Haut.

Dann ertönte ein Geräusch, das mich für immer in meinen Albtäumen heimsuchen wird.
Als sie ihm den Kopf abschlug.
Sein Körper platschte laut auf den schlammigen Untergrund auf.

Ein entsetzter Schluchzer entkam mir.
Unzähligen Tränen kämpften gegen mein geschlossenes Augenlid.

Nein, nein, nein!

Das war ein Albtraum.

Ich wollte nur noch aufwachen. Das soll endlich vorbei sein.

"Schafft ihn weg."

Der Mann vor mir drückte mir als Warnung noch einmal das Schwert gegen die Rippen, bevor er die Leiche seines gefallenen Kameraden wegräumte.

Doch selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich nicht weglaufen können.
Angst saß wie Blei in meinen Knochen.

"Du, wer bist du?", fragte die Königin.

Eine unbekannte Männerstimme antwortet: "Gustav von der gewundenen Gasse Eure Hoheit."

Zufrieden mit seine Antwort, sagte sie: "Geh'"

Das laute Donnern von Schuhe auf Stein war zu hören, als der Mann eilig davon lief.

Die Königin fragte noch zweimal die Gefangenen nach den Namen. Beide Mal war sie zufrieden.

"Und du Mädchen? Wer bist du?"

Unter größter Anstrengung schaffte ich es meine Augen zu öffnen und der Königin in die Augen zu sehen.
Wie brennender Bernstein funkelten sie.

Ich wollte ihr antworten, doch dann fiel mein Blick auf den Boden neben ihr. Wo nicht der Regen, sondern etwas dunkleres das Pflaster nässte.

Nur ein Schluchzen schaffte es über meine Lippen. Meine Kehle wurde trocken. Und ich musste noch stärker den Drang bezwingen zu weinen.
Meine Beine gaben fast unter mir nach und ich lehnte mich gegen die Mauer um nicht zu fallen.

Oh Gott. Ein Mann war gerade getötet worden. Direkt vor mir. Oh Gott. Sie hat gerade einfach jemand getötet. Kaum fünf Meter von mir entfernt.
Oh Gott. Oh Gott.

"Antworte!"

Tropf.

Es regnete noch immer.
Doch ich könnte schwören, dass ich das Blut von ihren Schwert tropfen hören konnte.

Tropf.

"Antworte!"

Du musst antworten Amalia. Reiß dich zusammen. Sag etwas.

Tropf.

Ich bekam keine Luft mehr.
Ich konnte nicht atmen.

Da war nur noch Blut.
Und Blut.
Und Blut.

"Sie heißt Helga. Sie ist meine Verlobte", sagte eine vertraute Stimme.

Entsetzt riss ich meinen Kopf nach rechts.
Der Mann, der vorhin noch von der Wache auf den Boden gedrückt worden war, sah die Königin an.
Schenkte mir keinen Blick aus seinen moosgrünen Augen.

"Ich bin Lynn vom Sonnenhof. Wir sind derzeit auf der Durchreise nach Hewin, um ihren Vater zu besuchen."

Angart - Land der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt