Der Norden

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Tag 40

"Keinen Mucks, oder ich schlitz dir die Kehle auf Bursche!", knurrte der Mann.

Ich erstarrte.
Kein Laut kam über meine Lippen.
Kein Muskel bewegte sich.

Scheiße.

Ich wagte es nicht meinen Blick zu heben. Befürchtete, dass er dann erkennen würde, dass ich eine Frau war. Und das wollte ich unter allen Umständen vermeiden.

Der Mann stank so stark nach verfaulten Eiern und Fäkelien, dass mir die Tränen in die Augen stiegen.

Hoffentlich roch er über seinen eigenen Gestank nicht meinen Geruch.
Weder den menschlichen, noch den weiblichen.

"Du tust jetzt ganz genau was ich sage, dann haben wir keine Problem. Verstanden?"

Zur Unterstreichungen seiner Worte drückte er mir den Dolch noch stärker an die Kehle.

Panik stieg in mir auf.
Wo war Lynn?

Doch ich nickte nur vorsichtig, bedacht mich nicht an der Klinge zu schneiden.

"Braver Bursche", sagte der Mann, "so gefällt mir das. Und jetzt her mit dem Gold und der Kleidung."

"Was?", hauchte ich, "ich erfrieren ohne Kleidung. Das Gold kannst du haben, aber ich brauche meine Kleidung. Ansonsten schickst du mich in den Tod."

"Ich halte dir einen Dolch an die Kehle und doch denkst du, dass dein Tod mich kümmert?", verächtlich spuckte der Mann auf den Boden, "verwandle dich doch einfach in eine Wolf. Und jetzt her damit!"

"Bitte, ich habe mich noch nicht verwandelt", hastig kramte ich in meiner Hosentasche und drückte in fünf Goldstück in die Hand, "das ist alles was ich habe. Bitte."

Nicht weinen. Nicht weinen. Nicht weinen.
Komm schon Amalia. Bloß nicht weinen!

Leichter gesagt als getan. Denn Weinen schien bei mir die erste Angstreaktion zu sein.

"Kein Wolf? Dann mache ich dir einen Freundschaftspreis. So zwischen Unverwandelten. Ich krieg deine, du kriegst meine. Was meinst du, bin ich nicht gütig?", er grinst breit über seinen Scherz und zeigte dabei seine krummen, gelben Zähne.
Sein warmer Mundgeruch drang in meine Nase und mir drehte sich der Magen um.
Ein Blick auf seine Kleidung und auch ich verstand den Witz.
Der Mann trug nur eine Hose und ein Hemd, beide durchlöcher und bedeckt von Flecken, die das Leinengewebe erstarren ließen.
Flecken, die unangenehm rot und gelb waren.
Der Stoff kaum dick genug, um die dreckige Haut darunter zu verbergen.

"Nein. Bitte", flehte ich.

Wo blieb Lynn?

Ich wollte mich nicht vor diesen Mann ausziehen.
Unter keinen Umständen.

Und gerade als ich nach Lynn rufen wollte, hörte ich es.
Pferdeschreie. Hufschläge. Die lauten Stimmen von Männern.

Der Mann vor mir fluchte und drückte seine dreckige Hand gegen meinen Mund.
"Klappe halten, kapiert?"

Und dann setzte ich alles auf eine Karte.
Der Mann vor mir war bewaffnete und durchaus zum Morden bereit.
Lynn nicht.

Ich rammte mein Knie nach oben und drückte gleichzeitig die Hand mit dem Dolch weg.
Der Mann ging lautlos in die Knie und ließ auch meinen Mund los.

"HU-AHN!"

Ich schaffte drei Schritte, bevor der Mann mich am Knöchel packte und zu Boden riß.

"HU-AHN!"

Angart - Land der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt