The Job

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Evie nimmt auf einem der Stühle Platz, lehnt sich zurück und schlägt damenhaft die Beine übereinander. »Na, jetzt bin ich aber gespannt.«

Griffin wirft ihr einen gereizten Blick zu. »Es geht um meine Tochter.« Nach einer kurzen Pause ergänzt er: »Ihr Name ist Clover.« Und nach einer weiteren Pause: »Sie ist zwölf.«

»Und was ist mit Ihrer Tochter?«, will Evie wissen.

Mein Blick wandert von O'Hare zu Thomas Knight, der mit den Fingern in der Schale mit dem rohen Fleisch herumfährt und anschließend genüsslich das Blut ableckt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mich nur einschüchtern will und zu meinem Leidwesen funktioniert es. Fleisch löst bei mir immer einen starken Ekel aus. Die meisten Werkaninchen sind Vegetarier. Nicht, weil wir es müssten. Unsere menschlichen Körper sind durchaus dazu geeignet, Tierprodukte zu essen und zu verdauen, aber wir haben so etwas eine natürliche Aversion gegen Fleisch.

»Meine Tochter ist verschwunden«, erklärt der Werwolf-Alpha mit Grabesstimme.

»Ach was?« Evie wippt mit dem Fuß, der in einer knapp achthundert Pfund teuren Lederstiefelette von Prada steckt.

Mein Vater hat sein Vermögen im Bergbau gemacht, aber seit es damit steil bergab geht, investiert er ziemlich erfolgreich in erneuerbare Energien. Geldprobleme haben wir daher keine, aber ins gemachte Nest kann ich mich auch nicht setzen. Immerhin habe ich sechsundzwanzig Geschwister. Bis jetzt.

»Dem Mädchen ist doch hoffentlich nichts zugestoßen.«

Alpha und Beta wechseln Blicke.

»Das ... wissen wir nicht«, gibt Griffin schließlich – sichtlich widerstrebend – zu.

»Vielleicht ist sie einfach nur weggelaufen«, schlägt Evie vor.

Griffins Augen blitzen grünlich auf. Die Wölfe nennen dieses Phänomen Moon Glow. Dabei ist kurz ein Teil ihrer wahren Gestalt zu erahnen. Meistens passiert das in besonders emotionalen Situationen, aber ich denke, sie können es auch absichtlich erzeugen. »Das würde sie nicht tun«, knurrt er. »Nicht meine Tochter.«

Evie zieht eine gezupfte Augenbraue hoch. »Teenager sind unberechenbar.«

»Clover ist noch nie weggelaufen«, beharrt Griffin. »Sie ist ein Werwolfmädchen und entfernt sich niemals von ihrem Rudel.«

»Andernfalls könnte sie leicht in Gefahr geraten«, ergänzt Thomas Knight, schiebt die Schale mit dem rohen Fleisch beiseite und setzt sich aufrecht hin. »Als Tochter des Prime Alpha of London ist sie andauernd Bedrohungen ausgesetzt. Zum Beispiel durch abtrünnige Rogues oder Hexen, die sie wegen ihrer Organe fangen und ausschlachten wollen.« Er faltet die Hände vor sich auf dem Tisch. Viele Ringe glänzen an seinen Fingern und seine Nägel sind schwarz lackiert. »Aber auch Wölfe aus den angrenzenden Territorien stellen eine konstante Bedrohung dar.«

»Haben Sie denn schon ...« Evie zuckt mit den Schultern. »... ich weiß auch nicht ... versucht, sie aufzuspüren?«

Griffin stützt sich mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte. Eine Ader an seiner Stirn wölbt sich unheilvoll. Ich vermute, er ist kurz davor, Evie zu fressen. »Natürlich haben wir das.«

»Wir suchen bereits seit drei Tagen nach ihr«, fügt Knight hinzu. Sein Blick ist unangenehm stechend, so als würde er sich fragen, wie ich in Rotweinsauce aussähe. Die Antwort lautet: nass und nicht glücklich. »Allerdings bislang ohne Erfolg.«

»Also ...«, seufzt Evie. »... wenn Ihre Wölfe mit ihren überlegenen Nasen das Mädchen nicht aufspüren können, dann sollten Sie sich vielleicht mit dem Gedanken anfreunden, dass sie weg ist.«

Mir ist sofort klar, dass meine Stiefmutter damit zu weit gegangen ist.

Griffin holt aus und schlägt mit der Faust so fest auf den Konferenztisch, dass die Tischplatte eine deutlich sichtbare Delle bekommt. Seine Augen blitzen erneut drohend auf und ich muss mit Gewalt meinen angeborenen Fluchtinstinkt unterdrücken. »Ich bin mir bewusst, dass es für Werkaninchen, die sich einen Scheiß um ihren Nachwuchs scheren, schwer zu verstehen sein mag, aber ich habe nicht vor, meine Tochter so einfach aufzugeben. Wir werden sie finden, koste es, was es wolle, und wenn ihr tatsächlich etwas zugestoßen sein sollte, dann wird der oder die Verantwortliche den Preis dafür bezahlen.« Er senkt seine Stimme zu einem gefährlichen Knurren. »Habe ich mich da klar ausgedrückt, Mrs. Boone?«

Evie weicht seiner Frage aus. »Und was hat das alles mit uns zu tun?«

Es ist Knight, der auf diese Frage antwortet. »Unsere Wölfe haben ganz London durchkämmt. Es gibt nur einen Ort, an dem sie noch nicht gesucht haben.« Sein durchdringender Blick wandert zwischen Evie und mir hin und her, als würde er erwarten, dass wir von selbst darauf kommen, aber zumindest ich habe keine Ahnung, wovon er redet.

»The Forgotten Metropolis«, sagt O'Hare leise. Seine Stimme übertönt kaum das dumpfe Geräusch, mit dem die Tropfen gegen die Fensterscheiben trommeln.

Die vergessene Metropole?

Bei mir klingelt da gar nichts, aber Evie scheint zu wissen, wovon er spricht. Sie wird merklich blasser um die Nase. »Das ist doch nicht Ihr Ernst!«

Meine Neugier ist geweckt. »Was ist das für ein Ort?«, will ich wissen.

O'Hare, der die Unterhaltung bis dahin regungslos verfolgt hat, verschränkt die Hände auf dem Rücken. »Ein System aus alten Tunneln unter London.«

»Aber jeder kennt doch den Londoner Untergrund«, erwidere ich. »Die Verkehrsbetriebe bieten sogar Führungen durch die Tunnel an.«

»Wir reden nicht von ein paar verlassenen U-Bahn-Tunneln«, kontert Evie.

O'Hare nickt zustimmend. »Wir reden von der ersten Stadt, die eure Vorfahren auf Londoner Grund errichtet haben. Ein unterirdisches und inzwischen weitgehend in Vergessenheit geratenes Labyrinth.«

»The Grand City of Rabbiton«, murmelt Evie, beinahe ehrfürchtig.

»Die Zugänge liegen versteckt«, fährt O'Hare fort. »Und sie sind zu schmal für Menschen oder Wölfe.«

»Clover ist klein für ihr Alter«, sagt Griffin tonlos und streicht mit einer Hand über seinen dichten Bart. Seine Augen sind glasig und scheinen in weite Ferne zu sehen. »Sie könnte einen der geheimen Eingänge gefunden haben.«

»Deshalb wollen Sie unsere Hilfe«, haucht Evie. »Wir sollen für Sie in den alten Tunneln nach Ihrer Tochter suchen.«

»Nein.« Knight schüttelt den Kopf. »Das Suchen wird er für uns erledigen.« Bei diesen Worten deutet er über seine Schulter auf O'Hare. »Von Ihnen benötigen wir lediglich Informationen.«

»Informationen?«

»Alles, was Sie über die alten Tunnel wissen«, grollt Griffin ungeduldig. »Wir brauchen Karten und Pläne, Berichte aus der Entstehungszeit, mögliche Zugangspunkte ...«

»Haben wir sowas?«, frage ich Evie.

Meine Stiefmutter scheint sich zu winden. »Das muss ich mit meinem Mann besprechen.«

»Offenbar habe ich mich doch nicht klar ausgedrückt«, sagt Griffin, umrundet den Tisch und spaziert langsam auf uns zu. Die Anzugjacke spannt deutlich an seinen Schultern. »Das war keine höfliche Bitte.« Er beugt sich über Evie, die beide Hände um die Armstützen krallt und ihm trotzig ins Gesicht sieht. »Sollten Sie sich weigern, bei der Suche nach meiner Tochter zu helfen, werde ich Ihrer Gesundheit einen Gefallen tun und die Londoner Kaninchenpopulation drastisch reduzieren.« Seine Lippen nähern sich Evies Ohr, doch sein Blick wandert zu mir. Der Moon Glow verleiht seinen Augen eine bedrohliche Intensität, bei der mir unwillkürlich ein Schauer über den Rücken läuft. »Haben Sie mich jetzt verstanden?«

Dante & Nick: Down The Rabbit HoleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt