The Zoo

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Die Wölfe erwarten uns im Tiger Territory. Es wirkt fast so, als ob sie den ganzen Zoo gemietet hätten. Keine Ahnung, ob das überhaupt möglich ist. Jedenfalls begegnen uns keine anderen Besucher. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen folge ich Dante durch das imposante Holztor am Eingang des Raubkatzen-Areals. Vom spitz zulaufenden Giebelfeld sieht ein stilisierter Tigerkopf mit glühenden Augen auf uns herab.

Ob es auch Wertiger gibt? Höchstwahrscheinlich. Irgendwo in Indien oder Afrika.

Die sandigen Wege führen uns vorbei an den Gehegen der Raubtiere, die mit hohen Zäunen, Netzen, Gräben und Glaswänden von den Besucherbereichen abgetrennt sind. Hier und da wachsen Palmen, Bambus und andere exotische Pflanzen, die vor dem grauen Londoner Himmel fremdartig und trostlos aussehen. Auch die Gehege der Tiere wirken bedrückend eng und karg, obwohl die Zoomitarbeiter sich sichtlich Mühe gegeben haben, das Gelände mit Kletterbäumen, Schlammtümpeln, Felsen und buntem Spielzeug, das derzeit unbenutzt im Gras herumliegt oder lustlos von den drapierten Holzgerüsten herunterbaumelt, aufzupeppen. Doch ich kann mir nicht helfen ... das Ganze erinnert mich an einen großen Rattenkäfig. Alles ist künstlich, planvoll und irgendwie gewollt; ganz sicher kein Vergleich zur freien Natur, in der die Raubkatzen nach Belieben umherstreifen und ihr Territorium durchwandern können.

Nach einer Weile erreichen Dante und ich einen hölzernen Unterstand, der eine gute Aussicht auf ein scheinbar verlassenes Tigergehege bietet. Von dieser leicht erhöhten Position aus beobachtet Thomas Knight, wie einige seiner wölfischen Handlanger das knöchelhohe Gras am Ufer eines flachen Tümpels durchkämmen, als wären sie auf der Suche nach etwas.

Der Himmel hat sich zugezogen und der Wind, der vom leicht modrigen Geruch der Themse erfüllt ist, zerrt an seinen dunklen Haaren und am Saum seines doppelreihigen Mantel.

»Wo ist Evie?«, platze ich heraus.

Knight deutet mit einem kurzen Kopfnicken hinter sich. Dort warten einige Wölfe in Menschengestalt. Sie umringen einen wackeligen Klapptisch, auf dem mehrere Bögen Papier und ein paar alte Bücher gestapelt sind.

Evie kann ich nicht entdecken.

Meine Beklemmung verwandelt sich in Empörung. Bevor ich mich jedoch beschweren und dem Beta des Griffin-Rudels Wortbruch vorwerfen kann, berührt Dante mich an der Schulter und zeigt mit dem Finger auf einen der Wölfe, der eine Transportbox für Kleintiere bei sich trägt.

Ohne Knight um Erlaubnis zu bitten, gehe ich zu dem Mann. Das Podest knarrt unter meinen Schuhen, auch wenn ich das Gefühl habe, kaum den Boden zu berühren.

Der Wolf mit der Box mustert mich abschätzend. Er ist kleiner als ich und ziemlich gedrungen. Mit seinen fast schon komisch breiten Schultern, dem dichten Backenbart und der Kartoffelnase erinnert er mich an einen generischen Disney-Charakter. Nach Lachen ist mir trotzdem nicht zumute. Vermutlich könnte er mich in Fetzen reißen, ehe ich auch nur den Mund öffnen kann, aber das hindert mich nicht daran, ihm die Transportbox zu entwinden.

Zu meiner Überraschung lässt der Wolf mich gewähren.

Ich hebe die Box auf Augenhöhe und vergewissere mich, dass das Kaninchen darin tatsächlich Evie ist. Ihr hübsches, zimtbraunes Fell ist zum Glück unverwechselbar. Genau wie ihr böser Blick.

»Alles wird gut«, versichere ich ihr leise.

Ein dumpfes Fauchen scheint mir widersprechen zu wollen. Es stammt jedoch weder von Evie noch von den Wölfen, sondern von einem Tiger, der weiter hinten im Gehege im hohen Gras kauert. Ich bin nun wirklich kein Experte, was Großkatzen angeht, aber er wirkt nicht begeistert von den Eindringlingen in seinem Revier. Die Wölfe schenken ihm jedoch kaum Beachtung und setzen ihre Suche ungerührt fort.

Dante & Nick: Down The Rabbit HoleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt