The Witch

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Nach unserem Frühstück schlendern O'Hare und ich erneut nach Soho. Dabei reden wir über Italien, mein Studium und das Leben als Wer-Geschöpf. Wir sind beide froh, keine Wölfe zu sein, die häufig gegen ihre Raubtierinstinkte ankämpfen müssen, auch wenn es echt nervig sein kann, als Werkaninchen in der Großstadt zu leben. Wir reden über ungewollte Verwandlungen, über den Drang zum Rennen, über Fluchtinstinkte und den ständigen Fortpflanzungsdruck. O'Hare berichtet mir von seinen Reisen und davon, wie er in Italien im Meer geschwommen ist. Das beeindruckt mich. Ich bin kein besonders versierter Schwimmer und habe schon im Kinderbecken große Mühe, mich über Wasser zu halten.

Als wir schließlich in Chinatown ankommen, bin ich fast ein wenig enttäuscht darüber, dass wir uns jetzt wieder der Suche nach Clover widmen müssen. Ich lasse mir jedoch nichts anmerken und folge O'Hare zum Boudoir der Hexe. Auf Höhe eines kleinen chinesischen Supermarktes hält er jedoch ganz plötzlich inne und rümpft die Nase. Ich sehe mich um, kann aber bis auf ein paar Touristen und einen französischen Reisebus nichts Auffälliges entdecken. »Was ist?«

O'Hare zieht eine Grimasse. »Wölfe ...«

»Was ist mit ihnen?«

»Sie verfolgen uns schon den ganzen Morgen.«

»Wirklich?« Erneut sehe ich mich um und wieder kann ich nichts Ungewöhnliches feststellen. »Woher weißt du das?«

»Ich kann sie riechen.«

Ich atme konzentriert ein und versuche, einzelne Gerüche herauszufiltern. Mehr als den Duft gedämpfter Hefeklöße, frittierter Teigtaschen und den typischen Gestank der Großstadt kann ich jedoch nicht wahrnehmen.

»Bist du sicher, dass mit deiner Nase alles in Ordnung ist?«

O'Hare verdreht die Augen und kramt eine Karotte aus seiner Anzugtasche hervor. »Karnickel ... eure Nasen wären mindestens so gut wie die eines Wolfes, wenn ihr sie trainieren würdet.«

»Meinst du?«

»Ganz sicher.«

»Und was machen wir wegen der Wölfe?«

»Nichts«, erwidert O'Hare, leise mümmelnd. »Knight behält uns im Auge. Ich wünschte nur, er würde dabei etwas subtiler vorgehen.«

Ich wünschte mir, die Wölfe würden uns in Ruhe lassen. Jetzt, da ich weiß, dass wir von Raubtieren belauert werden, fühle ich mich wie auf dem Präsentierteller. Mein Fluchtinstinkt lässt mir den Schweiß ausbrechen und mein Herz schneller schlagen. Ich muss das Verlangen, augenblicklich umzudrehen und heimzulaufen, mit Gewalt niederkämpfen. Mit kurzen, staksigen Schritten folge ich O'Hare zum Laden der Hexe. Heute scheint ihr Geschäft geöffnet zu haben. Eine Klingel über der Tür bimmelt, als wir Serafina's Boudoir betreten.

Hexen sind bei den meisten Kaninchen nicht sonderlich beliebt. Ich hatte zum Glück noch nie persönlich mit ihnen zu tun. Eigentlich weiß ich nur, dass die weiblichen Kaninchen manchmal zu ihnen gehen, um ... Frauendinge zu regeln.

Von Jessica habe ich jedoch aufschnappen können, dass Hexerei eine sehr komplizierte Disziplin ist, die viel mit Naturwissenschaften wie Chemie oder Physik gemeinsam hat. Im Grunde geht es beim Zaubern wohl darum, dass jedes Lebewesen und jedes Objekt auf unserer schönen Erde ein bestimmtes magisches Potential besitzt, das beim Tod des Wesens oder der Zerstörung des Objekts freigesetzt wird. Dieses Potential kann von talentierten Hexen gebunden und mithilfe einer Formel oder eines Zeichens zu einem bestimmten Zauber realisiert werden.

Unabhängig davon, ob das stimmt oder nicht, scheint die Hexe Serafina in ihrem Boudoir den Eindruck, dass Zauberei etwas mit Naturwissenschaften zu tun haben könnte, tunlichst vermeiden zu wollen. Der ganze Raum ist mit hübsch drapierten Vorhängen und schweren Orientteppichen ausgekleidet. Dicke Stoffbahnen aus violetter Seide und dunkelrotem Damast verhängen die Fenster und überall brennen Kerzen.

Dante & Nick: Down The Rabbit HoleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt