Ein notwendiger Zwischenstopp

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Unbarmherzig brennt die heiße Wüstensonne herunter. Aurora döst noch leicht vor sich her. Dennoch fühlt sie sich eigenartig wohl und öffnet schließlich die Augen, wo sie auch sofort den Grund für ihr Wohlsein vorfindet. Reiner hat sich schon vor einer ganzen Weile wieder in Bewegung gesetzt. In seiner Hand hält er einen Teil von seinem Panzer. Er fungiert wie eine Schale und ist mit Wasser gefüllt. Seine kleine Freundin liegt bequem in dem kühlen und improvisierten Planschbecken. Ihr gebrochenes Bein kann sie dabei problemlos ausstrecken und sie setzt sich nun auf. Sie lässt ihre Finger einmal zart über die Wasseroberfläche gleiten, weshalb sie ihn einmal beeindruckt ansieht. „Eines muss ich dir ja wirklich lassen. An Kreativität mangelt es dir wirklich nicht." Sie klopft einmal gegen den Panzer. „Ganz schön hart, dieses Ding. Aber von welcher Körperstelle hast du es nur abgeworfen?" Sie lauscht seinen bebenden Schritten und mustert ihn einmal von oben bis unten. Doch das gilt nur für die Vorderseite. Aurora schaut sich nun die Größe und die Form von ihrem Badebecken an und schon steigt ihr die Röte ins Gesicht. „Oh mein Gott, Reiner. Ich sitze im Panzer von deinem Hintern." Sofort reißt der Gepanzerte sein Maul laut brüllend auf. Ein kleines Zeichen dafür, dass sie recht hat. Sie sitzt im Panzer von seiner rechten Pobacke. Eigentlich kann ihr das egal sein, ist es aber nicht. Alleine die Vorstellung, dass er da hinten nackig ist, lässt ihr Herz schneller schlagen. Hoffentlich setzt er sich nicht versehentlich in einen Kaktus, denn das wird ohne Panzer ordentlich wehtun. „Ach, was solls. Ist ja nicht so, dass ich dich noch nie nackig gesehen hab." Eigentlich gefällt ihr der Gedanke ganz gut, seinen knackigen Popo mal ohne Bedeckung zu sehen. Sofort dreht sie den Kopf weg, damit er ihre roten Wangen nicht sehen kann.

Allerdings ist Reiner nicht dumm. Er röchelt nur einmal metallisch und grinst verschmitzt vor sich her. Langsam geht die Sonne unter. Aurora besteht darauf, dass er sich hinsetzt und ausruht. Der Gepanzerte ist zwar nicht gerade der schnellste, doch dafür ist er ein sehr ausdauernder Läufer. Sie sitzt ihm gegenüber im Sand und isst gerade etwas. „Hier, du musst bei Kräften bleiben. Keine Widerrede, ein Nein akzeptiere ich nicht." Reiner stöhnt einmal und lässt sich von ihr füttern. Jetzt wo sie weiß, dass er sehr wohl Nährstoffe braucht, ist sie noch versessener darauf, dass er immer mit ihr isst. Gesättigt lässt sie sich dann müde auf den Rücken fallen. „Hoffentlich kommen wir bald aus dieser Wüste raus. Wenn sich diese Reise nicht lohnt, dann werde ich echt sauer." Sie gähnt einmal. „Irgendwie bin ich müde." Und durch ihre nassen Kleider fängt sie an langsam ein bisschen zu frieren. Immerhin kann es nachts in der Wüste echt kalt werden. Aurora quengelt einmal auf. „Reiner, ich will kuscheln." Er legt den Kopf schief und überlegt. Dann hält er ihr seinen Zeigefinger hin. Sofort umschlingt sie ihn mit beiden Armen und ihrem gesunden Bein und knuddelt sich an das warme Fleisch heran. Kaum hat sie einen festen Halt gefunden, hebt er seinen Finger vorsichtig an um zu sehen, was passiert. Sie hält sich wie ein kleines Klammeräffchen fest, sodass er seine Hand umdrehen kann und sie dann loslässt und in seine Handfläche rutscht. „Es war übrigens eine sehr gute Idee von dir, von einem der Palmen einen kleinen Ast abzureißen und gegen die Bratpfanne zu ersetzen. So fühlt es sich echt besser an." Seine kleine Freundin breitet sich in seiner Handfläche aus und streckt alle vier von sich. „Wer hätte gedacht, dass du in Wahrheit ein Mensch bist. Was für eine verrückte Welt." Daher muss sie einmal heiser auflachen. „Ich habe eine Idee, Reiner. Wenn du da wieder raus willst, dann deute einfach auf deinen Nacken, okay? Dann weiß ich bescheid. Du scheinst deinen Nackenpanzer wegen der komischen Spritze zwar nicht mehr abwerfen zu können, aber ich finde schon einen Weg, um dich da rauszuholen." Er nickt einmal. Das ist ab sofort ihr neues Geheimzeichen.

Doch nun fallen ihr regelrecht die Augen zu. „...Wie wäre es denn mit einem Gutenachtkuss?" Der Panzertitan reißt einmal kurz überrascht die Augen auf, dann hebt er die Hand und kommt ihrem Gesicht gefährlich nahe. Aurora setzt sich kurz auf und haucht ihm ein paar zarte Küsse auf seinen Kiefer, bevor sie sich an ihn anlehnt. Er öffnet sein riesiges Maul und sie streichelt ihm über seine ebenso riesigen Kauwerkzeuge. Sehr langsam, schließt er seinen Kiefer, bis ihre Hand genau zwischen den zwei Zahnreihen liegt. Er könnte ihr mit absoluter Leichtigkeit ihre Hand abbeißen. Doch er tut es nicht. Sie spürt zwischen seinen Zähnen einen hauchfeinen Druck aufkommen. Alleine das zeigt, welch Feingefühl er doch entwickelt hat und welch großes Vertrauen sie Reiner schenkt. Vorsichtig zieht sie ihre Hand zurück und streichelt ihm nochmal über das Gesicht. „Schlaf gut, mein kleiner, großer Freund." Dann rollt sie sich in seiner Handfläche zusammen und findet schon bald ins Land der Träume. Sorgfältig begutachtet der Gepanzerte sie. Er fällt in eine gekrümmte Haltung zurück und der helle Glanz in seinen Augen verschwindet. Er fühlt sich an diesem Ort sicher, weshalb er sich selbst ein bisschen Schlaf gönnt. Wobei es nur sein innerer Mensch ist, der schläft. Bei dem Titan selbst hat man den Anschein, dass er Aurora unaufhörlich anstarrt. Das helle Licht der aufgehenden Sonne blendet sie. Träge, öffnet sie die Augen und blinzelt die belanglose Müdigkeit weg. Sie sitzt im Sand und ist allein. „Reiner? Wo bist du?" Aurora blickt sich um, doch er ist nicht mehr da, Selbst ihr Rucksack ist mit ihm verschwunden und langsam macht sich Panik in ihr breit. „Hey, wo steckst du denn nur?" Doch er gibt keine Antwort. Der Panzertitan hat im Sand sichtbare spuren hinterlassen. Sie führen in die Richtung, aus der sie gekommen sind. Und dann wird ihr endlich alles klar. Ihr rutscht das Herz in die Hose, während sie sich schreiend an den Kopf fasst. „Nein...nein...das kannst du mir doch nicht antun." Er hat sie im Stich gelassen. Reiner hat sich übernacht einfach davon gemacht und ihrem Schicksal überlassen. Sie weint, schreit und hämmert immer wieder auf den Sandboden ein.

Und dann schießt sie plötzlich verstört und mit rasenden Herzen nach oben. Der feuchte Angstschweiß klebt ihr an der Stirn und mit purer Erleichterung schaut sie ihn an. „Ein Alptraum...", nuschelt sie leise. In letzter Zeit hat sie vermehrt solch schlimmen Träume. Aurora selbst hat es nicht bemerkt, doch sie hat schleichend große Verlustängste entwickelt. Hell funkeln die Sterne am Himmel und sie fröstelt es ein bisschen. „Reiner, schläfst du?" Keine Reaktion. Er hat seine Haltung kein bisschen verändert. Sie hebt nun ihren Zeigefinger und fährt damit instinktiv vor seinem Gesicht herum. Dabei folgen seine matten Augen ihrem Finger unbewusst. Das entspannt sie doch ungemein, da er noch immer bei Bewusstsein ist. „Mir ist kalt, kannst du mich bitte wärmen?" Sie kommt nicht an ihren Rucksack heran und beinahe wie von selbst, schließen sich seine Finger, ohne sie dabei zu zerquetschen. Irgendwie fühlt sie sich wohl, in solch einer engen Behausung. „...Danke, dass ist viel besser." Sie umfasst einen seiner riesigen Finger und versucht in dieser Position wieder einzuschlafen. Aurora weht ein warmer Wind um die Ohren. Dann hört er kurzzeitig auf und kommt dann wieder. Müde blinzelt sie einmal und bemerkt schleierhaft einen Schatten über sich. Reiner hat sich über sie gebeugt und sie schreit einmal erschrocken auf, da sein Gesicht nur einen halben Meter von ihr entfernt ist. „Reiner! Jage mir doch nicht solch einen Schrecken ein. Das hat richtig wehgetan." Sie hat das Gefühl, dass sie einen halben Herzinfarkt erlitten hat. Ihr wird nun erst einmal bewusst, dass es sein warmer Atem ist, den sie gespürt hat. Aurora ist vorher noch nie wirklich aufgefallen, dass er atmet. Da fragt sie sich wirklich, wie er denn da durch den Unterwassertunnel gekommen ist. Doch wenn sie genau darüber nachdenkt, dann sind seine Lungen bestimmt tausendmal größer als ihre. Plötzlich reißt der Gepanzerte sein Maul weit auf und muss einfach laut und belustigt lachen. Und zwar so sehr, dass ihm der Speichel herausläuft. Seine kleine Freundin kann nicht anders und bricht ebenfalls in schallendes Gelächter aus. „Reiner, du sabberst", lacht sie grunzend.

Nachdem sich beide ausgelacht haben, stellt er Aurora ihren Rucksack auf seine Hand, damit sie erst einmal etwas essen kann. Dabei geht ihr dieser schreckliche Alptraum nicht aus dem Kopf, weshalb sie sich dafür entscheidet, ihm davon zu erzählen. Akkurat runzelt er den oberen, ungepanzerten Teil seiner Stirn und sieht sie dabei verzweifelt an. Sie hat bei ihrer Erzählung sogar ein bisschen geweint und nun beobachtet sie, wie er seine Zunge bewegt und angestrengt versucht, etwas zu sagen. Doch wegen seiner mickrigen und unterentwickelten Sprechorgane kommt kein gescheiter Ton dabei heraus. Er will ihr etwas mitteilen und diese äußerst rührende Geste, bringt ihr Strahlen wieder zurück. „Ich weiß was du mir sagen willst." Sie streckt die Arme nach ihm aus und sofort kleben die beiden wieder aneinander, wie Kleister an einer Tapete. Drei weitere Tage sind vergangen. Das dynamische Duo irrt jetzt schon fast eine ganze Woche in der Wüste umher. Das erfrischende Badewasser ist inzwischen komplett verdampft und Aurora's ganzer Wasservorrat ist ebenfalls verbraucht. Sie liegt erschöpft in der Hand des Gepanzerten und hyperventiliert ein bisschen. Sie braucht dringend etwas zu trinken, sonst wird sie den nächsten Tag nicht überleben. Als ob die Situation nicht schon schlimm genug ist, schmerzt ihr gebrochenes Bein furchtbar. Reiner steht die Hilflosigkeit ins Gesicht geschrieben. Seine hellen, leuchtenden Augen suchen nach einer möglichen Wasserquelle. Zwar versorgt sein riesiger Titanenkörper ihn noch mit ausreichend Flüssigkeit, doch er kann es nicht mit seiner kleinen Freundin teilen. Doch das Schicksal meint es gut mit ihm. Er strengt sich gerade an eine kleine Düne nach oben zu kommen, als ihn dann seine stachelige Rettung anlacht. Dort steht ein schöner, grüner Kaktus, der sogleich dran glauben muss. Ihr großer Freund packt die hübsche Wüstenpflanze mit verhärteter Faust und reißt sie in zwei Stücke.

Sofort drückt er zu und quetscht das lebensrettende Kaktuswasser aus ihm heraus, das Aurora sofort gierig in sich hineinschlingt. Zwar bekommt er nicht besonders viel aus dem kleinen Stachelmonster heraus, doch wenig ist besser wie gar nichts. Aurora hustet einmal und lässt sich erschöpft zur Seite fallen. „...Danke...", murmelt sie schwach. Für den Moment geht es ihr besser. Doch sie ist zu schwach um noch länger die Augen offen zu halten. Langsam lässt die Hitze der Sonne wieder nach, was bedeutet, dass sich die Nacht nähert. Und ganz gegen ihre Anordnung, widersetzt sich Reiner ihren Regeln und marschiert stundenlang weiter, während sie schläft. Sie erwacht blinzelnd, als die sanften Sonnenstrahlen sie an der Nase kitzeln. Seine kleine Freundin macht einen verwirrten Eindruck, als sie endlich die Augen öffnet. Die hohen Temperaturen haben nachgelassen und sie kann das leise Flüstern von Bäumen hören. Reiner bewegt sich nicht mehr. Er ist die ganze Nacht lang durchgelaufen und hat tatsächlich die Wüste verlassen können. Die vertrocknete Straße hat ihn dann noch ein ganzes Stück weitergetrieben und nun ruht er sich im Schatten eines Baumes aus. Aurora schnellt nach oben. Sie pumpt ihre Lungen mit frischer Luft voll und kann nicht glauben, was sie da sieht. „Reiner, du..." Sie ist absolut sprachlos und kann nicht glauben, dass sie diese schreckliche Einöde endlich hinter sich gelassen hat. Am liebsten hätte sie angefangen zu weinen. Plötzlich hebt der Gepanzerte seine andere Hand und zeigt ihr das weiße, herzförmige Obst darin. Aurora macht riesengroße Augen und kann ihre Freudentränen nicht länger zurückhalten. „Milchfrüchte! Wo hast du die denn her?" Er zeigt nach oben. Die beiden sitzen unter einem ziemlich alten Milchfruchtbaum, der voller köstlicher, saftiger Früchte hängt. Daher zögert sie auch keine Sekunde länger, sondern schlägt sich den Bauch mit diesen äußerst seltenen Beeren voll.

Sie ist danach einfach nur glücklich, hält sich den gefüllten Bauch und lächelt ihn zufrieden an. „Du hast mir in den letzten Tagen wirklich mehr als nur einmal das Hinterteil gerettet. So langsam wird mir das peinlich." Sie streckt sich einmal kräftig, räkelt sich richtig in seiner Handfläche und gähnt einmal ausgelassen. „Du bist eben doch der beste Freund, den man haben kann. Ich denke, ich sollte dir eine Belohnung geben." Sie setzt sich nun wieder auf und stützt sich mit den Händen ab. „Also? Was willst du haben? Egal was es ist, sag es mir und du bekommst es." Reiner schaut sie irritiert an. Er überlegt gerade, ob sie sich vielleicht anderweitig den Kopf gestoßen hat, doch sie scheint das durchaus ernst zu meinen. Also rattern seine Gehirnzellen gerade auf Hochtouren. Wenn er sich tatsächlich etwas wünschen darf, dann wird der Panzertitan das auch schamlos ausnutzen. Er verhärtet seinen Zeigefinger und ritzt mit der entstandenen Klaue seinen Wunsch in den Boden, den er als versprochene Belohnung einfordern will. Aurora dreht sich um und schaut nach unten. Als sie sieht, was er da eigentlich geschrieben hat, wird sie leichenblass. Sofort schnellt sie wieder zurück und starrt ihn entsetzt an. „R...Reiner...d...das kann doch u...unmöglich dein E...Ernst sein", stottert sie aufgebracht. Sie schaut ihn mit aufgerissenen Glubschaugen an. „Das ist doch sicher nur einer deiner Scherze, oder? Ich weiß genau, dass du etwas anderes willst, also hör auf mich zu verarschen." Sie ist kurz davor zu hyperventilieren. Doch ihr großer Freund schaut sie durchdringend an. Er hat damit keinen Witz gemacht und meint das wirklich ernst. „Wie wäre es mit einem riesigen Pfannkuchen? Oder ich kann deinen Panzer polieren, oder deinen Nacken massieren. Ich kann dir auch ein schönes Lied vorsingen, dir die Haare waschen oder deinen Bauch..." Reiner schiebt ihr ohne Vorwarnung seinen kleinen Finger in den Mund, damit sie aufhört zu schnattern. Sie hat sich richtig in Rage geredet und braucht einen Moment, um sich wieder zu beruhigen. Sie seufzt einmal schwer und entspannt sich dann sichtlich wieder. Erst dann, nimmt er seinen Finger wieder aus ihrem losen Plappermaul heraus.

Aurora will sich davon überzeugen, dass sie sich nicht getäuscht hat und schaut ein zweites mal nach unten. Doch dort stehen noch immer die gleichen Worte und für einen langen Augenblick ist sie plötzlich sehr still. „...Und du meinst das wirklich ernst...?" Er nickt. Sie hat sich wirklich vielerlei Dinge vorstellen können. Aber nicht, dass er genau DAS haben will. Sie kringelt sich nervös eine Haarsträhne um den Finger und lächelt dann wieder. „Einverstanden", sagt sie dann. „Versprochen ist versprochen." Auch daran wird der Gepanzerte sie erinnern. Doch nun durchwühlt sie erstmal ihren Rucksack und schaut nach, was noch essbar ist. Doch bis auf die wenigen Konservendosen, die sie noch hat, ist fast alles ungenießbar geworden. „Bei unserer Flucht aus der unterirdischen Höhle hat das Wasser viele unserer Nahrungsmittel unbrauchbar werden lassen. Und der Wasserbeutel ist immer noch leer. Wenn wir nicht bald neue Vorräte finden, sind wir am Arsch." Sie sortiert die schlechten Lebensmittel aus und wirft sie auf den Boden. Vielleicht kommen ein paar Tiere vorbei, die davon noch etwas haben. Reiner pflückt geschwind noch einige der Milchfrüchte, die Aurora in ihrem Rucksack verstaut. So hat sie zumindest für eine kurze Weile eine kleine Notration. „Ich schlage vor, dass wir auf dem Weg dort weitergehen sollten. Vielleicht haben wir nicht allzu viel Pech und treffen auf ein kleines Dorf oder eine Stadt." Wobei sie eigentlich nicht glaubt, dass Menschen so nah an einer Wüste leben. Auf der anderen Seite weiß sie ja nicht, wie weit sie von der trostlosen Einöde schon entfernt sind. Schließlicht steht der Panzertitan wieder auf und setzt sich in Bewegung. Hier ist gerade weit und breit bloß Natur zu sehen. Ein schmaler, unebener Weg führt in ein steiles Bergland hoch. Reiner muss Aurora auf seinem Schlüsselbein absetzen, da er teilweise beide Hände zum klettern braucht. Sie kann in der Nähe etwas hören. Aus einer kleinen Bergspalte, sprudelt eine frische Trinkwasserquelle hervor, sodass sie überglücklich ihren Wasserbeutel neu befüllen kann. „Heute haben wir wirklich unverschämtes Glück", sagt sie.

Obwohl die letzte Ruhepause noch nicht lange her ist, rasten die beiden hier für eine halbe Stunde, sodass sich Aurora waschen kann. Danach machen sie sich wieder auf den Weg. Nach zwei weiteren Stunden marschieren, fällt der Bergpfad plötzlich steil ins Flachland ab. Es ist zwar noch relativ weit entfernt, doch sie können dort hinten ein kleines Dörfchen sehen. Der Panzertitan nimmt seine kleine Freundin wieder auf die Hand und schaut sie an. Zwei dumme, ein Gedanke. Normal würde sie sich über eine lustige Rutschpartie freuen, doch mit ihrem verletzten Bein ist das viel zu gefährlich. Also macht er sich an den Abstieg des Berges, woraufhin seine schweren Schritte immerzu die Erde erbeben lassen. Es dauert nicht sonderlich lange, bis sie auf eine kleine Schafherde treffen. Die possierlichen Tierchen grasen in aller Ruhe vor sich her und schenken Reiner keinerlei Beachtung. Sie spüren, dass von ihm keine Bedrohung ausgeht. Ein kleines Stück weiter unten, spielen zwei Kinder miteinander. Ein kleines, süßes Mädchen und ein neugieriger Junge. Die beiden sind Geschwister und das Mädchen spürt plötzlich Vibrationen unter den Füßen. Sie kann das laute stampfen des Gepanzerten hören. „Toni, kannst du das auch hören? Das hört sich ja an wie ein Erdbeben." Die beiden lassen ihre Spielstöcke fallen und kommen aus dem hohen Gras hervor. „Schau nur, Marie. Da kommt ein Riese. Komm mit. Das müssen wir sofort Großvater erzählen." Der mutige Junge nimmt seine Schwester an die Hand und zusammen rennen sie so schnell sie nur können in das kleine Dorf zurück. Der Großvater der beiden arbeitet gerade in seinem Garten und unterhält sich mit dem Dorfvorsteher angeregt. Sofort rennen Toni und Marie zu ihm. „Großvater, Großvater! Da kommt ein Riese in unser Dorf." Der alte Mann schaut seine beiden Enkel einmal belustigt an. „...Ach...ihr beide habt wirklich eine blühende Fantasie." Er lacht einmal über den Humor der beiden Kinder. „Nein, da kommt wirklich ein Riese", sagt die kleine Marie entrüstet. „Wir haben ihn gesehen, Großvater, ehrlich. Er ist riesengroß. Noch größer als unsere Apfelbäume. Er ist rot und sandfarben und er hat schneeweiße Haare und große, goldene Augen."

Während die beiden den nahenden Besucher beschreiben, scheint ihr Opa langsam sauer zu werden. „Ich weiß ja, dass ihr beiden eine blühende Fantasie habt, aber man erzählt keine Lügenmärchen herum. Was soll nur eure Großmutter über euch denken? Hat sie euch nicht beigebracht, dass man nicht..." Er unterbricht seinen Satz und kann nun ein dumpfes Geräusch hören, das allmählich immer lauter wird. „Schau mal, Opa, da kommt der Riese. Er hat unser Dorf erreicht." Der alte Mann kommt aus seinem Garten und blickt um die Ecke, wo er leichenblass wird und vor Schreck seinen Spaten fallen lässt. „Bei meiner Seele..." Angst und Panik macht sich unter den Dorfbewohnern breit. „Da siehst du es, Großvater. Wir haben nicht gelogen." Er starrt den Panzertitan unaufhörlich an, nicht fähig sich zu bewegen. „...Was...zum...Teufel...ist....das...?" Seine schweren Schritte lassen die Erde aufgrollen. Reiner beobachtet, wie die Menschen in Todesangst sicheren Schutz in ihren Häusern suchen. Die beiden haben Marley weit hinter sich gelassen. Und daher haben diese Menschen tatsächlich noch nie in ihrem Leben einen Titan gesehen. Ein letzter, bebender Schritt, dann verebbt das dunkle Geräusch schließlich. Reiner hat angehalten und rührt sich nicht mehr. Er schaut auf den alten Mann herunter, der vor Angst erstarrt ist. Nun geht der Panzertitan auf ein Knie herunter und schaut sich den Menschen vor sich genauer an. Endlich löst sich seine Angstblockade, woraufhin er einen großen Schritt zurück stolpert. Reiner bewegt sich nicht, sondern schaut sich die Dorfbewohner einen nach dem anderen an, die mutig genug sind, um näher zu kommen. Schließlich findet ein junger Mann seine Stimme wieder, der sogleich seine Mistgabel anhebt. „V...Verschwinde, du...M...Monster, oder wir töten dich."

Stille. Doch dann ertönt ein glockenhelles und belustigtes lachen. „Das will ich sehen, wie du ihn tötest. Zuerst schießt man mit einem Gewehr auf dich und dann bedroht man dich mit einer Mistgabel." Nun öffnet der Gepanzerte seine Hand, die er die ganze Zeit über geschlossen gehalten hat, sodass alle nun seine kleine Freundin sehen können. Sofort macht absolutes Erstaunen die Runde und der Großvater der beiden Kinder deutet nun auf sie. „...Was....? Ein...Mädchen....in der Hand....eines....Riesen?" Aurora und Reiner tauschen einen Blick miteinander aus. „Also wirklich, hat man euch braven Landleuten gar nicht beigebracht, dass es unhöflich ist jemanden anzustarren? Und wehe ihr nennt ihn noch einmal ein Monster. Er ist nämlich keines. Das verletzt seine Gefühle, kapiert?" Nun lässt der junge Mann vor Schreck seine Mistgabel fallen. Aurora kratzt sich an der Wange. „Eigentlich ist das hier ein schönes, idyllisches Dörfchen. Ich denke, dass wir hier einen kleinen Zwischenstopp einlegen sollten." Kaum hat sie das ausgesprochen, will der Dorfvorsteher protestieren, doch vorher handelt ihm die kleine Marie einen halben Herzinfarkt ein, denn sie geht direkt auf den neuen Fremdling zu. „Nein, geh weg von ihm, Marie." Doch die kleine hat keine Lust auf die doofen Erwachsenen zu hören und schaut den Titan vor sich mit glänzenden Kinderaugen an. „...Hallo, du..", sagt sie schüchtern und streckt ihre kleine Hand aus. Aurora schmunzelt. „Sieht wohl so aus, als ob du eine neue Freundin hast." Reiner streckt seine leere Hand langsam aus und lässt Marie zu sich kommen. Sofort will ihr Opa sie auf den Arm nehmen und in Sicherheit bringen, doch davor entschlüpft sie ihm schnell und berührt nun den riesengroßen Finger des Gepanzerten. Sie legt nun ihre Wange an seinen Panzer, woraufhin sie einmal breit lächelt. „Du fühlst dich ganz warm an..." Sie löst sich wieder. „Schau doch, Großvater. Er tut mir doch gar nichts." Erneut muss Aurora schmunzeln. „Die Kleine gefällt mir irgendwie. Sie ist pfiffiger als ihr alle zusammen und hat eines richtig erkannt. Solange ihr uns nicht angreift, lässt er euch in Ruhe. Ist doch ganz einfach, oder?" Sie streckt sich einmal kräftig. „Also gut...ich würde gerne etwas essen. Suchen wir uns ein schönes Plätzchen und machen nach einem kleinen Snack ein Nickerchen." Reiner nickt und richtet sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Er stampft achtlos an den Dorfbewohnern vorbei und lässt sich ein Stückchen weiter unter einer großen, alten Eiche nieder.

Mein großer Freund, der PanzertitanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt