Der erste Knall

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Die ersten, blassen Sonnenstrahlen des Tages kitzeln Aurora aus dem Schlaf und wecken sie auf. Noch müde reibt sie sich die Augen und ist verwirrt, da es so kuschelig warm um sie herum ist. Umso größer ist dann der Schreck, als sie den Titanen erblickt, auf dem sie geschlafen hat. „Ähm...guten...Morgen...?" Sie weiß nicht genau, wie sie mit ihm umgehen soll, immerhin fressen Titanen eigentlich Menschen. Aber dieser hier scheint daran keinerlei Interesse zu zeigen. Eigentlich will Aurora den schönen, warmen Körper des Gepanzerten nicht verlassen. Dennoch muss sie weiter und rutscht daher von ihm herunter, um ihre Sachen von gestern Abend einzupacken. Langsam werden ihre Nahrungsmittel knapp, weshalb sie sich kein Frühstück leisten kann. Alles was sie noch besitzt, sind ein paar Kartoffeln und ein halbes Laib Brot. „Ich muss unbedingt die nächste Stadt erreichen...", murmelt sie leise und setzt ihren Rucksack auf, nachdem sie alles wieder eingepackt hat. „Also dann...nochmal danke, dass du mich heute Nacht gewärmt hast. Dann mach's mal gut." Seltsamerweise hat sie gerade keine Angst mehr. Aurora ist sich sicher, dass er sie schon lange gefressen hätte, wenn er es denn wollte. So setzt sie sich in Bewegung und zieht durch die Schneelandschaft weiter. Da ertönt ein Beben hinter ihr. Und noch eines. Und noch ein weiteres. Aurora dreht sich um und erstarrt für einen Moment. Der Panzertitan ist aufgestanden und schaut von oben auf sie herunter. Erneut geht sie weiter und wieder grollt die Erde hinter ihr. Und nun hat sie verstanden.

„...Hey...wieso folgst du mir denn?" Keine Antwort. Also versucht sie ihn zu ignorieren, doch der Riese folgt ihr weiter. Aurora macht es extrem nervös, einen Titanen im Nacken zu haben, weshalb sie sich nochmal umdreht. „Komm schon, geh nach Hause. Ich muss unbedingt die nächste Stadt erreichen." Noch immer, schaut der Gepanzerte auf sie herunter und zeigt absolut keine Reaktion. Doch im nächsten Moment, hebt er den Arm und lässt seine Faust in ihre Richtung schnellen. Nur eine Sekunde später, wird der vier Meter große Titan mit deformierten Kiefer an den nächsten Baum geschleudert. Sofort setzt der Gepanzerte nach und drischt solange auf seinen Nacken ein, bis er sich nicht mehr rührt und tot umgefallen ist. Das blasse Gesicht von Aurora ist in eine Schockstarre gefallen. „...Warum...habe ich...ihn..." Angsttränen laufen ihr heiß über die Wangen. „...Nicht...bemerkt...?" Der Titan hat sich leise an sie herangeschlichen und wollte sie verschlingen. Dabei muss er ziemlich lebensmüde gewesen sein, wenn er seinem Artgenossen, der dreimal größer ist als er selbst das 'Essen' streitig machen will. Endlich erwacht sie wieder aus ihrer Starre und fällt laut stöhnend auf den Hintern in den kalten Schnee. Doch man lässt Aurora keine Sekunde, um sich ein bisschen auszuruhen. Denn nun packt der Panzertitan sie am Rucksack und hebt sie somit hoch. Sie schreit einmal laut und zappelt hilflos in der Luft, bis er sie auf seiner Schulter absetzt. Da öffnet er seinen gewaltigen Kiefer und grölt seinen Unmut heraus. Erst dann setzt er sich in Bewegung und wieder wird ihr Körper von seiner enormen Wärme umschmeichelt. Dankbar darüber nicht gefressen worden zu sein, hält sie sich an einem Panzerstück fest und lehnt den Kopf gegen seinen Hals. „..Anscheinend...willst du nicht, dass ich weggehe..." Zum ersten mal seit langer Zeit, legt sich ein ehrliches Lächeln auf ihr Gesicht. „Hey...", sagt sie. „Danke, dass du mich beschützt hast."

Tapfer wischt sie sich die Tränen aus dem Gesicht und studiert von hier oben aus die Landschaft. Sie ist über und über mit Schnee bedeckt. Bei jedem Schritt hinterlässt der Gepanzerte sichtbare Spuren. Das macht es für andere leichter ihn zu verfolgen. Allerdings wäre man ziemlich dumm, sich blindlings und ohne Verstand mit ihm anzulegen. Eine längere Zeit schweigt sie einfach nur und genießt die Wärme, die sein Körper ausstrahlt. „Ich heiße Aurora", bricht sie dann das Schweigen. „Ich habe gehört, dass man dich einfach nur den Gepanzerten Titan nennt. Aber irgendwie ist das ziemlich unpersönlich. Findest du nicht auch?" Da klappt er seinen Kiefer nach unten und grinst einmal zustimmend. Also versteht er sie wirklich. Sonst würde er nicht auf ihr Gerede reagieren. „Ob du wohl auch einen Namen hast?" Sie überlegt für einen Moment und hat dann eine Idee. „Ich weiß, ich werde dich einfach Armor nennen. Das bedeutet Rüstung und ist doch perfekt für dich." Noch bevor sie ihren Satz komplett ausgesprochen hat, schüttelt er leicht den Kopf und signalisiert ihr somit, dass er damit nicht einverstanden ist. „Was denn, gefällt dir der Name etwa nicht? Dann überlege ich mir einen anderen." Nachdem sie ein paar Vorschläge leise vor sich hingemurmelt hat, bleibt der Riese schließlich stehen. An seinem Zeigefinger formt sich eine scharfe Klaue, mit der er ein paar Buchstaben in den Schnee zeichnet. Gespannt verfolgt Aurora jede einzelne Bewegung mit den Augen, bis sie schließlich einen Namen darin erkennen kann. „..Rei...ner...? Dein Name ist Reiner?" Nun grinst der Panzertitan zufrieden vor sich her. Plötzlich muss sie einfach anfangen zu lachen. „Was für ein einfacher Name", sagt sie.

Jetzt wo die beiden jeweils den Namen des anderen kennen, stampft er stur weiter gerade aus. Sie hat keine Ahnung wohin er will und warum. Doch sie fängt ganz langsam an ihm zu vertrauen. Allerdings macht ihr laut knurrender Magen die ganze Situation nicht unbedingt besser. „Ich muss etwas essen...", stöhnt sie einmal. Aurora öffnet ihren Rucksack und fischt eine der Kartoffeln heraus. Sie ist zwar schon gekocht, aber dafür eiskalt. Sie verzieht das Gesicht, beißt aber tapfer hinein und versucht den süßlichen Geschmack zu ignorieren, der durch die Kälte entstanden ist. „Willst du auch eine? Sie schmecken aber nicht besonders gut." Reiner ignoriert sie zuerst, schüttelt dann aber den Kopf. „Hmm..." Nachdem sie die Kartoffel gegessen hat, ist Aurora nicht einmal ansatzweise satt. Daher rührt sie auch weder die anderen, noch das Brot an. Schließlich seufzt Aurora einmal sehr schwer. „Was würde ich mal wieder für ein vernünftiges Essen geben..." Der Eintopf von gestern Abend ist ja ziemlich mickrig ausgefallen. Aber das ist immer noch besser, als selbst gefressen zu werden. Plötzlich bleibt der Gepanzerte stehen und presst die Zähne stark aufeinander. „Reiner...?" Seine eben noch ruhige Art, verwandelt sich Sekunden später in eine enorme Aggression um. Er reißt sein klaffendes Maul auf, stößt einen schrecklichen Schrei aus und rammt einem Titan seine geballte Faust ins Gesicht, der ziemlich unerwartet zwischen zwei Bäumen aufgetaucht ist.

Aurora schreit einmal schrill auf und klammert sich an der Panzerplatte von Reiner fest. „Wo kommt der denn auf einmal her?" Obwohl sie auf seiner Schulter sicher zu sein scheint, macht jeder Titan ihr wahnsinnige Angst. Und ihr gepanzerter Freund scheint echt wild zu werden, wenn er wütend wird. Auch bei diesem Titan, prügelt er solange auf ihn ein, bis er tot ist. Erst danach kommt er wieder zur Ruhe und scheint sich etwas zu entspannen. Das war jetzt schon der zweite, den er totgeprügelt hat. Aurora kann sich einfach nicht erklären, warum er sie so eisern beschützt. >>Ich werde aus seinem Verhalten einfach nicht schlau. Warum benimmt er sich so dermaßen anders, als andere Titanen?<<, denkt sie sich. Selbst wenn er ein Abnormer sein könnte, würde das seine Handlungen nicht erklären. Denn selbst abnormale Titanen, sehen Menschen als Futter an. Reiner lässt ihn dann einfach liegen. Das übrig gebliebene Skelett soll andere warnen, ihm besser nicht in die Quere zu kommen. Dennoch hat der Panzertitan nicht vergessen, was Aurora gesagt hat und schlägt auf einmal eine ganz andere Richtung ein.

Mein großer Freund, der PanzertitanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt