Hoffnungen und Träume

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„...Was hast du gesagt...?" Maria schaut Aurora mit großen, erschrockenen Augen an. „Kindchen, was ist das für ein Ungeheuer? Du weißt doch sicher, was hier eigentlich vor geht." Wie recht die alte Dame doch hat. Allerdings hat Aurora keinen blassen Schimmer, wie der Titan hierher kommt, geschweige denn, wie man sie gefunden hat. Als ob sich ein innerer Schalter umlegen würde, erhebt sie sich und rennt mit Maria und Holly davon. Sie will etwas ausprobieren und beobachtet das Verhalten des Titanen ganz genau. Er folgt ihr mit den Augen, grunzt einmal schrecklich auf und setzt sich nun in Bewegung. „Sie hat es auf mich abgesehen." Sofort löst sie sich von den beiden und rennt in eine komplett andere Richtung davon. „Ich bin hier", schreit sie den Riesen an und versucht ihn hinter sich her zu locken. Reiner schnappt sich nun seine Tochter und drückt sie Holly in die Arme. „Pass auf meine Kleine auf", spuckt er ihr nur entgegen und rennt dann seiner Frau hinterher. „Aurora, bist du bescheuert?" Er packt sie am Handgelenk und will sie sich über die Schulter werfen. „Nein, bitte warte. Sie ist ein Abnormer und hat es nur auf mich abgesehen. Ich muss sie unbedingt aus dem Dorf locken, dort kann sie weniger Schaden anrichten." Sie schaut ihm fest in die Augen, doch Reiner zweifelt an ihren Worten. „Aber was, wenn du dich irrst?" Er kann schon das schwere Stampfen hinter sich hören. „Vertrau mir einfach. Die anderen Dorfbewohner interessieren sie nicht. Sonst hätte sie schon lange einen von uns gefressen." Ohne auf seine Antwort zu warten, reißt sie sich von ihm los und türmt hinüber zum Dorfeingang. „Fang mich doch, du große hässliche Hackfresse." Und tatsächlich behält sie recht. Der Titan wendet sich ab und folgt ihr nun. Sie immer im Blick behaltend und beugt sich zu einem ersten Angriff herunter. „Aurora, pass auf." Sie kann gerade noch zur Seite springen und kann der riesigen Hand ausweichen.

Dabei hat sie sich die Ellbogen und die Knie aufgeschlagen. Doch nun hat sie keine Zeit, um über die Schmerzen zu klagen. Reiner blickt sich einmal panisch um. „Verdammt nochmal...wie komme ich nur an seinen Nacken heran?" Aurora stöhnt einmal und kann sich nicht mehr rechtzeitig aufrappeln. Also muss sie sich zur Seite rollen und schafft es nur haarscharf, dem zweiten Angriff zu entkommen. Komplett ohne Ausrüstung, werden sie den Titanen nicht besiegen können. Reiner muss etwas unternehmen, sonst werden sie alle sterben. Marnie empfindet plötzliche Angst um ihre Eltern und klammert sich weinend an Holly fest. „Ich hab Angst...", schluchzt sie und die junge Ärztin versucht sie zu beruhigen. „Keine Sorge, Marnie. Wir schaffen das irgendwie." Sie lächelt das kleine Mädchen an. „...Hoffe ich...", flüstert sie leise noch hinzu. Aurora hat sich wieder auf die Beine gestemmt und versucht den Schmerz zu ignorieren. Sie muss dieses Monster unbedingt aus dem Dorf locken, doch lange wird sie nicht mehr durchhalten können. Gerade will sie wieder loslaufen, als plötzlich die ganzen verängstigten Dorfleute wieder aus ihren Häusern kommen, und anfangen, den Titanen mit Steinen und anderen Geschossen zu bewerfen. „Verschwinde von hier, du elendiges Monster. Das ist unser Dorf und wir werden es verteidigen", kreischen sie alle nacheinander. Sie bewaffnen sich mit Mistgabeln und anderen Werkzeugen, um das riesige Monster gemeinsam in die Flucht zu schlagen. „Hört sofort auf damit, oder wollt ihr alle sterben?", brüllt Reiner laut in die Runde. Wutentbrannt, stampft der Titan einmal so heftig auf, dass die Erde bricht und diese lästigen kleinen Ameisen von sich schleudert.

Dabei brechen sich ein paar Leute die Knochen und müssen daher von den anderen weggebracht werden. „Das sind meine Freunde, du gottverdammtes Miststück", kreischt Aurora ihr entgegen. Nun hat sie wieder die volle Aufmerksamkeit des Riesen und sie rennt weiter Richtung des Dorfeingangs. Es sind nur noch wenige Meter, gleich hat sie es geschafft. Doch auf einmal ändert auch der Abnorme seine Handlungsweise. Er rennt an ihr vorbei und versperrt ihr somit den Ausweg. „...Was?" Dumm wie sie eben war, hat sie vergessen, dass die Handlungsweisen von abnormalen Titanen absolut unvorhersehbar sind. Reiner reißt den Mund auf und schreit nach ihr. Doch es ist zu spät. Sie rennt ihrer Stiefmutter direkt in die Arme. Aurora schreit auf und ihr wird alle Luft aus den Lungen gedrückt, als sie von der riesigen Hand umschlungen wird. Man kann richtig sehen, wie sehr sich der Titan auf das freut, was gleich folgen wird. Er grinst einmal absolut unnatürlich breit und hebt sie langsam hoch. Aurora schreit. Sie hat große Schmerzen und hämmert gegen die gigantische Faust. „MAMA", schreit Marnie nun laut und reißt sich von Holly los. Das ist das Ende...jetzt ist es vorbei. Reiners goldene Augen weiten sich. Nein. Das wird er nicht zulassen. Genau in diesem Moment, zerbrechen seine inneren Schranken und dreht sich um. „Sören! Gib mir dein Erntemesser." Der sonst so feige Feldarbeiter hält eine Mistgabel fest umklammert. „Bist du bescheuert? Du kannst gegen dieses Ding nicht gewinnen." Die mit Todesangst erfüllten Schreie seiner Frau hallen in seinen Ohren wider. Nun öffnet der Titan seinen Kiefer, bereit sein Opfer zwischen den Zähnen zu zerquetschen. „Dein verdammtes Messer, Sören." Er schluckt einmal. Dann greift er in seine Hosentasche und wirft Reiner sein altes, treues Erntemesser zu. Aurora sieht schon einen tiefen, dunklen Schlund auf sich zukommen. Sie bemerkt, was Reiner vor hat und schüttelt den Kopf. „...Bitte tu das nicht..." Zumindest er und Marnie sollen noch ein schönes Leben haben. Auch wenn es ohne sie ist.

Doch genau hier, genau heute, genau jetzt, bricht Reiner das strenge Tabu. „...Ich werde nicht zulassen, dass du meine Frau auffrisst", schreit er und zieht sich dann die Messerklinge über die Hand. Auf einmal verdunkelt sich der Himmel. Wolken ziehen auf und bringen Unheil mit sich. Reiner umspringen seltsame, goldene Blitze und er sieht zu Maria und Jesper herüber. Er betrachtet sie mit einem solch ernsten Blick, den die beiden von ihm gar nicht kennen. Und dann schnellt ein greller Blitz vom Himmel und in einer gewaltigen Explosion, bildet sich ein riesiges, gar monströses Skelett. Staub, Dreck und Erde wird aufgewirbelt und die Dorfbewohner wo zu nahe an ihm stehen werden durch die Druckwelle davongeschleudert. Sören steht der Mund offen und er lässt achtlos seine Mistgabel fallen. „...Heilige Scheiße..." Um die massiven Knochen bilden sich Fleisch, Muskeln und Sehnen. Maria umfasst die Hand von Jesper und drückt sie einmal fest. „...Ich hab doch gewusst, dass er nicht normal ist..." Und dann bildet sich der steinharte Panzer. Aurora kann ihr Leben nochmal vor ihrem inneren Auge sehen. Sie hat mit ihrer Existenz abgeschlossen, reißt dann aber die Augen weit auf, als sie den Gepanzerten diabolisch brüllen hört. Er rennt ohne nachzudenken auf den Abnormen zu. Seine lauten Schritte lassen die Erde dröhnen und bevor der Titan sich seine Frau ins Maul stecken und zubeißen kann, rammt er ihm die geballte Faust gegen das Gesicht und reißt ihm dabei den Unterkiefer ab. Sofort taumelt er zurück und lässt Aurora los, die von Reiner im Sturz noch rechtzeitig aufgefangen wird. Er hat keine Zeit, um sich nach ihrem Wohlbefinden zu erkunden, sondern geht ein paar Schritte zurück und lässt sie bei Holly und Maria runter. Marnie starrt ihn mit offenem Mund und riesigen, glänzenden Augen an. Sie schaut einmal ihre Puppe an und dann ihren Vater. „Whoa...", sagt sie nur. In den Augen des gepanzerten Riesen sprüht blanker Hass hervor. Er öffnet einmal seinen todbringenden Kiefer und lässt eine heiße Dampfwolke heraus. Alles was sich er und Aurora gewünscht haben, war ein ruhiges und friedliches Leben. Sie beißt sich einmal auf die Unterlippe. „Mach sie fertig, Reiner."

Und dann auf ihr Kommando hin, reißt er sein Maul weit auf und stößt einen schrecklichen, metallischen Schrei aus, der die Erde wackeln lässt. Einige müssen sich dabei sogar die Ohren zuhalten. Als ob es für ihn nichts anderes mehr auf der Welt gibt, stürzt er sich auf den vierzehn-Meter Titan und reißt ihn schwerfällig zu Boden. Dabei gehen zwei Häuser zu Bruch und ein paar Bäume werden entwurzelt. Reiner hat vor lauter Wut jegliche Beherrschung verloren. Sein Speichel tropft seinem Feind ungehemmt ins Gesicht. Er röchelt und brüllt sie laut an. Dann packt er den Titan am Oberkiefer und reißt ihm den Kopf ab. Aurora drückt Marnie sofort an sich und bettet ihr Gesicht zwischen ihren Brüsten. „Nicht hinsehen, Schatz." Der riesige, hässliche Körper erschlafft und will den Kopf neu bilden. Doch der Gepanzerte steht wieder auf und befördert ihn mit einem Tritt auf den Bauch und fängt sofort an, mit beiden Händen auf dessen Nacken einzuschlagen. Die verwundbare Stelle wird zerstört und das Monster aus Marley haucht sein kümmerliches, wertloses Leben aus. Sören kann nicht aufhören, dorthin zu starren. „Er hat ihn getötet." Doch obwohl der Titan schon lange tot ist, drescht er weiterhin auf seinen zerfallenen Körper ein, bis nur noch eine vertrocknete Stelle am Boden, an seine einstmalige Existenz erinnert. Reiner brüllt ein letztes mal boshaft auf und erst dann ebbt sein tosender Wutanfall wieder ab. Es ist vorbei. Sie sind in Sicherheit. Nun richtet er sich wieder auf und in seinen Augen ist kein Hass und kein Zorn mehr zu sehen. Seine sonst so engen Freunde begegnen ihm auf einmal mit gemischten Gefühlen. Manche sehen ehrfürchtig zu ihm auf und andere gehen auf angsterfüllten Abstand. Ungläubiges Gemurmel geht unter den Leuten umher. Aurora löst sich nun von Marnie und der Gepanzerte geht auf ein Knie herunter. Er beugt sich sehr weit zu ihr herunter, sodass sie sich an sein Gesicht schmiegen kann. „Danke, dass du mich gerettet hast...", flüstert sie noch immer mit zitternder Stimme. Und nun kann sich auch seine kleine Tochter nicht mehr halten.

Sie lässt die Puppe des Panzertitan fallen und rennt auf ihn zu. Was soll sie denn mit seiner Plüschversion, wenn sie den echten haben kann. „Daddy! Daddy! Daddy!" Sie klammert sich an sein warmes Gesicht und weint vor lauter Freude. Reiner schließt kurz die Augen und lässt Marnie diesen besonderen und zauberhaften Moment einfach. Aurora dreht sich um und schaut in viele, unsichere und besorgte Gesichter. Sie ist ihnen eine Erklärung schuldig. Sie wischt sich die noch feuchten Augen trocken und sieht dann Maria an. „...Es tut mir so Leid, dass wir es all die Jahre vor euch geheim gehalten haben. Aber seht ihn doch mal an. Er muss für euch doch ein Monster sein." Sie schüttelt den Kopf und weiß, dass es nun Zeit wird. „Ich bin jedenfalls nur froh, dass keiner von euch getötet wurde. Wir gehen dann mal unsere Sachen packen und verschwinden von hier." Maria schaut sie mit einem seltsamen Glanz in den Augen an. Sie lächelt, was sie dadurch noch älter wirken lässt. „...Wovon redest du, Kindchen? Ich sehe kein Monster, sondern nur einen Ehemann, der seine Frau und sein Dorf beschützt hat." Plötzlich schaut Aurora sie fassungslos an. „Aber, Mütterchen, ich...-" Zuvor wird ihr das Wort abgeschnitten. „Bist du blöd?" Sören stellt sich an die Seite seiner Mutter. „Hast du ihn dir mal genauer angeschaut, Aurora? Er ist zwar riesig, aber nicht böse. Hast du eigentlich gesehen, wie er das Monster auseinandergenommen hat? Er hat es in Stücke gerissen. Dein verdammter Ehemann ist eine mächtigere Waffe als die größte Kanone. Außerdem schau doch mal, wie Marnie an ihm klebt." Reiner hat sie auf die Hand genommen und das kleine Mädchen kriegt sich gar nicht mehr ein. „Mami! Ich hab doch gesagt, dass der Panzertitan echt ist." Und dazu noch ihr eigener Vater. „Und mal so nebenbei bemerkt, Aurora. So wie er jetzt gerade aussieht, kann er sicher das Geröll vor der verschütteten Mine wegräumen und sie wieder frei legen." Ihr kommen die Tränen. „...Das heißt, ihr jagt uns nicht davon...? Wir können echt hier bleiben...?" Maria nickt einmal. „Natürlich könnt ihr hier bleiben. Wie kommst du denn nur auf solche Sachen, meine Süße?"

Die ganze Zeit über, haben sie Reiners Geheimnis umsonst gehütet. Vorsichtig kommen nun einige der Leute näher und trauen sich, ihn zu berühren. „Er fühlt sich ganz warm an." Aurora kann es noch immer nicht fassen, dass ihre Familie und ihre Freunde den Gepanzerten unter sich akzeptieren. Sie will gerade noch etwas sagen, als ihr ein anderer zuvor kommt. „Das ist er", brüllt Leon plötzlich. „Das ist der Riese, der den Schneemann gebaut hat." Sören fängt an laut zu lachen. „Anscheinend hat der Bengel wirklich nicht gelogen." Reiner öffnet nun seinen Kiefer und gibt ein paar knurrig, metallische Geräusche von sich. „Hää? Hat der was gesagt?" Aurora prustet leicht. „Er hat gesagt, dass dir gelbe Unterhosen überhaupt nicht stehen." Sofort schaut Sören nach unten und läuft rot an. Er hat sich mit seiner eigenen Mistgabel die Hose aufgeschlitzt, sodass man seine Unterwäsche sehen kann. „Verdammt, du verstehst echt was er sagt?" Sie nickt. „Natürlich verstehe ich ihn. Ich bin monatelang mit ihm unterwegs gewesen." Anschneidend muss sie Marnie gegenüber ihre Geschichten ein bisschen korrigieren. Doch nun lässt sich der Gepanzerte den Weg zur Mine zeigen, wo er das besagte Geröll zur Seite räumt, als ob die riesigen Steine nur kleine Kiesel wären. Noch vor ihrer Ankunft, gab es hier einen gewaltigen Erdrutsch und seitdem war die Mine verschüttet. „Großartig, vielen dank, Reiner." Ihnen weht aus dem alten Schacht der vertraute Geruch von Salzsteinen entgegen. Endlich können sie wieder Salz und andere Mineralien abbauen. So sehr sie es auch versucht haben, um den Eingang wieder frei zu bekommen. Sie haben es einfach nicht geschafft. „..Papa?" Reiner wendet sich ab und geht einige Schritte, bis er oben auf einem Plateau angekommen ist. Er überblickt die überwältigende Schönheit dieses Dorfes. Dies ist sein Zuhause, und er wird es verteidigen. Er pumpt seine Lungen bis zum bersten voll und lässt dann ein mächtiges und donnerndes Brüllen über die ganze Ebene erschallen. Sein lauter Schrei, hallt im Echo des Windes wider und trägt es bis in weit entfernte Orte. Es ist eine Warnung an alle, die es wagen sich ihm in den Weg zu stellen. Ein lauter Schrei, voller Hoffnungen und Träume. Aurora stellt sich nun neben ihn und blickt zu dem Giganten hoch. Vor ihr, erstreckt sich das Plateau und fällt in einem steilen Berg nach unten. „...Erinnerst du dich noch daran?" Wie sie damals immer zusammen solche Abhänge heruntergerutscht sind. „...Wie in guten, alten Zeiten..." Reiner nickt einmal und lässt seinen Blick ein letztes mal, über diese wunderschöne Ebene schweifen. Hier ist seine Welt. Hier gehört er hin. Hier ist seine Tochter geboren. Weit weg, von den grausamen Kriegen, hat er in dieser Siedlung, sein eigenes, kleines Königreich gefunden. Ein Königreich, dass niemals fallen wird. In einer Millionen Jahre nicht. Er ist der Geist der Rache. Er wird Feuer mit Feuer vergelten. Und jeder der es wagen sollte, diesen Frieden zu stören, wird von ihm bis ans Ende der Welt gejagt werden...

Ende...

Mein großer Freund, der PanzertitanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt