Kapitel 9: Rache

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Nach etwa einer Stunde hörte Ivy Schritte auf dem Flur, die sich rasch dem Schlafzimmer nährten. Er schreckte aus dem nebeligen Dämmerzustand auf, in dem er langsam versunken war, umklammerte das Halsband mit dem Ring und positionierte sich hinter der Schlafzimmertür.

Seine blutende Hand schmerzte noch immer wie verrückt, aber Ivy zwang sich, mit klammen Fingern den Verschluss des Halsbands ein paar Mal auf- und zuschnappen zu lassen. Ich habe nur diese eine Chance, dachte er mit klopfenden Herzen.

„Ivy?", fragte Elias' Stimme. „So viel Blut..." Ivy konnte Panik und Sorge aus dem Tonfall seines Alphas heraushören. Aber er war zu wütend und zu schmerzerfüllt, um sich davon noch von seinem Plan abbringen zu lassen.

Die Tür schwang auf und Elias trat ein. Suchend sah er sich nach seinem Mate um; sein Blick viel auf die Blutspritzer auf dem Schreibtischstuhl, auf dem Ivy vorhin noch gesessen hatte, und er machte einen Schritt darauf zu – er stand nun mit dem Rücken zu Ivy, der wie ein Schatten hinter der Tür lauerte.

Ivy hielt den Atem an und machte einen unbeholfenen Schritt auf seinen Mate zu und blieb hinter ihm stehen – er konnte sein Glück kaum fassen: Elias hatte ihn nicht bemerkt und starrte nach wie vor den blutbefleckten Stuhl an. Schnell streckte Ivy die Arme nach oben und legte das Halsband um Elias Hals. Mit einem leisen Klicken schnappte der Verschluss zu.

Elias wirbelte herum. „Was zum –"

Als er Ivy erblickte, brach er ab. Seine Augen flackerten zu Ivys Hand und seine Miene füllte mit Entsetzen. „Was ist mit deiner Hand passiert?! Du blutest ja wie verrückt! Du musst ins Krankenhaus!"

Noch während Elias das sagte, wanderte seine Hand zu seinem Hals, um das Halsband zu betasten, das Ivy ihm umgelegt hatte. „Was ist das?", fragte er irritiert und verrenkte den Kopf, um das Schmuckstück sehen zu können. Als seine Finger den Mondsteinring ertastet hatten, weiteten sich Elias' Augen. Erfolglos versuchte er, nach dem Verschluss des Halsband zu tasten und ihn zu öffnen – aber seine Finger mussten wie durch Zauberkraft zurückweichen.

Ein kleines, böses Lächeln breitete sich auf Ivys Gesicht aus – trotz all des Geredes über die Unterschiede zwischen Alphas und Omegas, war Elias' erste Reaktion auf den Mondstein genau dieselbe wie Ivys damals.

„Was – was hast du mir angetan?!", entfuhr es Elias.

„Nicht mehr, als du mir angetan hast", antwortete Ivy. Das Sprechen schmerzte ihn, denn er hatte sich nach der Amputation heiser geschrien.

Elias rang einen Moment mit sich, dann sprach er betont ruhig weiter: „Sei vernünftig, Ivy. Heute morgen war ich ein bisschen zu grob zu dir – es wird nicht wieder vorkommen, das verspreche ich. Es tut mir leid, dass du so verzweifelt warst, dass du -", er warf einen schnellen Blick auf Ivys verstümmelte Hand und kam kurz ins Stocken, „ - dass du dachtest, dass du das tun musst. Ich werde dich von nun an besser behandeln. Also sei ein guter Omega und nimm mir dieses Halsband ab. Danach werde ich dich ins Krankenhaus bringen."

Ivy machte einen Schritt zurück und Tränen der Wut glitzerten in seinen blauen Augen. „D-du warst ein bisschen zu grob?", wiederholte er zornig. „Du willst mich von nun an besser behandeln? Ich glaube dir nicht – ich hab gesehen, wie du dich verhältst, wenn du glaubst, dass du dir alles erlauben kannst, Elias. Wie du auf mir rumgetrampelt bist, als du dachtest, dass ich es dir niemals heimzahlen könnte. Ich werde dir nie wieder auch nur das kleinste bisschen Macht über mich gönnen."

Elias schluckte. Dann warf Ivy einen berechnenden Blick zu. „...du hast Recht. Ich hätte das nicht tun dürfen. Ich verdiene dich nicht. Aber Ivy, du wolltest doch, dass wir gleichgestellt sind." Er deutete auf den Mondstein an seinem Hals. „Ist das hier etwa Gleichstellung?"

„Du hattest deine Chance", zischte Ivy. „Ich habe meine Meinung geändert. Du kannst mich ja in dreißig Jahren nochmal fragen, ob ich dir den Mondstein abnehme – vielleicht bin ich dann ja nicht mehr wütend auf dich." Er musterte seinen Alpha abschätzig. „Auch wenn ich das bezweifle. Jetzt fahr mich ins Krankenhaus."

In Elias grauen Augen stand nur mühevoll unterdrückter Zorn. Aber letzten Endes blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit der neuen Situation abzufinden – zumindest für den Augenblick. Er wandte den Blick ab.

„Okay."

Okay?", wiederholte Ivy spöttisch. „Ab heute heißt das Ja, Omega."

Elias Kopf fuhr herum und seine Gesichtszüge verzerrten sich zu einer wilden Grimasse. Blitzschnell trat er auf Ivy zu und packte ihn an der Kehle. „Du verdammtes, kleines Miststück – glaub ja nicht, dass du mir irgendwas zu befehlen hast – ich werde dich-"

L-lass mich los", hustete Ivy erstickt hervor. Elias Hände lösten sich auf der Stelle von seiner Kehle, obwohl er offensichtlich gegen den Befehl ankämpfte. Aber der Mondstein war stärker.

Ivy rieb sich mit seiner guten Hand den Hals. „Du wirst mich nie wieder ohne Erlaubnis anfassen", befahl er.

Dann fuhren sie zum Krankenhaus. Die Fahrt verbrachten sie in hasserfülltem Schweigen.

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