Kapitel 15: Karma

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Einige Monate später...

Über Edge City senkte sich der Abend. Dunkle Smog-Wolken verbargen den orangeroten Himmel. Aber in Ivory Hill war die Luft verhältnismäßig gut. Ein kleiner Omega mit goldenen Locken und saphirblauen Augen saß grazil auf einer idyllischen Gartenbank in einem der blühenden Gärten. Es war Ivy Fallstar - der schönste Omega von ganz Edge City. Niemand, der ihn sah, konnte daran zweifeln, dass es sich hier um eine der sanftesten, zartesten und einfühlsamsten Kreaturen auf Gottes Erde handelte. Ja, Ivy Fallstar war wirklich das Idealbild des perfekten Omegas.

Ein Buch lag auf Ivys Schoß. Er las darin mit konzentrierter Miene. Von Zeit zu Zeit blätterte er eine Seite um oder beugte sich ein wenig vor, um nachdenklich über einer Zeile zu brüten. Es war ein Schulbuch, das sich mit Grundlagen der Biologie beschäftigte - denn Ivy war dabei, endlich seinen Schulabschluss nachzuholen. Im Moment las er einen Paragraphen, der lang und breit von der ‚angeborenen Unterwürfigkeit' der Omegas und der ‚natürlichen, überaus großen Dominanz' der Alphas sprach.

Biologie war nicht das einzige Fach, über das Ivy sich in letzter Zeit informierte. Mathematik, Geschichte, Fremdsprachen...er hatte viel zu lernen, doch war fest entschlossen, alles nachzulernen, was er damals nach seinem Schulabbruch verpasst hatte.

Der kleine Omega hatte große Pläne. Er würde studieren, reisen, vielleicht irgendwann einen Beruf anfangen... Nichts hielt ihn mehr auf.

Er las so konzentriert in seinem Buch, dass er den langen Schatten, der sich mit einem Mal über ihn legte, nicht bemerkte. Elias stand vor ihm und sah auf ihn hinab, einen unleserlichen Ausdruck in den grauen Augen.

Erst, als der Alpha sprach, hob Ivy den Kopf, um seinen Blick zu erwidern.

„Du bist ja immer noch hier draußen." Elias' Tonfall war eigenartig. Er sprach mit zusammengebissenen Zähnen.

Ivy schenkte ihm ein gleichmütiges Lächeln. „Ich habe viel nachzuholen."

„Es ist kalt."

Ein erstaunter Ausdruck erschien in den zierlichen Gesichtszügen des kleinen Omegas. Er legte den Kopf schräg. „Ich nehme an, ich könnte mich erkälten...", sagte er nachdenklich. „Machst du dir etwa Sorgen, Elias?"

Die Lippen des Alphas kräuselten sich. Plötzlich wurde seine Stimme zu einem lauten Zischen. Erst jetzt erkannte Ivy die angespannte Körperhaltung und gepresste Stimme seines Alphas als mühsam kontrollierte Wut, obgleich die Ursache dieser Wut Ivy vollkommen schleierhaft war. „Sorgen?", fauchte Elias. „Eher Hoffnungen! Wenn du dir eine Lungenentzündung holst und tot umfällst, bin ich dich endlich los!"

„Das war gemein, Elias...", murmelte Ivy, „Ich sollte dich dazu bringen, dich zu entschuldigen...und dabei dachte ich, wir würden endlich Fortschritte machen..."

Elias Lippen verzogen sich zu einem Zähnefletschen. „Du kannst mich mal, Ivy. Ich hatte mich lediglich schon fast daran gewöhnt, was für ein Monster du bist...aber dann kam das hier."

Von irgendwoher zog Elias ein Blatt Papier. Es war ein Kontoauszug. Er belegte, dass Ivy einen Großteil von Elias' jährlichem Einkommen an eine Wohlfahrts-Organisation gespendet hatte, die sich für die Emanzipation der Omegas einsetzte.

Ivy lehnte sich auf der Gartenbank zurück. „Ach", sagte er nur.

„Du", stieß Elias wutbebend hervor, „schmeißt mein Geld für diese sinnlose Scheiße zum Fenster raus. Das Geld, für das ich gearbeitet habe, während du hier zuhause rumsitzt und Däumchen drehst."

Ivy verdrehte die Augen. „Ich drehe nicht Däumchen, ich lerne."

„Jetzt hör mir mal zu, du kleiner Parasit", knurrte Elias. „Du hast kein Recht hierzu. Du darfst nicht einfach -"

Poison HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt