Kapitel 11: Schattenseite

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Ivy stand vor dem Regal im Schlafzimmer und musterte seine spärlichen Besitztümer nachdenklich. Im Grunde waren seine Kleider immer das einzige gewesen, das Ivy wirklich gehört hatte; alles andere war das Eigentum von Elias. Doch nun, da Elias den Mondstein um den Hals trug, begann für Ivy ein neues Leben. Er konnte von seinem Alpha verlangen was immer er wollte, und Elias würde ihm nichts verweigern können.

Nachdenklich kaute er auf seiner Unterlippe herum. Was sollte er nun tun?

Elias betrat hinter ihm das Schlafzimmer. Ivy konnte spüren, wie sein Alpha ihn von hinten mit bösen Blicken erdolchte. „Was jetzt, Ivy?", fragte sein Mate leise, als hätte er Ivys Gedanken gelesen. „Was passiert jetzt?"

Ivy zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich noch nicht so genau", erwiderte er vage. Seine ramponierten Finger tippten an den Rand des Regals. „Lass uns ehrlich miteinander sein, Elias. Du kannst mich nicht sonderlich gut leiden; und ich dich auch nicht. Vielleicht wäre es das Beste, wenn ich gehe."

„Was?", entfuhr es Elias. „Du willst gehen?!"

Die heftige Reaktion überraschte den kleinen Omega und er wandte sich um und blickte in Elias' blasses, angespanntes Gesicht. „Ich würde dich natürlich vorher zwingen, mir die Hälfte deines Vermögens zu überweisen. Von irgendwas muss ein Omega ja schließlich leben", bemerkte er trocken und warf einen weiteren forschenden Blick in die Richtung seines Mates. Ivy hatte seine Begegnung mit dem Taxifahrer vor dem Krankenhaus noch nicht vergessen und war zu dem Schluss gekommen, dass finanzielle Sicherheit das A und O eines selbstbestimmten Lebens war. Wenn's hart auf hart kam, würde er seinen Alpha ausnehmen wie einen Fisch.

„Getrennt leben...", fuhr Ivy fort, „...das wäre das Beste für uns beide, meinst du nicht auch? Wem machen wir hier überhaupt etwas vor - unser Matingbund war doch sowieso bloß arrangiert."

Elias blieb still. Er war wirklich auffallend blass und sah aus irgendeinem Grund beinahe ängstlich aus. „Nein", flüsterte der Alpha heiser. „Nein!"

Ivy strich sich eine goldene Haarsträhne aus dem Gesicht. „Nein?", wiederholte er sanft.

Elias schluckte schwer. „Du...du darfst nicht gehen", presste er schließlich hervor. Er sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen - die Hände waren zu Fäusten geballt und die Lippen aufeinander gepresst. Der Alpha brauchte seine ganze Willenskraft, um seinen Stolz hinunterzuschlucken und das nächste Wort herauszuwürgen: „Bitte."

Überrascht starrte Ivy ihn an - dann verstand er. „Oh", flüsterte er. Er trat an Elias heran und berührte zart den Oberarm des Alphas - so wie er es vor ein paar Tagen im Schlafzimmer nach seiner ersten Heat getan hatte. „Natürlich - du hast Angst, nicht wahr?" Seine Stimme war unendlich sanft; so sanft, dass Elias die Augen schloss und für den Moment seinen Zorn vergaß. Er spürte der zärtlichen Berührung auf seinem Oberarm nach - die Finger von Ivys unverletzter Hand strichen über seine Haut und gegen seinen Willen breitete sich ein Gefühl der Wärme in ihm aus. „Du willst nicht allein sein", murmelte Ivy leise. „Du warst dein ganzes Leben lang allein. Wolltest du mich deshalb an dich fesseln?"

Irgendetwas an Ivys Tonfall riss Elias aus seiner Trance - er öffnete die Augen wieder, schüttelte Ivys Hand ab und knurrte; die ungewöhnlich harmonische Stimmung kippte abrupt. „Mach jetzt mal nicht auf verständnisvoll, Omega", fauchte Elias. „Ich kenne dich mittlerweile ganz gut und ich weiß, was für ein verschlagenes Miststück du insgeheim bist!"

Verärgert zog Ivy seine Hand wieder zurück, und unterdrückte den Stich, den die Zurückweisung ihm trotz allem versetzte. Wie war es möglich, dass er sich trotz all der Dinge, die sein Alpha ihm angetan hatte, noch immer hin und wieder nach dessen Zuneigung sehnte? Es war einfach erbärmlich. Ivy würde sich sein Mitleid in Zukunft für diejenigen aufsparen, die es verdient hatten.

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