6. Kapitel

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Langsam wachte ich wieder auf. Meine Augen waren noch schwer, ich konnte sie nicht öffnen. Ich fühlte mich absolut gerädert, hatte Kopfschmerzen und mir war leicht übel. Zu viel von dem Alkohol erwischt? Vorsichtig atmete ich tief ein, doch es ging nur schwierig. Ich spürte einen merkwürdigen Druck, den ich nicht ganz zuordnen konnte. Was stimmte hier nicht? Dann bemerkte ich es. Meine Arme. Sie waren auf meinem Rücken und fühlten sich taub an. Instinktiv versuchte ich sie zu bewegen, doch meine Bewegung war auf ein paar Zentimeter beschränkt. Was war hier los? In meinem Kopf konnte ich noch keine klaren Gedanken fassen, als ob noch eine Nebelwand hinter meiner Stirn war. Angestrengt dachte ich nach. Wo war ich, wie war ich hier hergekommen und was war meine letzte Erinnerung? Frank hatte mich gefunden, ich war geflohen und bei Alessio auf der Couch eingeschlafen. Doch, das war es gewesen. Ich wendete alle meine Kraft auf, versuchte mich der Müdigkeit entgegen zusetzen und öffnete meine Augen. Die Umgebung kam mir bekannt vor, Alessios Wohnzimmer, ich lag auf der Couch. Okay, soweit so gut. Dann sah ich an meinem Körper runter. Ich trug keine Schuhe mehr, hatte ich diese noch ausgezogen gestern? Als ich meinen Oberkörper betrachtete, fiel es mir sofort auf. Unter meiner Brust und durch meine Achseln verlief ein schwarzes Seil. Verwirrt schloss ich meine Augen. Einen kurzen Moment später lichtete sich das Nebelmeer in meinem Kopf. Ich lag auf Alessios Couch, meine Arme waren unter meinen Schulterblättern am Rücken zusammengebunden. Vorsichtig testete ich, ob meine Füße frei waren. Diese konnte ich zwar bewegen, jedoch hatte ich kaum Kraft dafür. Verdammt, hatten mich die Schergen meines Vaters wirklich hier in einer fremden Wohnung aufspüren können? Und was war mit Alessio? Hatten sie ihn beiseite geschafft oder war er ein Gefangener in einem anderen Zimmer?

Wieder öffnete ich meine Augen und bemühte mich, mich hinzusetzen. Mit gefesselten Armen war das keine einfache Aufgabe. Doch letztendlich gelang es mir. Wenn ich fliehen wollte, würde das schwieriges Unterfangen werden. Mein Kopf schmerzte, alles drehte sich und ich konnte mich kaum konzentrieren. Ich lauschte angestrengt. Es kamen Geräusche aus der Küche und aus dem Badezimmer. Waren sie laut genug, damit ich es wagen konnte? Eine weitere Frage drängte sich mir auf: Hatte ich es körperlich drauf zu fliehen? Ich fühlte mich schlecht, müde und abgeschlagen. Wenn ich mich aufstellen würde, zur Türe wankte, würde ich es tatsächlich schaffen oder nicht viel mehr der Länge nach hinfallen? Hatten sie die Türe abgeschlossen?

Doch die Entscheidung wurde mir abgenommen, als die Geräusche aus der Küche erstarben und Alessio im Türrahmen auftauchte.

„Guten Morgen", sagte er tonlos.

Meine Gedanken beschleunigten sich, genau wie mein Herzschlag. Er war nicht gefesselt oder machte anderweitig den Eindruck ein Mitgefangener zu sein.

„Was ist hier los?", fragte ich verwirrt mit zitternder Stimme.

„Eigentlich nichts Besonderes", erwiderte er weiterhin tonlos. Nichts Besonderes? Ich befand mich gefesselt auf seiner Couch! Er machte sogleich ein Gesicht, was man nur so deuten konnte, dass ihm klar geworden ist, wie dumm sich das anhörte.

Doch es fiel mir wie die Schuppen von den Augen. „Alessio, kann es sein, dass du der Informant bist?"

Er zog einen Mundwinkel hoch, nickte. „Als du mich angerufen hast und bei mir Obdach suchen wolltest, habe ich sofort als du aufgelegt hast meinen Kontaktmann angerufen und Armanda weggeschickt. Ich wusste, es würde nicht gut ausgehen, wenn sie bleiben würde."

Es war mir gestern Nacht überhaupt nicht in den Sinn gekommen, Alessio als nicht vertrauenswürdig einzustufen. Während unserer Arbeit hatte es keine Anzeichen gegeben, dass er in krumme Dinger verwickelt war. Wer Kontakt zu meinem Vater hatte, musste auf der illegalen Seite wandeln.

„Was hast du mit mir gemacht?", fragte ich erschöpft. Er hob beiläufig die Schultern.

„Betäubungsmittel in die Gläser gemischt. Deswegen habe ich nicht getrunken gestern. Dann als du weggedämmert warst kam Frank und wir haben dich verschnürt", sagte er ebenfalls beiläufig und mit leiser Stimme.

Ich starrte ihn entgeistert an. „Hast du es so nötig, dass du mich in den Tod schickst?", platzte es tonlos aus mir raus. Betroffen wandte er seinen Blick ab. Doch er musste nicht antworten, denn eine andere Person trat in den Raum.

„Fröschlein, dass ist nicht nett und auch nicht das Kernproblem in dieser Situation. Das Kernproblem liegt an anderer Stelle, wie dir bekannt sein dürfte", antwortete Frank. „Alessio hat nur getan, was ein jeder mit Geldproblemen getan hätte."

Dieser richtete sich auf, sagte kleinlaut: „Ich wusste nichts davon, warum man dich sucht. Dachte du hast Dreck am Stecken. Nicht, dass du unschuldig bist."

Frank schüttelte den Kopf: „Rechtfertige dich nicht. Es ist jetzt einfach so. Schluss aus Ende. Ich werde Cillian mitnehmen und seinem Vater übergeben. Was dieser dann mit ihm macht ist nicht dein Problem." Er wandte sich an mich und zog seine Pistole aus dem Hosenbund hervor, hielt diese demonstrativ vor sich, das Lächeln erloschen. „Frosch, dieses Mal wird es keine Verstärkung geben. Wenn du nicht spurst, werden weitere Maßnahmen folgen. Ich lasse einfach mal die Worte Knebel, Drogen und Kofferraum fallen, um dir ein wenig Ansporn zu geben. Es muss nicht schlimmer enden als der Abend angefangen hat. Hast du mich verstanden?"

Ich sah ihm verstört in die Augen. Mein vermeintlicher Ausweg hatte sich als das genaue Gegenteil herausgestellt. Weder mein Körper noch mein Kopf waren nicht in der Verfassung, die komplette Tragweite zu begreifen. Nun war ich absolut in der Klemme. Wie hoch waren meine Chancen, dass wieder eine nette Nachbarin eingreifen würde? Mit schwacher Kraft zerrte ich an dem Seil, hoffnungslos. Es bewegte sich kein Stück. Tränen stiegen mir in Augen. Mir schossen Selbstzweifel und Wut durch den Kopf. Welche dumme Idee war es gewesen, einen Arbeitskollegen zu fragen, ob er mir helfen würde?

„Nicht weinen. Frosch, mach mir kein schlechtes Gewissen. Das wird nichts ändern", sagte er. „So Alessio, es wird Zeit, dass Cillian und ich gehen. Sein Vater wird wohl demnächst landen."


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