12. Kapitel

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Zwar hatte ich das Bewusstsein verloren, so holte mich aber der Schmerz wieder in das Hier und Jetzt zurück. Das Schwarz vor meinen Augen weichte dem Weiß des Airbags. Schlaff hing ich in meinem Sicherheitsgurt, den Kopf drehte ich zur Seite nachdem sich das Luftkissen gefährlich vor mein Gesicht platziert hatte. Blitzschnell sauste der Gedanke in meinem Kopf, dass viele Unfallopfer aufgrund ihres ausgelösten Airbags erstickt waren, da sie sich aufgrund ihrer Bewusstlosigkeit nicht wehren konnten. Mit schweren Armen drückte ich ihn weg, kämpfte mich in Richtung Frank. Wenn ich verhindert konnte, dass mein Ziehvater erstickte, würde ich alles Menschenmögliche tun. Sein Gesicht war mir zugewandt, geschlossene Augen aber er wirkte nicht tot. Falls es überhaupt etwas gab wie tot wirken. Ein weiterer Geistesblitz zerrte hervor, dass Leichen gerne einfach nur schlafend wirkten. Bevor ich noch weiter sinnieren konnte, stieß er ein angestrengtes Stöhnen aus. Definitiv nicht tot.

Mit dieser guten Neuigkeit versuchte ich mich auf die Bestandsaufnahme zu konzentrieren.

Unser Fahrzeug hatten wir elegant vor einem Baum geparkt, dessen Stamm stolz in unserem Motorraum stand. Als wollte er uns verhöhnen. Es waren alle Airbags aufgegangen, die ein Auto so haben konnte. Mittlerweile hatten diese sich bereits daran gemacht wieder zu erschlaffen. Die Frontscheibe zierten tausende Risse und sie war leicht nach innen gedrückt. Glücklicherweise verhinderte das Sicherheitsglas herumfliegende Scherben.

Mein ganzer Körper tat weh, ich bekam kaum Luft. Angestrengt atmete ich und sah mich weiter um. Da unser Wagen vorgefahren war, hatte es natürlich uns zuerst erwischt. Ob die anderen auch verletzt waren, konnte ich nicht beurteilen. Wenn ich über das Geschehene weiter nachdachte, konnte es gar nicht anderes sein, als ein geplanter Anschlag. Es war kaum ein anderes Auto unterwegs gewesen. Und dann kam noch ein anderer Wagen auf die Idee, uns im italienischen Hinterland zu überholen? Obwohl wir schon schneller unterwegs waren als erlaubt? Feinde meines Vaters? Konkurrenten? Oder jemand ganz anderes?

Neben mir tauchte plötzlich eine Gestalt auf. „Er lebt und ist bei Bewusstsein. Zumindest ein wenig", hörte ich eine Männerstimme. „Das wird schwierig, der Aufprall dürfte die Karosserie ziemlich verzogen haben." Von der Türe drang das Geräusch eines beherzten Rüttelns an mein Ohr. Die Autotüre verweigerte sich komplett.

Mit zitternden Augenlidern wandte ich mich langsam in Richtung Türe, doch es schossen mehrere Schmerzimpulse durch meinen Körper, meine Ohren klingelten und ein schwarzer Schleier legte sich wieder vor meine Augen.


Als ich wieder wacher wurde, nahm ich als erstes Windgeräusche wahr. Unter mir fühlte sich der Boden hart und kalt an. Meine Finger wurden sanft von Grashalmen umspielt. Ich hatte es irgendwie aus dem Wrack geschafft? Sicherlich nicht aus eigener Kraft. Alles tat weh, mein Kopf schmerzte unendlich. Nachdem ich bedächtig meine Augen geöffnet hatte, blickte ich in den strahlend blauen Himmel. Ich biss meine Zähne zusammen, stemmte mich schwächlich auf meine Arme und begab mich in sitzende Position. Links neben mir war in zirka zehn Metern Entfernung unser Unfallwagen, ich saß auf der Wiese neben der Allee. Um mich herum drehte sich meine Umgebung und mein Körper spielte mir vor, Karussell zu fahren. Mit hohem Kraftaufwand blickte ich mich um.

Unser Konvoi war rechts ran gefahren und begleitet von drei weiteren unbekannten Fahrzeugen. Die Entourage meines Vaters stand mit erhobenen Händen an der Wagenreihe. Sie wurden von maskierten, schwarz gekleideten Söldner mit Waffen in Schach gehalten. Einer dieser Männer sonderte sich ab und kam auf mich zugelaufen, die Hände lässig auf seinem Sturmgewehr abgestützt, welches locker mit einer Schlaufe um seinen Hals hing. Und hinter ihm kam eine mir nur allzu bekannte Person. Blonde Haare, die in üppiger Mähne kurz unter ihren Schultern aufhörte. Gekleidet war sie in einem weißen Jumpsuit und schwarzen Pumps. Ihre Augen waren von einer großen Sonnenbrille verdeckt.

Wie eine Sirene kam mir das Gespräch mit meinem Vater wieder in den Sinn, was für ein schlechter Mensch meine Mutter anscheinend war. Schnell richtete ich meinen Blick wieder auf meinen Körper. Meine Unterarme waren blutig, von Schnitten übersäht und meine Jeans schmutzig. Zwar sahen meine nackten Füße sehr fähig und unverletzt aus, aber in keinem Zustand, einer bewaffneten Heerschar zu entkommen. Das mit Frank war eine andere Fluchtsituation gewesen.

Sie stand neben mir, Scarlett Keane, ging in die Hocke und verschränkte ihre Arme auf ihren Knien.

„Hallo Darling, endlich sehen wir uns nach zwei Jahren wieder." Ihre Stimme war samtweich und umhüllte mich mit mütterlicher Fürsorge. „Wie ich sehen konnte, hat deine Flucht und mein Manöver geklappt. Zwar bin ich ein wenig enttäuscht, dass du in die Heimat deines Vaters geflohen bist, komme aber nicht umhin deine blonden Haare zu bemerken. So sehen wir uns doch gleich viel ähnlicher Spatz, findest du nicht?"

Ich war überfahren, wortwörtlich. Ihre Mitarbeiter hatten dafür gesorgt, dass wir mit überhöhter Geschwindigkeit gegen einen Baum rasten und das war ihr Unterhaltungseinstieg?

„Mom, was...", zu mehr kam ich nicht, da meine krächzende Stimme brach.

Sie lachte in hoher Tonlage auf. „Ach Darling, auch wenn dein Vater nicht zu viel zu gebrauchen ist, hat er mich doch letztendlich wieder zu dir geführt. Dafür muss ich ihm dankbar sein. Wer hätte gedacht, dass du dich so lange bedeckt halten kannst Spatz? Das hätte ich dir nicht zugetraut. Und kein Versuch der Kontaktaufnahme? Denkt man so an seine Mutter?"

Wieder setzte ich an. „Mom, was zum Teufel ist hier los?"

„Spätzchen, nachdem Frank so ein schlechter Fahrer ist, hat er den Wagen gegen einen Baum gelenkt. Meine Männer haben sofort aufgeschlossen und dich über die Frontscheibe aus dem Wrack gezogen. Diese hatten sie zuvor grob entfernt. Die bisschen Schnitte kann man vernachlässigen, oder? Du machst einen Recht fidelen Eindruck Spatz", kommentierte sie und zeigte mit den langen, manikürten Fingernägeln auf meine Unterarme. „Wo bleibt mein Dank, dich aus den Fängen dieses Tyrannen befreit zu haben?"


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