„Dad, Frank, das kann ich nicht glauben. Woher wollt ihr so was wissen?", fragte ich, unruhig auf dem Stuhl rumrutschend.
Frank sah mich bedrückt an. „Du hattest immer mal wieder Hämatome, die zeitlich nicht mit Aufeinandertreffen der Kindergartenfreunde passten. Christian hatte von komischen Geräuschen berichtet. Scarlett hatte sich komisch verhalten und Anspielungen fallen gelassen. In ihrem Nachtkästchen hatte ich verschreibungspflichtige Medikamente gefunden. Alles nur Indizien, aber ich hatte mit deinem Vater darüber gesprochen."
Dad faltete seine Hände vor der Brust und sagte in flehendem Tonfall: „Porcellino, du musst mir erklären, wie es zu deiner Flucht kam. Bitte, ich muss die Umstände erfahren. Was hat man dir gesagt?"
Ich fühlte mich überfahren, mit diesen Fragen, Aussagen und meinen eigenen Gefühlen. „Jemand rief mich an, meinte, ich müsse fliehen. Mom hätte mit dem Poolboy geschlafen und Dad wolle mich deswegen töten. Ich wurde mit gepacktem Koffer zum Flughafen gefahren mit einem kleinen Umschlag voll Geld. Mom hatte diesen einem ihrer Vertrauten in die Hände gegeben. Am Schalter hatte ich mir ein Ticket nach Italien gekauft."
Mein Vater lachte bitter auf. „Cillian, ich wollte dich suchen. Aber nur, damit ich dich in Sicherheit bringen kann! Nie im Leben hätte ich dir etwas getan. Frank wurde von mir beauftragt, dich heim zu holen. Um dich vor deiner Mutter zu finden!"
Er wollte nicht mal die Namen der Verschwörer wissen. Konnte er Recht haben? Oder war das ein fieses Psychospielchen um mich einzulullen? An vieles aus meiner Kindheit konnte ich mich nicht mehr erinnern. Das hatte ich aber immer darauf geschoben, dass ich älter geworden war und die letzten zwei Jahre einen hohen Tribut an Belastbarkeit gefordert hatten.
„Warum hast du nicht früher mit mir gesprochen?", fragte ich vorsichtig.
„Deine Mutter hat mich immer von dir fern gehalten, dich gegen mich aufgebracht. Ich hatte nie eine Chance, zu dir eine väterliche Beziehung aufzubauen. Scarlett schirmte dich immer wieder vor mir ab. Zudem leitet sich ein Im- und Export Geschäft nicht von allein. Ich hatte mir nichts dabei gedacht, hatte Franks Erzählungen als genau das abgetan: Erzählungen. Was mich anging warst du immer schüchtern, introvertiert, tollpatschig und schweigsam. Das dies andere Ursachen haben könnte war mir nie in den Sinn gekommen porcellino", erklärte mein Vater mit einem traurigen, hilflosen Blick. Es wirkte so echt. Wenn das alles stimmte, hatte Mom ihn so was von gebrochen.
„Als du vor zwei Jahren verschwunden bist, habe ich deine Mutter zur Rede gestellt. Sie hat mir dreckig ins Gesicht gelacht und meinte nur, dass sie sich ja auch irgendwie die Zeit vertreiben musste. Und, dass sie das Gefühl liebt, gebraucht zu werden.Wenn auch nur durch Gewalt. Nie wieder werde ich sie in deine Nähe lassen." Seine ganze Stimmung, Haltung hatte sich umgekehrt. Aggressiv, wütend hatte er diese Worte förmlich ausgespuckt.
Der Sicherheitsberater trat wieder hinter mich und löste endlich das Seil, infolge dessen meine Arme schmerzhaft nach vorne fielen. „Warum dieser Aufwand? Das gleicht einer Entführung oder gewaltvollen Geiselnahme mehr als einer Familienrückführung", merkte ich an während ich meine Arme kreisen ließ um die Durchblutung in Schwung zu bringen. „Was kannst du mir vorlegen, um zu beweisen, dass Mom wirklich so ein Monster ist?"
Mein Gegenüber ließ geschlagen und verloren die Arme sinken. „Ich hatte gehofft, dass es dir wieder in Erinnerung kommen würde, wenn ich dich mit den Geschehnissen konfrontiere. Aber sie hat ihre Spuren gut verwischt. Ich merke auch, dass du dich mit Vertrauen schwer tust. Die letzten zwei Jahre hätten mir genug Beweis sein müssen, dass ich am kürzeren Hebel sitze und du wirklich vor mir geflohen bist. Nicht vor den Taten deiner Mutter."
„Dad, das ist schwer zu verdauen. Ich kann mich doch an die meisten Dinge aus meinem Leben nicht mehr erinnern. Außer das ich Probleme mit Vertrauen und anderen Menschen immer wieder bemerke, habe ich keine weiteren Schwierigkeiten. Hin und wieder ein komischer Traum aber das ist doch normal. Den großen Geistesblitz hat es leider nicht ausgelöst. Sofern es stimmt. Ich kann es nicht abwägen, ob du mir die Wahrheit erzählst oder mir eine Lüge auftischt, um mich auf deine Seite zu ziehen", schloss ich und fasste so eigentlich meine derzeitige Lage ganz gut zusammen.
„Deswegen sollst du ja auch mit nach Hause kommen. Ich organisiere dir professionelle Hilfe. Christian übernimmt gerade schon das Familiengeschäft aushilfsweise, du musst nicht partizipieren. Wir sind eine Familie und werden wieder für einander da sein. Außer deine Mutter, sie ist ausgeklammert."
Der Bodyguard wandte sich an meinen Vater. „Wo ist sie eigentlich?"
„Ich kann es dir nicht sagen. Sie ist vor ein paar Monaten verschwunden, als du noch nach Cillian gesucht hast", antwortete unser Familienoberhaupt. „Aber wir werden jetzt wieder in Richtung Flugplatz fahren. Die Maschine steht noch dort, der Pilot hat den Auftrag bekommen, alles bereit zu machen für den Rückflug in die Staaten. Auftanken und alle anderen Notwendigkeiten."
Verwirrt saß ich da. Keine Ahnung, was ich glauben sollte oder ob ich meinem Vater in die Heimat folgen sollte. Einerseits hätte sich Dad anders verhalten, wenn die Geschichte falsch war. Und ich vermisste Christian tief in meinem Inneren schon. Aber es wirkte so irreal, als wäre ich in einem falschen Film.
Mein Ziehvater umschloss mit seiner Hand meinen linken Oberarm, zog mich in die Höhe. Dieses Mal war er deutlich bedächtiger im Umgang mit mir. Wir machten uns auf den Weg zu den SUVs. Frank, ich und seine zwei Handlanger setzten sich in unseren Wagen, mein Vater und der Rest in den anderen. Ich konnte mich nicht wehren, so verwirrt und verunsichert war ich. Das Gesagte stellte alle meine Erinnerungen und mein Leben in Frage.
Mit Schweigen im Innenraum setzten wir uns in Bewegung, steuerten wieder den Weg zum Flugfeld an.
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No Choice
Teen FictionSeit zwei Jahren befindet er sich auf der Flucht vor seinem Vater, denn in seiner Heimat ist seine Familie in Mafia ähnlichen Handlungen verstrickt. Als seine Mutter sich ein Verfehlung leistet, soll er dafür büßen. Kurzerhand hatte er die Flucht er...