3 - Bücher und andere Rückzugsorte

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𝕭𝖊 𝖑𝖎𝖐𝖊 𝖘𝖓𝖔𝖜, 𝖇𝖊𝖆𝖚𝖙𝖎𝖋𝖚𝖑 𝖇𝖚𝖙 𝖈𝖔𝖑𝖉

Die darauffolgenden Monate waren sicher nicht leicht für Ryley. Die Rumtreiber waren dazu übergegangen, sie wegen allem, was es eben so gab, runterzumachen, außerdem nannten sie sie einfach nur noch Möchtegernmörderin oder Büchernärrin.

Zwar war weder Ersteres noch Zweiteres gänzlich unbegründet, da sie ja tatsächlich fast für Remus' Flug von einer Treppe gesorgt hatte, ihre Hände auch vor Hogwarts nicht gänzlich in Unschuld hatte waschen können und außerdem nichts lieber tat als ihre Nase in einem Buch zu vergraben und der grausamen Realität zu entfliehen, aber dennoch schmerzte es sie, es immer und immer wieder zu hören, vor allem von ihrem Bruder, der sich nicht einmal an sie erinnern konnte. Oder sie zumindest nicht erkannte. Aber da Ryley ihn sonst nur in Gefahr gebracht hätte und außerdem nicht wusste, wie, sah sie einfach davon ab, ihn aufzuklären.

Immer wieder kam es vor, dass Ryley ein Bein gestellt wurde oder dass ihre Hausaufgaben fehlten oder dass es über ihr plötzlich zu regnen begann - und nach den Schuldigen brauchte sie meist gar nicht weiter zu suchen, denn sehr diskret gingen die Rumtreiber nicht vor. Im Gegenteil, sie verhielten sich nur allzu schadenfroh.

Mehr als resigniert seufzen, sich ein ums andere Mal allein und schuldig zu fühlen und all ihre geliebten Bücher mit Zaubern zu versehen, die sie wasserabweisend machten, sowie sich in ihr ganz eigenes Geheimversteck zurückzuziehen, unternahm Ryley nicht.

Sie war ständig darum bemüht, nur keine Gefühle zuzulassen, denn das würde sie zerstören, und einen Zusammenbruch konnte sie sich nun wirklich nicht leisten. Die Gefühle in ihren Büchern waren da natürlich eine Ausnahme, aber das war ja etwas anderes, es war nicht real. Nicht wirklich. Und doch wünschte sich das Mädchen manchmal, ihr Leben gegen das in einem Buch Beschriebene einzutauschen.

Mit der Zeit verschloss sie sich auch immer weiter von den drei netten Mädchen, die sie bereits bei der Häusereinteilung so freundlich empfangen hatten, doch sie wollte und konnte Lily, Marlene und Mary nicht noch weiter mit hineinziehen. Ob sie damit das Chaos aus ihrer Vergangenheit oder ihr Problem mit den Rumtreibern meinte, wusste die Gryffindor selbst nicht so genau. Vielleicht ja ein bisschen von beidem.

Mittlerweile war es bereits wieder Frühling und als Ryley sich gerade mit schwungvollem Schritt zur Bibliothek aufmachte, stieß sie plötzlich mit jemandem zusammen. Ihre Schulsachen und auch die des anderen ergossen sich über den Boden und von dem plötzlichen Zusammenstoß überrascht verlor Ryley kurzzeitig die Kontrolle und wurde auch prompt von einem Gedankenstrom überrannt.

Animagi, Streiche, geheime Karten, aber auch Ärger, Resignation und Reue tauchten blitzschnell in ihrem Kopf auf, bis sie es schließlich schaffte, sich wieder unter Kontrolle zu bringen und ihre Legilimentorenfähigkeit zu stoppen.

"Pass doch auf, Möchtegernmörderin!", fuhr James Potter Ryley an, "Oder bin ich etwa der Nächste, den du eine Treppe runterschubst?"

Der Blick aus seinen haselnussbraunen Augen wanderte weiter zu dem dicken Buch in ihrer Hand und dann zurück zu ihrem Gesicht.

"Oder willst du mich doch lieber mit einem Buch erschlagen?", meinte er in einem vernichtenden Tonfall.

Ryley erwiderte den Blick traurig, wagte aber nicht, etwas zu erwidern. Ihr war selbst klar, dass sich heiße Tränen den Weg in ihre Augen bahnen wollten, doch mit Mühe blinzelte sie sie zurück. Sie würden nicht weinen. Nicht vor Potter.

Wortlos und resigniert hob sie ihre zu Boden gefallenen Sachen hoch, drehte sich auf dem Absatz um und machte sich auf den Weg zum Astronomieturm. Sie musste erst einmal allein sein, und wo ging das besser als in ihrem allerliebsten Versteck?

Bei ihrer überstürzten Flucht entging ihr jedoch, dass der schwarzhaarige Gryffindor die Tränen sehr wohl bemerkt hatte und, dass er wohl doch irgendwo ein Herz haben musste. Genauso wenig bekam sie mit, dass er ihr, sobald auch er seine Sachen hastig vom Boden aufgelesen hatte, folgte.

'Cause it's in their headsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt