~ Lieben und Geliebt werden III ~

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Die Finger der Heilerin zitterten, als sie über den bloßen Oberkörper des Mannes fuhren. Die Worte des Soldaten wollten ihr nicht mehr aus dem Kopf: „Der Herr Boromir ist ein durch und durch ehrenhafter Mann. Einen Besseren gibt es nicht! Es ist eine Ehre, an seiner Seite in den Kampf ziehen zu dürfen."

Und dieser Mann war nicht der Einzige gewesen, der nur in Lobpreisungen vom Sohn des Truchsesses schwärmte. Beorid hatte in den letzten Tagen viele der Soldaten nach ihm gefragt. Kaum einer hatte auch nur ein böses Wort über den Mann zu verlieren gewusst, dessen Brust sie in diesem Moment nach gebrochenen Rippen abtastete.

„Ich konnte keine Fraktur finden. Die Prellung wir jedoch noch einige Tage schmerzhaft sein", verkündete Beorid und wandte sich schnell ab, um in der Tasche nach einer Salbe zu suchen, die die Schmerzen lindern würde. Noch immer zitterten ihre Finger leicht, ein ungewohnter Ausdruck von Nervosität, welcher sie in letzter Zeit häufiger heimsuchte, wenn sie den Sohn des Herrn der Stadt behandelte.

Vorsichtig, beinahe zärtlich verstrich die Heilerin den herb duftenden Kräuterbalm auf dem sich langsam dunkel färbenden Fleck und versuchte auszublenden, wie warm sich Boromirs Haut anfühlte und dass sie seinen schnellen Herzschlag deutlich unter ihren Fingern spüren konnte. Gegebenheiten, die sie bei jedem anderen Patienten auch wahrnahm, welche jedoch zum ersten Mal Empfindungen in der jungen Frau auslösten, die jenseits des beruflichen Interesses lagen.

Für keinen Moment wandte Boromir die Augen vom konzentrierten Gesicht der Heilerin. Mit warmem Blick beobachtete der Mann, wie die junge Frau konzentriert die Stirn in Falten legte, während ihre Finger über seine schmerzende Seite strichen, wie sie die schmalen Lippen mit der Zungenspitze befeuchtete, ein Zeichen ihrer Nervosität, wie er bald festgestellt hatte.

Boromir sehnte sich so sehr danach, die Hand auszustrecken und über ihre Wange zu streichen, die weiche Haut unter seinen Fingern zu spüren. Ob ihr Haar sich genauso seidig anfühlte, wie es aussah?

Nachdem die Heilerin ihm erklärt hatte, dass ihre einzige Liebe der Heilkunst galt, hatte er sich vorgenommen, sie aus seinem Kopf zu verbannen. Es wäre wohl das Beste, denn sie beide hatten Verpflichtungen, denen alles andere unterzuordnen war.

Der Himmel wusste, er hatte es wahrlich versucht! Doch es war deutlich schwerer gewesen, als Boromir geglaubt hatte und als sie dann neben ihm gestanden hatte, ihre überrascht aufgerissenen Augen nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, war ihm mit einem Schlag bewusst geworden, wie hoffnungslos die Lage war. Aus jahrelanger Kriegserfahrung wusste der Soldat, wann ein Kampf verloren war. Er war der viel zu ernsthaften jungen Frau verfallen und kein rationaler Grund konnte daran rütteln.

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„Mein Herr Boromir, es tut mir wahrlich leid, aber eine Verbindung über meine Pflichten als Heilerin hinaus ist zwischen uns nicht möglich", wies die dunkelhaarige Heilerin die neuerliche Bitte Boromirs um sie werben zu dürfen entschieden ab.

Lange Nächte hatte Beorid damit verbracht, im Bett zu liegen und über all dies nachzudenken. Nie, ihr ganzes Leben nicht, hatte sie sich ausgemalt, jemals das Herz an einen Mann zu verlieren zu können. Manche der anderen Heilerinnen scherzten sogar, sie wäre kaltherzig und womöglich gar nicht erst zur Liebe fähig, doch Beorid wusste es besser. All die Liebe, die sie zu geben hatte, steckte in ihrer Aufgabe als Heilerin und was dann davon noch übrig blieb, war für ihre Familie bestimmt.

„Ich werde Eurer Berufung als Heilerin nie im Wege stehen. Andere Heiler haben ebenfalls Familie, daran ist nichts Verwerfliches zu finden und Ihr müsstet Eure Arbeit nicht vernachlässigen, um einen Haushalt zu führen, dafür könnte ich jemanden finden."

Beorid schüttelte den Kopf, doch bevor sie etwas entgegnen konnte, redete Boromir schon weiter, erpicht alle Argumente, die er sich in den letzten Tagen zurechtgelegt hatte, vorzubringen.

„Ich verspreche, nie zu klagen, wenn man Euch nachts zu einem Kranken ruft", versprach der Mann, doch die Heilerin senkte den Blick, offenbar noch immer nicht überzeugt.

„Es ist nicht nur, dass ich fürchte, meinen Beruf als Heilerin nicht mehr ausüben zu dürfen", erklärte sie ruhig. „Wir beide sind von zu unterschiedlichem Stand. Die Leute würden reden, Euer Ruf würde darunter leiden, eben so wie mein eigner."

„Sollen sie doch reden!", entgegnete Boromir heftig und griff nach ihren ineinander verkrampften Händen. „Was sollen sie schon tun? Sobald Ihr mir einen Erben geschenkt habt, wird sich niemand mehr darüber beschweren können."

Die Röte schoss augenblicklich in die Wangen der jungen Frau, bei dem Gedanken daran, welche Vorzüge die Ehe mit sich brachte. Boromir hingegen fuhr ungerührt mit seiner leidenschaftlichen Rede fort: „Ich bin kein König und mir obliegt keine Pflicht, eine Dame von Adel zu ehelichen. Ich habe Euch bereits von der Ernsthaftigkeit meiner Gefühle für Euch berichtet und in Eurem Blick sehe ich dieselbe Zuneigung. Weshalb also sollten wir uns von irgendjemandem vorschreiben lassen, wen wir zu lieben haben?"

Für einen Moment herrschte unschlüssige Stille. Die braunen Augen blickten bloß hilflos in die grauen, als die Heilerin den Kopf schüttelte und entgegnete: „Was kann ich Euch schon bieten, was..."

Augenblicklich verstummte sie, als seine Lippen sich auf die ihren drückten. Es war ein Impuls gewesen, nichts über das der Heerführer zuvor nachgedacht hätte. Beinahe erwartete er schon, die Hand der Heilerin an seiner Wange zu spüren, die ihm eine gehörige Backpfeife erteilte. Doch zu Boromirs Überraschung erwiderten die weichen Lippen Beorids nach einem Moment der Überraschung seinen Kuss.

Von Tod, Liebe und HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt