Innerhalb der letzten Viertelstunde ist der Regen stetig heftiger geworden. Unter die Wassertropfen mischen sich Hagelkörner, das laute Prasseln schwillt zu einem unregelmäßigen Rauschen an. Durch die regennassen Fenster erkenne ich einen Streifen des grauen, wolkenverhangenen Himmels. Was für ein Sauwetter. Wenn ich daran denke, dass ich gleich zu Fuß nach Hause laufen darf, spüre ich das Bedürfnis, mich zu schütteln.
Prüfend werfe ich einen Blick auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Um mich herum fangen meine Mitschüler an, ihre Sachen einzupacken. Mr. Johnson, der gerade die Bedeutung der stochastischen Abhängigkeit erläutert, nimmt dies mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis. Nach all den Jahren ist er immer noch der Meinung, dass er die Stunde beendet und nicht der Schulgong. Die meisten der hier Anwesenden, mich eingeschlossen, sehen das jedoch etwas anders.
Sobald der Gong ertönt, werden Stühle zurückgeschoben, Bücher in Rucksäcke gestopft und Jacken angezogen. Allgemeines Geschnatter geht durch die Reihen. „Nicht so schnell, Leute!", ruft Mr. Johnson genervt über den plötzlichen Lärm hinweg. „Niemand verlässt den Raum, ohne sich die Hausaufgaben notiert zu haben. Das meine ich ernst, also kontrolliert lieber nochmal eure Hefte!"
Widerwillige Kommentare. Irgendjemand bezeichnet Mr. Johnson als Hurensohn, aber leise genug, dass er es nicht mitbekommt. Trotz des verbalen Protests holen viele tatsächlich noch einmal ihre Blöcke raus, um sich die Aufgaben für die nächste Stunde aufzuschreiben. Ich gehöre nicht dazu. Im Gegensatz zu den meisten meiner Schulkameraden notiere ich mir die Hausaufgaben immer sofort, damit ich sie bloß nicht vergesse. Unter anderem deswegen werde ich von den anderen oft belächelt.
Na ja, was soll's. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Ich schnappe mir meine sieben Sachen und bewege mich zielstrebig in Richtung Tür. „Einen Moment bitte, Grace", ertönt Mr. Johnsons Bassstimme hinter mir. Überrascht halte ich inne und drehe mich zu ihm um. Er will doch jetzt nicht ernsthaft mein Heft kontrollieren, oder? Das wäre irgendwie ziemlich lächerlich.
„Ihr anderen könnt gehen", sagt Mr. Johnson zu meinen neugierig dreinblickenden Mitschülern und scheucht sie mit einer Handbewegung hinaus, während ich mich frage, ob ich vielleicht etwas verbrochen habe, wovon ich nichts weiß. Aber mir fällt beim besten Willen nichts ein. Gespannt warte ich darauf, dass Mr. Johnson Klartext redet, doch er starrt geradewegs über meinen Kopf hinweg und schnalzt dabei ungeduldig mit der Zunge.
Verdutzt drehe ich mich um und bemerke, dass wir noch nicht alleine im Raum sind. Zwei Jungen aus der letzten Reihe lassen sich offenbar besonders viel Zeit. Der Blonde, ein Typ namens Theodore, packt gerade ein loses Blatt Papier in seinen Rucksack und schert sich einen Dreck darum, dass es total zerknittert. Neben ihm wartet ein dunkelhaariger Lockenkopf, von dem ich nur weiß, dass er Adrien heißt und Theodores bester Freund ist.
Jedenfalls sehe ich die beiden ständig zusammen, obwohl ich sie ansonsten kaum kenne. Sie sind nur zwei Schafe einer riesigen, unüberschaubaren Herde, deren einzelne Mitglieder mich nicht sonderlich interessieren. Um ehrlich zu sein, könnte ich nicht einmal ihre Nachnamen nennen, wenn man mich danach fragen würde. Adrien fängt meinen Blick auf und scheint mich stumm zu fragen, weshalb ich es wage, ihn anzusehen. Böse gucken kann er schon mal. Idiot, denke ich und wende mich demonstrativ ab.
„Jungs, habt ihr's bald?", dröhnt Mr. Johnson durch den Kursraum und klatscht energisch in die Hände. „Abmarsch!"
„Wir sind schon weg, Sir", antwortet Theodore feixend und steuert mit großen Schritten auf die Tür zu. Adrien folgt ihm, ohne eine Miene zu verziehen. Zügig machen sich die beiden vom Acker und fangen währenddessen an, sich zu unterhalten. Draußen auf dem Flur hallen ihre Stimmen wider.
„Freust du dich auch schon auf die nächste Mathestunde?", fragt Theodore, wobei er sich nicht die geringste Mühe gibt, leise zu sprechen. Offensichtlich legt er es darauf an, belauscht zu werden.
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3 sind 2 zu viel
Teen FictionGrace ist ehrgeizig, diszipliniert und eine Musterschülerin. Ihr Ziel? Jahrgangsbeste zu werden und den Landeswettbewerb für Mathematik zu gewinnen. Alles, was sie in irgendeiner Form davon ablenkt, ist tabu. Dementsprechend ist sie nicht begeistert...