17 - Theodore

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Mein Vater steht mit dem Rücken zu mir und starrt hinaus in den Garten. Keine Ahnung, was er dort zu sehen glaubt. Draußen ist es längst dunkel, wie es sich für einen Abend im Winter gehört. Den vereinzelten Schneeflocken in seinen Haaren nach zu urteilen, hat es wieder angefangen zu schneien. Dads mürrische Miene hängt jedoch nicht mit den Wetterverhältnissen zusammen.

Während er schweigend am Fenster klebt, verfolge ich das Fernsehprogramm, allerdings ohne Ton. Den habe ich vorhin ausgeschaltet, als er nach Hause gekommen und im Wohnzimmer über eine Matheklausur von mir gestolpert ist, die ich dort abgelegt und dummerweise vergessen habe. Zugegeben, es war nicht meine beste Leistung, aber mit einem C, das etwa 60% entspricht, liege ich immer noch knapp überm Durchschnitt.

Dafür, dass ich mich nicht wirklich vorbereitet habe, bin ich total zufrieden mit dem Ergebnis. Mein Dad ist da allerdings anderer Meinung und das hat er mich sogleich wissen lassen. Nach einem kurzen Wutanfall, den ich in dieser Form schon häufiger erlebt habe, ist er zum Fenster gegangen und zeigt mir seitdem die kalte Schulter. Ich sehe nicht ein, was ich falsch gemacht haben soll. Natürlich hätte ich lernen können, aber wozu die Mühe, wenn es auch so gereicht hat?

Ich greife nach der Fernbedienung, um den Ton wieder einzuschalten, doch im selben Moment dreht mein Vater sich plötzlich um. Seine Kieferknochen sind hervorgetreten und in seinem Blick liegt nichts als abgrundtiefe Enttäuschung. „Ich frage mich, wie oft wir dieses Gespräch noch führen müssen, bist du es endlich begreifst", sagt er mit einer Stimme, die so kalt ist, dass ich eine leichte Gänsehaut bekomme.

„Keine Angst", entgegne ich und lege die Fernbedienung unverrichteter Dinge beiseite. „Ich habe schon verstanden, dass ich perfekt sein muss, um dir zu gefallen. Aber vielleicht will ich das ja gar nicht?" Nicht nur vielleicht. Ich will es ganz bestimmt nicht. Abgesehen davon kann ich es auch nicht.

Dad schnaubt wie ein ungehaltener Stier. „Red keinen Blödsinn!", herrscht er mich an, während er wütend auf und ab marschiert. „Du sollst nicht perfekt sein. Du sollst dich verdammt nochmal anstrengen und endlich die Leistungen abrufen, zu denen du imstande bist! Wenn du dich immer nur auf dein Können verlässt, wirst du im Leben nichts erreichen, glaub mir!"

Ich beiße mir auf die Zunge, damit mir kein flapsiger Spruch rausrutscht. Mir ist klar, dass Dads Einstellung nicht von ungefähr kommt. Ursprünglich stammt er aus Culloden, einem kleinen Dorf in den schottischen Highlands, unweit von Inverness. Als einziger Sohn gewöhnlicher Farmer hatte er es nicht immer leicht und musste sich so ziemlich alles selbst erarbeiten. Deshalb ist er wohl auch der Meinung, dass ich in der Schule einen besonderen Ehrgeiz an den Tag legen soll – genau wie er damals.

Trotzdem finde ich, dass er übertreibt. Und zwar maßlos. „Meine Noten sind völlig okay", murre ich leicht gereizt. „Ich versteh nicht, warum du dich so aufregst."

Dad hört auf, im Wohnzimmer herum zu tigern und verschränkt die Arme vor der Brust. „Ganz einfach: Weil ich keine Lust habe, dich bis ans Ende meiner Tage durchzufüttern. Wenn du jetzt schon so faul bist, wie soll das dann erst nach der Schule werden? Man kriegt im Leben nichts geschenkt, merk dir das!"

Die Art, wie er das sagt, gefällt mir ganz und gar nicht. Als wäre es meine Schuld, dass er mich an der Backe hat. „Du hast keine Lust, mich durchzufüttern?", wiederhole ich bissig. „Vielleicht hättest du dir das überlegen sollen, bevor du Vater geworden bist." In meiner Welt ist es selbstverständlich, dass Eltern sich um ihre Kinder kümmern – wenn nötig auch, nachdem sie erwachsen sind. Nicht, dass ich es darauf anlege.

Ich wünschte, meine Mum wäre hier. Wenn Dad und ich uns streiten, ist sie normalerweise Diejenige, die zwischen uns beiden vermittelt – meistens mit Erfolg. Leider ist sie noch in der Redaktion, weil wohl einige ihrer Mitarbeiter ausgefallen sind und das, obwohl die Februarausgabe von Bloom Squad in wenigen Tagen erscheinen soll. Das bedeutet für mich, dass ich mich heute Abend alleine mit meinem Vater rumschlagen darf.

3 sind 2 zu vielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt