Teil 4

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Mr. O'Connor betrachtete die pinke Sporthose mit hochgezogenen Augenbrauen. "Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Kleiderordnung Miss Williams" er schrieb etwas in das Klassenbuch. Ich wollte grade etwas erwidern, (was wusste ich selber noch nicht genau) da trat Parker hinter mich und legte mir die Hand auf die Schulter "Sie hat ihre Regel bekommen, es ist also ein kleiner Notfall gewesen".

Das hat er nicht gesagt.

Ich konnte nicht anders als ihn fassungslos anzustarren. Mr. O'Connor zog eine Augenbraue hoch,  räusperte sich, strich aber den Vermerk wieder durch. „In Ordnung, in so einem Falle machen wir eine Ausnahme". Als er sich wegdrehte, schlug Parker mir auf den Hintern. „sexy, sowas solltest du öfter tragen Ballettmaus" „Hey, was fällt dir" begann ich, doch er war schon wieder auf dem weg zu seinem Platz. Na warte. Gleich zweimal an einem Tag. Das gibt doch Rache.

In der letzten Stunde, Physik, konnte ich mich überhaupt nicht konzentrieren. Meine Gedanken kreisten um das Nachmittagstraining. Gleich nach der Schule beginnt das erste Training mit Sebastian. Ich habe ihn schon einige Male tanzen sehen. Zu meiner Einschulung wurde er als einziger aus seinem Jahrgang für ein Solo aus ausgesucht. Als Tänzer ist er präzise und technisch perfekt. Wie er wohl sonst so ist?
Ich habe also auf jeden Fall schon mal einen super Partner. Hoffentlich bin ich gut genug für ihn. Er wird sich auch sehr anstrengen, es ist sein letztes Jahr an der Academy. Ich habe gehört, dass er schon vor zwei Jahren einen Vertrag mit der Company unterschrieben hat und bei einigen „echten" Aufführungen tanzt. Aber heißt das jetzt, das ich einen guten Partner brauch weil ich sonst nicht gut genug bin oder bin ich für ihn ausgesucht worden grade weil ich so gut bin? "Hey" etwas traf mich am Kopf. Tim hatte einen zerknüllten Zettel geworfen. "Pst gleich blutet es. Mach dir keine Gedanken, alles wird gut Ginny". Wieder hatte ich meine Unterlippe zerkaut. „Hoffentlich mag er mich". „Wie kann man dich nicht mögen?" "Das musst du jetzt sagen", doch ich musste grinsen.
"Ruhe bitte" rügte Mrs. Morie.

Als noch ein paar Minuten von der Stunde übrig waren, breitete sich ein drückendes Gefühl in meinem Magen aus. Ich trommelte ungeduldig mit den Finger auf dem Tisch und merkte, wie mein linker Fuß zu wippen begann. Als es endlich klingelt, begann ich hastig meine Sachen ein zu packen. "Wir sehen uns beim Contemporary" rief Tim, „wenn ich dann noch gehen kann" murmelte ich und verließ als erste die Klasse. Ich lief in schnellen Schritten durch den dünnen Schleier aus Regen, der zum Ende der Pause wieder eingesetzt hatte.

In meinem Zimmer angekommen schmiss ich meine Sachen von mir, zog hastig Strumpfhose, Trikot, und Hoodie an und atmete nach einem kurzen Blick auf die Uhr auf. Ich habe noch eine halbe Stunde, bis das Training beginnt. Da fiel mir der gelbe Post-it ins Auge. Heute sind meine neuen Schuhe angekommen. Doch die alten müssen für heute noch einmal genügen, ich habe keine Zeit die neuen tanzfertig zu machen. Fünf Minuten zu früh stand ich unsicher vor der Tür zum Saal drei. Tief durchatmen erinnerte ich mich. Ich nahm also einen tiefen Atemzug und öffnete die Tür. Der Saal war leer. Langsam begann ich mich aufzuwärmen.

Zehn Minuten später wurde Tür zum Saal geöffnet, als ich gerade missmutig meine Spitzenschuhe betrachtete. Ich sah auf und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Selbst vom hinteren Teil des Raumes sah er ziemlich gut aus. Für einen Tänzer ist er relativ groß, trotzdem sind seine Bewegungen anmutig. Ich beobachtete, wie er zu mir herüber kam und seine Tasche neben meiner fallen ließ. „Hi, du musst Giana sein" stellte er fest. "Ginny" erwiderte ich automatisch. Er hielt mir nicht die Hand hin, sondern betrachtete mich von oben. Nicht, das er mir die Hand geben muss, so alt sind wir schließlich noch nicht. Seine Stimme ist warm und tief. Die sandfarbenen Haare fallen ihm gerade so in die grauen Augen. Sein Mund zuckte zu einem Lächeln „machst du das öfter? " "Hm?"

Er nickte leicht in Richtung meines Mundes . Verdammt, ich schmeckte Blut. Was soll ich jetzt sagen? Sebastian jedoch grinste, steckte sich Kopfhörer in die Ohren und begann, sich auf zu wärmen. Nicht gerade gesprächig. Da ich bereits warm war, sah ich ihm unauffällig zu, während ich meine Füße für die Spitzen Schuhe präparierte. Diese Bewegungen, ich war fasziniert. Und als zum zweiten Mal die Tür des Saals geöffnet wurde, ertappte ich mich, wie ich ihn nicht mehr ganz so unauffällig anstarrte. Mr. Rodriguez begrüßte uns gut gelaunt und ich war sofort erleichtert. Bisher hatte ich noch kein Training bei ihm, doch er schien ebenfalls motiviert zu sein. Sebastian nahm die Kopfhörer aus den Ohren und kam zu uns. Ich war inzwischen aufgestanden. „Giana, wir kennen uns noch gar nicht. Ich bin Patrik", "Ginny" erwiderte ich erneut reflexartig. Er reichte mir die Hand, an Sebastian gewandt sagte er "so, Basti, bist du warm?" Basti. Die beiden kennen sich wohl schon besser. Dieser nickte. „Hattet ihr schon die Chance euch die Schritte anzusehen?" Ich nickte, Sebastian ebenfalls. "Gut dann stellt euch bitte auf"

Und dann begannen wir.

Zunächst gingen wir mündlich alles durch, besprachen jeden einzelnen Schritt. Danach begannen wir richtig zu proben. Nach über zwei Stunden standen Sebastian und ich keuchend am Rand und tranken gierig, in großen Schlucken Wasser.

Das Pas des Deux ist technisch anspruchsvoll. Der Schweiß lief mir über die Stirn und den Rücken hinab. Ein schneller Blick zu Sebastian zeigte mir, das auch sein T-Shirt sehr vorteilhaft an seinem Körper klebte. Ich sah schnell wieder weg. "Du bist gut " stellte Sebastian fest „Warum warst du vorher noch nie dabei?" Ich zuckte nur mit den Schultern. Da fragte Patrick „Schafft ihr noch eine halbe Stunde?" Und ich kam um eine Antwort herum. Sebastian sah mich an. Meine Füße schmerzten und Muskeln brannten. „Klar" erwiderte ich. Bloß keine Schwäche zeigen.

Ich mag Patrick als Lehrer. Er ist ruhig und erklärte sehr Leidenschaft. Er lobt auch deutlich öfter als Madame Flourie. Es ist viel motivierender und man möchte sich noch mehr anstrengen. „Padeboré, ja schön lang und weich. Komm, vorwärts, beweg dich mehr vorwärts. Gut. Halten, halten." Ich biss die Zähne zusammen. „Lächeln Ginny, keiner möchte deine Schmerzen sehen. Locker den Kiefer, besser, besser und absetzen und eins, zwei, pas de cha, lächeln, ja genau so, Füße leicht und sanft absetzen" Ich wischte mir den Schweiß aus den Augen. "Okay. der Übergang war gut, aber du bist total ins Wanken geraten Ginny. Es war aber Bastis Schuld, er war dir zu nahe. Auch wenn du ihn sonst treten würdest, mach bitte weiter, er wird lernen seinen Abstand zu halten. Du musst natürlich auf ihn achten aber du darfst nicht immer so nett sein" Patrik zwinkerte. "Und Basti, was sage ich immer?" "Es geht beim Pas de Deux als Junge nicht darum, gut auszusehen, sondern die Partnerin gut aussehen zu lassen. Es ist sehr wichtig deine Partnerin in jeder Situation zu sichern". Es klang wie auswendig gelernt, doch beide grinsten. "Noch einmal ab dem Padeboré"

Nach einer weiteren Stunde entließ uns Patrik. "Ihr ward super. Ruht euch aus und trinkt viel, Ginny massier deine Füße und morgen mit neuen Schuhen bitte, die fallen dir fast von den Füßen."
Ich nickte und erschöpft aber glücklich ließ ich mich auf den Boden fallen. Patrik verließ den Raum und wir dehnten uns schweigend und (in meinem Fall) schwer atmen. Sebastian durchbrach die Stille. "Ich glaube auch, dass wir gute Chancen auf die Rollen haben" „Ich habe auch hart und viel trainiert" sagte ich, ohne ihn anzusehen. "Ja, das merkt man, deine Technik ist echt gut aber dein Ausdruck, wow, das habe ich selten gesehen. Hast du das Rollenscript schon gelesen?" „Noch nicht aber das mache ich nachher. "Du hast das jetzt schon total drauf. Unglaublich, dass du noch nie bei einer Aufführung mit getanzt hast."

Meine Wangen brannten aber es tat gut, von ihm dieses Kompliment zu hören. "Nun, mir ist dieses Ballett sehr wichtig" „Also persönliche Gründe?" „Ja sozusagen".
Vorsichtig zog ich meinen linken Schuh aus. „Au weia" bemerkte Sebastian, "Ich bin wirklich froh, dass ich nicht solche Schuhe tragen muss, soll ich dir helfen?" bevor ich etwas erwidern konnte, befreite er langsam und sanft auch meinen rechten Fuß. An zwei weiteren Stellen war die Strumpfhose blutig gescheuert. Stöhnend holte ich meine Nagelschere aus der Tasche und schnitt meine Strumpfhose oberhalb des Knöchels ab. "Ist schon die zweite diese Woche, wenn das so weiter geht, bin ich bald arm" scherzte ich. Auch Sebastian grinste amüsiert. "Darf ich?" er nahm das Desinfektionsspray, die Creme und Mullbinde und begann sanft meine Füße zu versorgen. "Ich habe schon echt viele Ballerina Füße gesehen aber das hier? Du musst doch starke Schmerzen beim tanzen haben." er sah mir direkt in die Augen. "Ähm" machte ich dämlich. „Ja, viel extra Training in den letzten Wochen".
Ich muss dringend an meiner Schlagfertigkeit arbeiten. Als er fertig war, zog ich Socken und Schuhe an. Wir verließen gemeinsam den Saal.

„Okay mein Plan sagt, dass wir übermorgen wieder mit Patrik trainieren. Hast du Lust trotzdem morgen zusammen zu trainieren?".
„Gerne"
„Wieder um 15:30 Uhr?"
„Perfekt".
"Dann bis morgen".
"Bis morgen" erwiderte ich enthusiastisch.

Wie das Leben tanzt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt