Teil 8

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In der Mensa saßen nur zwei Jungs ganz hinten. Maria putzte gerade die Theke und sah auf, als ich vor sie trat. "Bitte sag, dass ich schon etwas Essbares bekomme." „Ciao, Bella. Du siehst furchtbar aus.
"Ich habe bis um vier Mathe gemacht" sagte ich kleinlaut. Sie schüttelte den Kopf. "Ts, ts, Stronza".
Mein Magen knurrte erneut laut. "Ich habe dich heute gar nicht beim Frühstück gesehen" stellte sie fest,  „Was machen die Füße?"
Ich winkte ab "Schmerzmittel regelt das" und musste laut gähnen.
"Pah dieses Zeug. Das ist nicht gesund!" sie verzog das Gesicht.
„Ich hole dir schnell schon etwas zu Essen" sagte sie verschwörerisch und kam nach einigen Minuten mit einem dampfenden Teller wieder.
Freudig betrachtete ich den Fisch mit Pastinakenpüre und Erbsen. "Vorsicht, es ist noch heiß" warnte sie, als sie meinen gierigen Blick bemerkte. "Danke Maria!" "Iss und danach gleich ins Bett" „Ja Maria" erwiderte ich brav und sie tätschelte mir liebevoll den Kopf.

Ich ließ mir warmes Wasser ein und stöhnte zufrieden, als ich mich in die Wanne sinken ließ. Das heiße Wasser tat so gut. Ich roch wirklich entsetzlich. Peinlich, dass ich mich so gehen lasse. Ich hätte wirklich gestern noch duschen sollen.

Vor allem war ich ihm so nah beim Tanzen. Wieso ist Sebastian immer so lieb zu mir? Heute muss er sich über mich geärgert haben. Ich war richtig schlecht. Ich bemerkte erst jetzt, wie sehr mich das irritierte. Seit Jahren hatte ich, außer mit Tim und Lilli, mit niemandem viel mehr zu tun, als beim Training ein paar Worte zu wechseln. Vielleicht würde sich das nun ändern.

Das Handy klingeln riss mich aus meinen Gedanken. Schon wieder mein Vater. Ob Mr. Stevens ihm schon von Mathe erzählt hatte? "Dad?" „Hallo Prinzessin. Wie geht es dir?".
Seine Stimme klang nicht böse. „Mir geht es gut" sagte ich und musste gähnen. "Du klingst erschöpft" stellte er fest, „Übernimmst du dich auch nicht mit dem Ballett?"
"Dad, ich habe alles bestens unter Kontrolle" log ich. „Ich habe dieses Jahr die Chance auf die Hauptrolle. Denkst du, du kannst Weihnachten her kommen und mir zusehen, wenn ich es schaffe."
"Mr. Stevens sieht das nicht ganz so entspannt und bis Weihnachten kann noch viel passieren."
Also doch. Und was heißt es kann viel passieren?
"Dad, es war total unfair ich" begann ich. „Unfair?" unterbrach Dad mich, „Ginny, er sagt du bist so schlecht, dass deine Versetzung stark gefährdet ist. Du machst nicht mal deine Hausaufgaben" fügte er noch hinzu, "Ich mache mir Sorgen um dich".

Na, das ist ja mal was ganz Neues, dachte ich und verzog das Gesicht.
"Das Ballett darf deine Schulleistung nicht so stark beeinflussen."
Ich schluckte, erst Tim, dann auch noch Dad. "Aber Dad, ich bin in den anderen Fächern doch gut, in Französisch stehe ich auf einer Zwei, genauso wie in Englisch und Bio".
"In Physik stehst du auf einer vier, in Chemie auch und über Mathe brauch wir nicht mehr zu sprechen. Ginny, deine Versetzung ist gefährdet" fügte er noch einmal hinzu und seufzte tief, "aber eigentlich wollte ich über etwas anderes sprechen. Ich habe Mittwoch einen Termin in London und wollte dich besuchen. Wann passt es dir?"
„Seit wann bist du wieder in England?" fragte ich verblüfft, er hat gar nicht erzählt, dass er wieder da ist.
„Seit heute" seine Stimme klang müde.
"Ist Emily mitgekommen?"
„Ja, sie ist mit ihrer Tochter bei uns, also, wann passt es dir?"
"Nach der Schule habe ich Spitzentraining, danach hätte ich eine Stunde Zeit, so gegen halb fünf?"
"Okay, ich habe etwas sehr wichtiges zu besprechen. Ich freue mich auf dich Prinzessin" seine Stimme klang angespannt.
"Ich mich auch" ich gähnte mitten im Satz.
"Es ist erst halb sieben Ginny" bemerkte er und ich wusste, dass er sich Sorgen machte.
"Bye Dad"
„Bis Mittwoch" ich legte auf.

Ich habe so viel um die Ohren und im Kopf, dass ich an Dad schon lange nicht mehr gedacht habe. Er war die letzten fünf Monate in Kalifornien bei seiner Freundin Emily gewesen.
Dad war total verzweifelt, als Mum vor sechs Jahren gestorben ist. Er hatte sogar eine Depression, hat seinen Job verloren und wieder mit dem Rauchen angefangen.

Es fiel mir damals sehr schwer, ihn in diesem Zustand zu Hause alleine zu lassen und nach London zu ziehen. Doch ich hatte es Mum versprochen, ich werde Tänzerin, genau wie sie.
Im Nachhinein wäre Dad vermutlich auch einfach damit überfordert gewesen, sich alleine um ein grade zehn Jahre altes Kind zu kümmern.

Dann hat er Emily kennen gelernt und seit dem ist er wieder glücklich, ist in eine super Anwaltskanzlei als Seniorpartner eingestiegen und hat sein Leben umgekrempelt. Am Anfang hat er mich oft besucht, doch in den letzten Jahren hatten wir nur noch sehr wenig Kontakt. Nicht, weil wir uns nicht verstehen, aber Dad arbeitet sehr viel und ich bin froh, wenn ich überhaupt Zeit zum Schlafen finde.

Emily wohnt jedoch in Amerika und seit drei Jahren fliegen sie jetzt schon hin und her. Für mich wäre so eine Fernbeziehung nichts. Korrektur- für mich ist eine Beziehung nichts. Ich seufzte. Kurz horchte ich in mich hinein, ob Sebastian gefährlich werden könnte. Ja, er sieht gut aus und ist total lieb aber... nein, Glück gehabt. Keine Schmetterlinge, kein dämliches Grinsen. Puh.

Ich schickte sowohl Tim als auch Lilli eine schnelle SMS um mich abzumelden und ging sofort schlafen.

Wie das Leben tanzt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt