Fröhlich pfeifend hüpfte ich die Treppe hinab. Die Creme von Patrik betäubte die Wunden und ich spürte sie fast nichts mehr.Dad stand unten und sah zu mir hinauf.
"Hallo Prinzessin" begrüßte er mich und drückte mich an sich.
„Nicht so fest" murmelte ich in seine Jacke. Er roch nach Erinnerungen, nach seiner Lederjacke und nach diesem Aftershave und vor allem nach Tinte und Papier. Der Geruch war so vertraut, dass mir die Tränen in den Augen brannten. Seit fast 2 Jahren hatte ich ihn nicht mehr gesehen.
"Ich habe dich vermisst Dad" sagte ich und meinte es auch so. Und wie ich ihn vermisst hatte. Das merkte ich erst jetzt, wo ich in seinen Armen war.Er ließ mich los und hielt mich bei den Schultern eine Armeslänge von sich.
"Du siehst dünn aus und du bist blass" er strich mir mit der Hand über die Wange, "und diese Schatten unter den Augen!"
"Mir geht es gut Dad" sagte ich mit Nachdruck.
„Und bist du etwa gewachsen?" er grinste und ich gab ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen.
Ich bin seit ich 15 war nicht mehr wirklich gewachsen. 1.60m ist nicht gerade groß und für eine Ballerina ist das echt schon grenzwertig klein.Er lachte, legte mir den Arm um die Schulter und wir gingen eine Weile wortlos nebeneinander her.
"Wo wollen wir essen?" fragte ich irgendwann, als ich die Stille nicht mehr aushielt.
„Es gibt da so ein kleines Café, da haben sie bestimmt auch Jasmintee" er zwinkerte, doch ich kaufte ihm diese Gelassenheit nicht ganz ab.
Er wirkte angespannt, sein Lächeln etwas verkrampft. Ich betrachtete meinen Vater genau. Er trug einen drei-Tage-Bart und schmale Lachfältchen umspielten seine dunklen Augen. "Wo gehst du denn mit deinen Freunden hin wenn ihr mal feiern geht?" fragte er plötzlich.
"Dad, ich bin erstens noch keine 18 und zweitens habe ich für so etwas kein Zeit." erinnerte ich ihn und ignorierte die Tatsache, dass ich ja tatsächlich nächsten Samstag ausgehen würde.
„Richtig, Vollzeitausbildung" er grinste und verdrehte gespielt theatralisch die Augen.Das Café befand sich in einem blau gestrichenen, kleinen Haus am Ende der Fußgängerzone. Dahinter lag ein kleiner Park. In diesem Teil von London war ich noch nie gewesen, obwohl es keine 20 Minuten von der Academy entfernt ist.
Von draußen gaben die kleinen Fenster keinen Blick ins Innere frei und es sah deshalb alles andere als einladend aus. Ich warf Dad einen fragenden Blick zu. Der jedoch beachtete mein Zögern nicht und trat ein. Ich folgte ihm und blieb erstaunt in der Tür stehen.
Der Raum war lichtdurchflutet, die weißen Wände, an denen Landschaftsgemälde hingen, ließen den Raum viel größer wirken, als er war. Das Mobiliar war bunt zusammengewürfelt. Es gab braune Ledersessel, die mitten im Raum standen, weiße Bänke mit bunten Sitz- Kissen an den Wänden, hier Glastische, da Holztische alles wirkte gemütlich und herzlich. Die Sonne schien uns durch große, geöffnete Panoramafenster entgegen, die die ganze gegenüberliegende Seite einnahmen. Dahinter lag eine kleine Terrasse vor einem See auf dem einige Schwäne schwammen. Draußen war jeder Tisch belegt, dank des ausnahmsweise sonnigen Wetters, und die Kellnerinnen liefen eilig hin und her."Und was sagst du?" holte Dads Stimme mich aus meinem Staunen.
"Es ist" begann ich und musste nach einem passenden Wort suchen „es erinnert mich irgendwie an", ich schluckte „an zu Hause".Das wurde mir erst bewusst, als ich es aussprach. „Das dachte ich auch, es herrscht so eine vertraute Stimmung" er lächelte mich an, „Hier haben deine Mutter und ich uns kennengelernt", zu der Kellnerin gewandt sagte er „haben Sie noch einen Tisch für zwei Personen?" was reine Höflichkeit war, denn drinnen fielen mir gleich mehrere Tische auf, die unbesetzt waren.
Sie nickte lächelnd und bedeutete uns, ihr zu folgen. Wir nahmen an einem alten Holztisch auf zwei braunen, sehr gemütlich aussehenden Stühlen platz. Dad bestellte einen schwarzen Kaffe, ich einen Jasmintee, den sie hier tatsächlich hatten. Ich bestellte nichts zu essen, Dad ein Steak von der Mittagskarte."Ich war in meinem letzen Jura Semester und deine Mutter bereits eine bekannt Tänzerin, die jüngste in dem gesamten Ensemble, sie war erst 17."
Ich starrte ihn an. Er redete nie über Mum. "Sie hat nebenbei hier gearbeitet und ich bin mit meinen Freunden oft hier gewesen" er sah durch mich hindurch, in Gedanken an diese Zeit, mit einem leichten, verträumten Lächeln auf den Lippen.
Wie hatte Mum bitte neben der Schule noch gearbeitet und gleichzeitig professionell in der Kompanie getanzt?!Das Klirren von Gläsern holte ihn in die Gegenwart zurück. Er schüttelte leicht den Kopf, etwas verwirrt. „Dad was wolltest du mir Wichtiges sagen? Du klangst am Telefon so besorgt und auch jetzt bist du nervös, ich sehe es dir an" fügte ich hinzu, als er es abstreiten wollte.
Er nahm einen Schluck Kaffee und begann mit belegter Stimme „Emily und ich, wir haben eine wichtige Entscheidung getroffen."Okay, sie wollen wirklich heiraten. "Aber deshalb hättest du doch nicht extra kommen brauchen".
„Wir, nun ich, wusste nicht genau, wie du reagieren würdest" er atmete tief ein und wieder aus.
Wieso ist er so nervös? Als ob er Angst hätte, dass ich die Hochzeit nicht akzeptieren würde.
"Dad" ich reichte über den Tisch und legte meine Hand auf seine „du kannst mir alles erzählen. Ich freue mich, wenn du glücklich bist", ich legte so viel Überzeugung wie möglich in meine Worte.
Es stimmte, ich wollte, dass er glücklich ist."Okay" er zögerte kurz, „Emily und ich haben beschlossen" er räusperte sich, "WirziehenzusammennachAmerika".
Er redete sehr schnell und atmete schwer aus, so als hätte er den Atem lange angehalten. Nicht ganz, was ich erwartet hatte, für mich aber auch nicht überraschend. Ewig diese Fernbeziehung konnte nicht gut sein.
"Du sagst gar nichts dazu" bemerkte er und ich sah, wie sich feine Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. "Dad, das ist doch keine Überraschung. Ist doch toll. Dann müsst ihr keine Fernbeziehung führe und ihr spart echt viel Geld. Dieses ganze hin und her ist auch echt schädlich für die Umwelt und es ist ja nicht so, als ob du mich oft besuchen würdest".
Okay das war gemein. Doch er überhörten den letzten Satz und sah mir direkt in die Augen.
"Ginny wir ziehen nach Amerika" unterbrach er mich. Seine Stimme klang plötzlich bestimmt.
„Wenn du "wir" sagst meinst du...".
"Ich meine Wir. Du und ich." Er deutete zuerst auf sich, dann auf mich. „Wir ziehen mit Emily und ihren Kindern zusammen in ein großes Haus nach Kalifornien. Wir haben es bereits vor einem Monat gekauft und eingereichte".
„Sehr witzig Dad, nach Amerika, ich" doch der Blick, den er mir zuwarf, hatte nichts amüsiertes.
„Ginny Du kommst mit uns".
Das musste ein Scherz sein, konnte nur ein Scherz sein. „Danke, für das Angebot, wirklich Dad, aber ich bin glücklich hier".„Das ist kein Angebot Ginny. Es ist bereits beschlossen. Ich habe eben mit Miss White gesprochen und dich von der Academy abgemeldet."
„Du hast...Nein" ich schüttelte den Kopf. „Dad ich möchte hier bleiben und tanzen."
„Du hast mit zwei Jahren angefangen zu tanzen Prinzessin, du tanzt seit du fünf bist an einer Ballettschule. Vielleicht ist es Zeit etwas anderes auszuprobieren und vielleicht gefällt es dir ja sogar."
„Nein Dad! alles was ich möchte im Leben ist tanzen..." ich schluckte ,, wie Mum".
„Deine Mum hat mit dem Tanzen aufgehört, weil sie dich hatte. Du warst das Wichtigste in ihrem Leben Süße."
„Tcha, dann hat sie das Tanzen nicht so geliebt wie ich! Ich brauche keinen Freund oder Schule, ich möchte nur tanzen".
„Ginny wie stellst du dir das vor? Ich möchte, dass wir uns wieder näher kommen und für dich da sein. Ohne dich wäre es kein zu Hause. Ich möchte dich gerne dabei haben".
"Ohne mich wäre es kein Zu Hause?" meine Stimme wurde lauter, "Wo warst du, als ICH ein zu Hause brauchte?!" ich war aufgesprungen.„Ginny, das ist nicht fair. Der Tod deiner Mutter hat uns beide sehr getroffen. Es tut mir leid, dass ich damals nicht für dich da sein konnte! Deshalb möchte ich jetzt, Ginny warte".
Ich drehte mich um und wäre beinahe in die Kellnerin hinein gelaufen, die uns unsere Bestellung brachte. "Ist alles in" doch ich lief an ihr vorbei, zur Tür hinaus.Draußen hatte sich der Himmel verdunkelt. Ich merkte, wie heiße Tränen meine Wangen hinab liefen. Mein Kopf war leer. Und ich lief, lief und lief. Weder den Schmerz in meinen Füßen noch das Stechen in meiner Lunge schenkte ich große Beachtung. Ohne darauf zu achten, wo ich lang lief. Ich rempelte mehrere Leute an, einige drehten sich um und riefen mir etwas hinterher, was ich nicht verstand und was mir auch egal war.
Ich kam vor der großen Treppe zum stehen. Mein Atem ging schnell und ich spürte wie mir der Schweiß auf die Stirn trat. Ich bin einfach weggelaufen. Wie ein kleines Kind. Aber das kann einfach nicht sein Ernst sein. Nicht jetzt, wo ich meinem Ziel so nah bin. Wo ich Mum so nahe bin. Wo ich meinem allergrößten Traum so nah bin.
Was soll ich denn jetzt tun?!

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Wie das Leben tanzt
Teen FictionAlles, was die 16 jährige Ginny von ihrem Leben wollte ist tanzen. Tanzen an der London Academy, wie ihre Mutter. Doch nach einem Anruf ihres Vaters ändert sich ihr Leben schlagartig. Sie soll mit ihm zusammen bei seiner neuen Freundin und deren kl...