...das nonexistente liebeslied
the unknown.
Ehrlich gesagt geht es mir Scheiße.
Ich weiß nicht, wo mir mein Kopf steht und ich habe ständig das Gefühl, als würde ich vor Übelkeit umfallen müssen.
Diese ganze Doppelleben ist komplizierter, als ich es noch vor einem Jahr erwartet hätte. Privatsphäre hin oder her, die ich durch diese Maske bekomme. Dafür habe ich eben auch kein Privatleben und keine Freizeit mehr.
Ich seufze und sehe mir meinen tiefstehenden Augenringen im Spiegel an. Wann habe ich das letzte Mal eigentlich so richtig durchgeschlafen?
Definitiv nicht gestern. Weniger als zwei Stunden Schlaf sollten eigentlich verboten gehören.
"Bist du so weit?", raunt Kennedy, mein wertester Manager mir zu.
Ich schüttele meinen Kopf, stehe aber von dem andauernd knackenden Drehstuhl auf. Die sollten die Stühle hier echt mal erneuern. Ohnehin frage ich mich, wieso ich in der Maske gesessen habe, wenn ich mir so oder so jetzt eine schwarze Maske und eine Sonnenbrille überziehen werde?
"Weißt du was, vielleicht sollten wir das einfach verschieben?", meine ich witzelnd und zeige mit meinen Daumen in Richtung Ausgang. Trotzdem laufe ich weiter zum Set.
"Auf gar keinen Fall, Kumpel. Zieh das jetzt einfach durch und beantworte die paar Fragen", fordert er mich mit einem Zwinkern auf.
Ich seufze bloß und ziehe mir die Sonnenbrille über die Maske auf und ebenfalls einen schwarzen Hut, bevor ich auf die Bühne trete und meinem heutigen Interview-Partner grinsend entgegenblicke. Mein Grinsen, was man wahrscheinlich nur Erahnen kann.
"Hey du!", begrüßt Jimmy mich freundlich, ehe er mich der Menge unter meinem Künstlernamen vorstellt. "Freut mich, dass du hier bist."
"Ich freue mich auch bei dir zu sein!", lüge ich scheinheilig und funkele ihm dabei lächelnd ins Gesicht. Mein Lächeln sieht man aber wohl kaum unter der warmen Stoffmaske. Meine leicht befeuchteten Hände vor Nervosität, versuche ich unbemerkt an meiner schwarzen Hose etwas abzutrocknen.
"Es ist so bewundernswert, dass das wirklich funktioniert", beginnt Jimmy zu schwärmen und begutachtet mein Gesicht, "Nicht mal ich habe Plan, wer hinter dir steckt. Und ich meine, ich habe dich in meine Show eingeladen."
Ich blinzele unter meiner Brille und zucke bloß mit meinen Schulter. Was soll ich auch groß erwidern?
"Wie viele Leute, wissen eigentlich von deiner Identität?", fragt er mich dann neugierig und schaut mich so fasziniert an, als sei ich ein Alien.
"Tatsächlich nur Zwei. Abgesehen von Produzenten und meinem Management", spreche ich die Wahrheit aus und lache leicht rau hinterher. Zwar ist Kennedy mein Manager, aber ich zähle ihn zu den zwei Personen. Schlichtweg wahrscheinlich aus dem Grund, weil er von Anfang an dabei war und auch nicht nur mein "Manager" ist.
Kurz lache ich rau auf. Ich weiß immer nie, wie ich mich so recht als Ich verhalten kann. Diese Situation ist komisch...
"Was? Das ist krass?", entfährt es ihm, "Erkennt man deine Stimme nicht? Ich meine, all deine Freunde müssten das doch locker durchschauen. Ich schätze, du bist nicht alt, sind deine Eltern, die Einzigen, die davon Bescheid wissen?"
Fast hätte ich mich beim Lachen an meiner Spucke verschluckt. Ich räuspere mich leicht.
"Tatsächlich überschätzt man das Gehirn manchmal. Ich will nicht sagen, dass meine Freunde dumm sind oder so" - Ich habe mich schon wieder einmal selbst mit dieser Aussage übertroffen - "Eher möchte ich behaupten, dass man echt verwirrt werden kann. Im Prinzip kann ich sein, wie zwei unterschiedliche Menschen. Und wenn man diese zwei Menschen nicht miteinander verbindet und gar nicht daran denkt, dann erkennt man auch meine Stimme nicht."
Das ist für mich auch ziemlich ironisch gewesen. Niemand hat mich bis heute erkannt. Es ist wohl wirklich schwer zwei Stimmen übereinanderlegen zu können, wenn man es nicht erwartet.
"Und nein, meine Eltern wissen nichts", füge ich dann noch hinzu. Ehrlich gesagt eine sehr riskante Geschichte, die ich immer wieder in die hintersten Schubladen meines Kopfes verdränge. Ich frage mich auch immer noch, wie das überhaupt funktionieren kann. Wahrscheinlich ist die einzige Antwort, die ich darauf finden kann: Eine Menge Lügen.
"Würdest du sagen, du hast Angst davor, dass Menschen herausfinden, wer du bist?", werde ich dann auf einmal gefragt, was mich etwas überrascht über die Direktheit zusammenzucken lässt. Langsam verschränke ich meine Hände ineinander.
"Oh Gott, mehr als", lache ich wieder unsicher auf. Wenn mein Umfeld davon erfährt, ist es mein Ruin. Mein wirklicher Ruin. "Es darf gerne erst einmal so bleiben. Das würde meiner Kreativität sicher auch am besten tun."
Jimmy nickt verständnisvoll. "Oh mein Gott ja", stimmt er mir theatralisch zu, "Stell dir vor, dass du über jemand wütend bist und darüber einen Song schreibst. Riskant. Oder das Mädchen, dass du magst und nichts von deinen Schwärmereien weiß, erfährt, dass deine creepy Love Songs über sie waren."
"Sollte ich mich von dieser Aussage angegriffen fühlen?", gebe ich verwirrt von mir. Bisher habe ich nicht einmal ein Album herausgegeben, geschweige denn ein Liebeslied. Geschweige denn ein "creepy" Liebeslied.
"Naja, was nicht ist, kann ja noch werden. Der wütende Song existiert ja zumindest schonmal", lacht er dann wie verrückt los, "Streamt "Bite The Bullett", Leute!" Bei seiner letzten Aussage dreht er sich vielsagend zur Kamera um.
"Ist denn schon ein Liebeslied in Planung?", blinzelt er mich dann an. Mit seinen Armen hat er sich auf den Schreibtisch vor sich gelehnt und sein Gesicht hat er auf seinen Handflächen platziert. "Falls du Inspiration brauchst. Ich stehe zur Verfügung." Jetzt klimpert er mit den Wimpern.
Er will mich verarschen, oder?
Ich lache laut los. "Bisher nicht. Ist nicht so ganz mein Genre, aber ich habe genug Inspiration, denke ich. Aber sollte ich Hilfe brauchen, denke ich an dich. Vielleicht. Irgendwo in der hintersten Ecke meines Kopfs" - also steckt er dort, wo auch mein Eltern Problem drin vergraben ist.
"Danke", grinst er. "Und vergiss nicht, ich erwarte ein Liebeslied von dir Mister Rockstar."
Mister Rockstar.
Liebeslied.
Was habe ich mir da selbst angetan?
DU LIEST GERADE
The Set List
Teen Fiction❝ "The Unknown" hat die Welt im Sturm erobert. Sein erster Song ist weltweit in den Top Charts gelandet und es gibt seit seiner Debüt Single kaum Jemanden, dem sein Künstlernamen unbekannt ist. Das Mysteriöse an ihm? Niemand kennt seine wahre Identi...