Ich denke, jeder kennt es: Weihnachten, aber die Stimmung kommt nicht auf. Daran änderte dann auch die aufdringliche Deko, die seit Ende Oktober – Oktober! Die spinnen doch echt – die Stadt zum Leuchten brachte, die aus dem Boden schießenden Glühwein- und andersartigen Tinnefstände und die Weihnachtslied-Dauerbeschallung nichts. Jeder kennt doch solche Jahre. Vielleicht ist es auch bloß das Älterwerden?
Aber wenn man als einer der wenigen Menschen wusste, dass ein unsterbliches Nazi-Kommando darauf wartete, die Weltherrschaft an sich zu reißen, dann merkte man erst wirklich wie es sich anfühlte, wenn die Stimmung nicht nur im Keller, sondern sogar im Führerbunker war.
Vielleicht sollte ich ja schon Mal an meiner Darbietung von Last Christmas I gave the Führer my heart üben.
Dass man diesen Song noch schrecklicher machen könnte, grenzte an ein Wunder.
Kopfschüttelnd band ich die letzte Schleife um ein kleines Päckchen und kehrte dann zu unserer heutigen Versammlung zurück, eigentlich konnte man es auch Kriegsrat nennen.
„Wisst ihr was?"
Ricarda sah fragend von ihrem Smartphone hoch, Amon, Hans und Marlene von etwas, das nach einem Bauplan aussah.
„Ich denke, wir sollten von Wilder etwas zu Weihnachten schenken."
„Wofür? Glaubst du an ein Weihnachtswunder, dass ihn uns helfen lässt?", fragte Ricarda spöttisch.
„Nein, ich dachte eher an sowas wie eine Bombe. Die schicken wir als Geschenk direkt in ihr Hauptquartier – bumm und Problem gelöst."
Die Begeisterung der anderen hielt sich in Grenzen.
Amon runzelte die Stirn. „So eine Idee hätte ich von Ricarda erwartet, aber nicht von dir."
„Was soll das denn heißen?" Ricky fixierte ihn mit einem bösen Blick. „Übrigens finde ich die Idee genial."
Hans schüttelte den Kopf. „Von Wilder ist nicht unser Problem. Er wird uns helfen."
Nun starrten ihn alle entgeistert an. „Wieso sollte er das?", fragte Marlene skeptisch. Sie nahm nicht einmal Hans seine Wandlung ab, noch weniger glaubte sie, dass Gerhardt sich von seiner Ideologie abwenden könnte – und ich musste ihr recht geben. Das hörte sich wenig glaubwürdig an.
„Nicht im Bewusstsein, er helfe uns", präzisierte Hans, „aber mir. Ich hab ihm im Augenblick ziemlich im Griff und wenn ich es befehle, wird er es tun. Das können wir uns hier zu Nutzen machen. Außerdem hat eine kleine Schwäche für eine weitere Person in unserem Team."
Ich konnte geradezu sehen, wie Amons Miene sich in Sekundenschnelle versteinerte, die Linie seines Kiefers sich verhärtete. „Wir werden Eleonore nicht als Köder benutzen."
Mir lag ein Einwand auf der Zunge, ein Protest, dass er sich nicht schon wieder schützend vor mich stellen sollte, allerdings musste ich ihm Recht geben: Ich hatte wirklich keine Lust, bei von Wilder einen Köder zu spielen. Am liebsten wäre mir, ihm bei unserem Plan gar nicht zu begegnen...
Ein zartes Lächeln huschte über Hans Lippen, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. „Ich habe auch nicht von Eleonore gesprochen."
Alle runzelten verwirrt die Stirn, außer Marlene, die plötzlich etwas blasser um die Nase schien. Ging es etwa um sie ...? Es ergäbe schon Sinn, doch ich konnte mir schwer vorstellen, dass von Wilders Leidenschaft nicht recht schnell abgekühlt war, nachdem er die Bestätigung erfahren hatte, dass Marlene auf der falschen Seite stand. Dennoch war offensichtlich, dass die Widerstandskämpferin für einen Augenblick daran dachte – und dass es sie, die sonst jeden mit völliger Ruhe um den Finger gewickelt hatte, anscheinend verunsicherte, ließ auch meine eigene Sorge wachsen.
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Plötzlich in neuen Farben?
Historische Romane-Das Spiel mit der Zeit ist gefährlich. Und es bleibt niemals ohne Folgen...- Eleonore denkt, die Vergangenheit endlich hinter sich gelassen zu haben, doch da könnte sie sich nicht mehr täuschen. In einer nur zu vertrauten Gestalt steht sie ihr plöt...