Warmer Sommerabend

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Ich stellte mein Wecker aus und machte mich für die Schule fertig. Ich schaute mir meinen Stundenplan an. Nichts besonderes heute. Ich hatte auch zum Glück kein Deutsch, also konnten meine Gedanken mal abschalten und ich würde mich ganz normal benehmen. Im Bus traf ich auf Marie, die mir einen Platz freigehalten hatte. Sie erzählte mir von ihrem Freund und was sie gestern schon alles für die Schule gemacht hat. Ich hingegen habe noch gar nichts gemacht, nicht mal die Bio Hausaufgaben. Ich musste diese unbedingt machen, ich konnte schließlich nicht gleich in der ersten Woche einen schlechten Eindruck machen.
Als wir aus dem Bus stiegen, sehe ich Frau Haas, wie sie auf dem Lehrerparkplatz aus ihrem Auto stieg. Sie hatte einen schwarzen Audi mit dem Kennzeichen RH 1910. Aus einem andern Auto stieg die Kollegin, mit der sie sich immer unterhielt. Die beiden umarmten sich zur Begrüßung und gingen zusammen Richtung Gebäude. Marie ging einen Schritt schneller, weil sie vor Schulbginn unbedingt nochmal auf Toilette musste.

Ich überlebte den Dienstag und Mittwoch, ohne Frau Haas über den Weg zu gelaufen, was mich wirklich glücklich machte, denn in ihrer Gegenwart war ich nicht ich selbst.
Donnerstag verging auch ziemlich schnell, ich unterhielt mich viel mit meiner Freundesgruppe und wir lachten zusammen. Wir hatten die erste Woche fast geschafft. So langsam begann aber auch die Klausurenphase und wir mussten uns alle auf das Lernen bereit machen.

Es war noch sehr warm draußen, trotzdem entschied ich mich nach dem Abendessen noch eine Runde joggen zu gehen. Es fühlte sich toll an, denn man konnte alles für einen Moment vergessen und einfach laufen. Im Park gab es eine schöne Runde, die ich öfter in der Woche laufe. An einer Stelle gab es sogar solche Geräte, an denen man Kraftübungen machen konnte. Bisher bin ich dort nie stehen geblieben, weil ich nicht sonderlich lust hatte. Doch heute reizte mich der Anblick irgendwie, ich hatte Lust mich so richtig auszupowern. Jetzt waren meine Muskeln ja eh schon warm. Ich ging an die Geräte und begann ein paar Übungen. Schon nach wenigen Wiederholungen spürte ich meine Muskeln zittern, ich bin es einfach nicht gewohnt, aber es macht höllischen Spaß. Aus der Ferne sah ich einen anderen Jogger, der hier wohl auch ein bisschen trainieren wollte. Als die Person näher kam, konnte ich erkennen wer es war.
„Hallo Julia, ich wusste gar nicht, dass du hier trainierst", sagte sie lächelnd.
„Hallo Frau Haas, ich bin eigentlich nur zum joggen hier, ich bin nicht so sehr an Kraftsport interessiert". Meine Stimme klang ein wenig zittrig, was ich darauf schob, dass ich grade so außer Atem war. Je mehr ich sagte, desto besser wurde es eigentlich und ich fühlte mich wohl.
„Ich sehe sie hier aber auch zum ersten Mal, ich gehe immer hier joggen"
„Ach ja ich gehe normalerweise vor der Schule joggen und hier ein wenig trainieren, aber heute Morgen war ich etwas verspätet und hatte keine Zeit mehr."
Ich folgte ihren Lippen, sie war ohne Maske noch schöner, als ich es mir vorgestellt hab. Sie wirkte so zart und ihr Lächeln ist einfach bezaubernd.
Sie stellte sich an eines der Geräte und begann eine Übung. Sie sah dabei sehr elegant aus, nicht so wie ich.
„Wenn man Sport Lk hat, dann muss man wohl auch fit sein".
„Naja so anspruchsvoll ist es gar nicht, naja außer der Teil mit dem Kraftsport eben", grinste ich ein bisschen peinlich berührt.
Sie grinste. Ich war erstaunt, dass sie immer noch weitere Wiederholungen schaffte, ohne auch nur schwach zu wirken. Ich wollte eigentlich nicht gehen, aber ich hatte echt keine Kraft mehr und wollte mich vor ihr auch nicht blamieren.
„Auf Wiedersehen Frau Haas, ich werde mich mal auf den Heimweg machen, ich hab noch viele Hausaufgaben zu erledigen".
„Ich hoffe darunter zählt auch, dass du die Stichpunkte abschreibst", sagte sie und zwinkert mir zu.
Ich nickte schüchtern und drehte mich um, ehe sie die Röte in meinem Gesicht erkennen könnte. Ich joggte los und duschte zuhause. Ich dachte darüber nach, dass sie noch wusste, dass ich Sport Lk habe. Es machte mich irgendwie glücklich, auch wenn ich nicht wirklich wusste warum. Es ist einfacher sie außerhalb der Schule zu sehen und normal mit ihr zu reden, das macht mich nicht ganz so nervös.
Ich lag abends im Bett und erzählte Marie von unserem Treffen, sie fand es süß, dass ich es ihr so begeistert erzählte, aber ich empfand es als normal und ging nicht drauf ein.
Ich überlegt mir schon am Abend, was ich morgen anziehen werden, denn es war Freitag und ich hatte heute deutsch. Als ich selbst so darüber nachdachte, was ich hier eigentlich mache, fühlte ich mich ein wenig dumm und konnte mir immer noch nicht eingestehen, dass nur hübsch vielleicht nicht der richtige Ausdruck für das war, was ich für sie empfand.

Ich zog mich an und machte mich für die Schule fertig, ich war zufrieden mit meinem Outfit und legte sogar noch Wimperntusche auf, was ich eigentlich sonst nicht machte, weil ich einfach zu faul bin.
Ich hatte erst in der 7./8. Stunde Deutsch. Keine Ahnung wie ich es bis dahin aushalten sollte, irgendwie hatte ich das Gefühl sie zu vermissen, aber das kann ja nicht sein, ich kenne sie ja erst seit einer Woche.
Marie musterte mich im Bus von oben bis unten und pfiff mir hinterher.
„Wieso so schick heute, hast du noch was vor?"
„Hä, ich bin doch ganz normal, keine Ahnung was du willst", antwortete ich etwas schnippisch, was Maries Verdacht, dass es nur wegen Deutsch war, noch verstärkte. Ich hatte heute Mathe, Bio und Ethik, ich hatte keine Lust.

Als ich Mathe und Bio überstanden hatte, saß ich nun mit Jana im Raum und habe Ethik. Die Lehrerin ist noch nicht da, weswegen wir einfach ein bisschen quatschen. Als sie reinkam erkannte ich sie relativ schnell, es war die Frau, die immer mit Frau Haase rumläuft. Sie machte einen sehr netten und freundlichen Eindruck. Sie stellte sich als Frau Wagner raus. Der Unterricht bei ihr macht wirklich Spaß, man kann ihr gut folgen. Im Unterricht wurde viel gelacht und wir haben schon in der ersten Stunde viel gelernt.

Es klingelte und wir verließen glücklich den Unterrichtsraum. Wir trafen uns mit den anderen in meinem Raum, da wir danach alle Unterricht hatten. Wir saßen in unserem Deutschraum. Es macht mich anfangs etwas nervös, da ich an die letzt Deutschstunde denken musste, in der einiges schief gelaufen ist.
Wir spielten ein paar Spiele auf Leas iPad, um uns die Zeit zu vertreiben. Freitags wollte man einfach nach Hause gehen, da ist selbst die Mittagspause einfach zu lange. Wir lachten alle, als sich die Tür öffnete und Frau Haas eintrat. Sie blickte mir in die Augen und lächelte uns zu.
„Hey, ihr habt ja anscheinend spaß in eurer Pause. Macht ruhig weiter, mit dem was ihr macht. Ich setzt mich schonmal und bereite etwas für den Unterricht gleich vor", ihre Stimme war ruhig und sie wirkte wirklich glücklich.
Ich schaute sie an lächelte und drehte mich dann wieder zu meinen Freunden um. Mich überkam ein Gefühl von Glück und Wohlbefinden. Trotzdem machte es mich etwas nervös, dass sie hinter mir saß und ich sie nicht sehen konnte. Marie saß mir gegenüber und schrieb irgendetwas an ihrem Handy.
Ich spürte mein Handy vibrieren und hole es aus meiner Tasche.
M: Sie schaut dich an, schon die ganze Zeit
J: Sie?
M: Ja, Sie. Frau Haas
J: Oh okay..
M: Man dreh dich um und guck sie kurz an, damit sie sich ertappt fühlt :P

Ich glaube nicht, dass ich das wirklich mache, aber ich drehe meinen Kopf langsam um und Marie hatte recht, sie schaute mich an. Als sich unsere Blicke treffen lächelte ich. Sie schaute kurz verwirrt und schüttelte leicht den Kopf, als sie nach unten sah und sich ihren Unterrichtsmaterialien widmete.

M: Mhm das war sicherlich komisch, vielleicht war es doch eine doofe Idee, tut mir leid
J: Alles gut, ist ja nicht das erste mal, dass ich was komisches in ihrer Gegenwart mache. Sie kennt mich nur so. Trotzdem danke, du bist ein Schatz :*

Die Mittagspause neigte sich dem Ende zu und wir setzten uns auf unsere Plätze. Die Anderen verabschiedeten sich und der Rest des Kurses kam langsam eingetrudelt. Während dem ganzen schaffte ich es, nicht zu Frau Haas zu gucken und ich glaube, dass auch sie so in ihren Unterlagen vertieft ist, dass sie nicht aufgeschaut hat.
„So meine Lieben. Ich teile euch gleich Blätter aus, oben am Rand steht eine Zahl. Das ist eure Gruppe, bitte setz euch so zusammen und beginnt den Arbeitsauftrag." Marie und ich hatten Glück, wir waren in einer Gruppe mit zwei weiteren Jungs, die wirklich nett waren. Wir kannten uns schon aus der 11. Klasse und verstanden uns gut, wir haben auch paar mal miteinander gefeiert, eigentlich schade, dass wir das jetzt nicht mehr machen. Wir redeten erstmal über was anderes, über Ferien und dass wir uns mal wieder treffen sollten.
„Nach arbeiten sieht das hier aber nicht aus, fangt doch bitte mal an", sagte Frau Haas in einem etwas strengeren Ton. Sie setzte sich auf einen Tisch hinter den Jungs und lächelte kurz, als sie sich setzten. Ich finde es immer noch beeindruckend, wie aussagekräftig ihre Augen waren.
Wir fingen an, an unseren Aufgaben zu arbeiten. Wir hatten wirklich schnell den dreh raus und erledigten es in einer sehr guten Gruppenarbeit. Frau Haas ging währenddessen immer mal wieder durch den Klassenraum und setzte sich schließlich wieder auf den Tisch hinter den Jungs.
Unsere Gruppe war fertig und wir flüsterten leise. Ich lachte viel mit einem der Jungs, mit Finn. Als ich wieder zu Frau Haas guckte, schaute sie mich sauer an, ihr Blick hatte irgendwie was vorwurfsvolles. Marie sah das anscheinend auch und stieß leicht in meine Seite, damit ich wegguckte und nicht mehr redete.
„Die Ergebnisse stellen wir in der nächsten Stunde vor, ihr könnt jetzt gehen".
Es waren eigentlich noch 15 Minuten, keiner wusste so recht, ob er jetzt wirklich gehen sollte. Sie wirkte auf einmal so traurig.
„Na los, geht schon raus und genießt euer Wochenende", sagte sie mit einem gezwungenen lächeln. Der Kurs begann sich zu bewegen und alle waren fröhlich.
„Julia, könntest du bitte nochmal kurz hier bleibend?", sie sah mich an und ich nickte schüchtern.

Nur in meinen TräumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt