Kapitel 5

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Wie er bereits erwartet hatte, fand Louis seine Kabine nicht auf Anhieb wieder und als dann die Durchsage ertönte, man würde jetzt ablegen, verwarf er seinen Plan kurzerhand und beeilte sich, wieder an Deck zu kommen. Er wollte sehen, wie das Schiff den Hafen von Genua verließ. Immerhin war das seine erste Kreuzfahrt.

Die Sonne blendete und wie zu erwarten, waren alle Passagiere an Deck gegangen, um sich das Spektakel anzusehen. Natürlich standen auch alle an der Rehling und Louis hatte keine Chance, noch einen Blick auf den Hafen zu erhaschen. Ganz egal, wie sehr er sich streckte und reckte.

Jemand packte ihn am Arm und als er sich umdrehte, sah er Harry, der ihm zunickte.

»Komm, ich zeige dir einen besseren Platz.« Er nahm ihn an der Hand und zog ihn hinter sich her über das Hauptdeck und eine Treppe hinauf. Dort standen weniger Leute an den Geländern und sie fanden einen guten Platz, um dabei zusehen zu können, wie sich die Hafenkante immer weiter vom Schiff entfernte und das Wasser gurgelnd und wirbelnd um den Rumpf des mächtigen Kolosses spülte.

»Ist das deine erste Kreuzfahrt, Louis?«

»Ja, ich hatte bisher nie in Betracht gezogen, dass ich ja mal auf einem Schiff arbeiten könnte, aber letztes Jahr habe ich eine Doku gesehen und dachte, ich versuche es einfach mal. Und deine?«

Harry stützte sich auf dem weißen Metallgeländer ab und sah mit zusammengekniffenen Augen über den Hafen, dann antwortete er gelassen: »Das ist jetzt, glaube ich, meine vierte Fahrt und es ist gar nicht mehr so spannend, wie beim ersten Mal. Man gewöhnt sich daran, aber es macht Spaß, jeden Tag verschiedene Orte zu sehen und handwerklich bin ich auch ausgelastet. Nur körperlich nicht, wenn du verstehst, was ich meine.« Er zwinkerte und sofort schoss Louis die Röte ins Gesicht. Sein Puls beschleunigte sich und er schluckte.

Natürlich wusste er genau, was er meinte und beschloss, mutig auf den Flirt einzugehen.

»Na ja, jetzt bin ich ja da. Ich könnte der körperlichen Durststrecke Abhilfe verschaffen. Was meinst du?« Während er sprach, strich er mit dem Finger über Harrys Arm, der erschauderte und süffisant grinste.

»Denkst du denn, wir passen gut zusammen?«

»Oh da bin ich mir ziemlich sicher. Wir haben ja jetzt Zeit genug, um das auszuprobieren.« Louis dachte an seinen Vertrag, der über sechs Monate angesetzt war.

»Haben wir das? Also mein Vertrag läuft noch sieben Tage. Wenn wir in einer Woche wieder hier ankommen, muss ich von Bord gehen.«

Sie hatten nur eine Woche zusammen? Damit hatte Louis nicht gerechnet und diese Neuigkeit verpasste ihm kurz einen Dämpfer. Doch Harry schien das nicht dramatisch zu finden und lächelte ihn aufmunternd an.

»Hey, schau nicht so traurig. Wir haben noch sieben Tage. Weißt du, was man in sieben Tagen alles anstellen kann?« In seinem Blick lag etwas, das Louis direkt atemlos machte. Harry ging aufs Ganze und das nicht schüchtern. »Ich habe einen Plan: Du kommst jetzt zu mir ins Theater, wir kümmern uns um deinen Anzug und heute Abend, wenn deine Pianosession vorbei ist, treffen wir uns an Deck auf einen Drink. Wir haben schließlich keine Zeit zu verlieren.«

Gesagt getan.

Louis startete einen weiteren Versuch, seine Kabine zu finden, und dieses Mal gelang es ihm. Mit dem Anzug über dem Arm machte er sich wieder auf den Weg zum Theater, fand sich einmal im Restaurant wieder und erreichte schlussendlich die Hintertür des Theaters, doch er besaß noch keine Chipkarte und rüttelte testweise am Türknauf. Keine Chance.

Wie kam er denn jetzt zu Harry, der sicherlich schon wieder an seinem Arbeitsplatz saß und auf ihn wartete? Louis versuchte sein Glück nochmals beim Haupteingang und tatsächlich war die Abendkasse bereits besetzt. Er erklärte der Dame sein Anliegen und sie ließ ihn durch den Theatersaal auf die Seitenbühne, sodass er wieder im Backstagebereich stand.

Im Vergleich zu seinem ersten Besuch war hier nun wesentlich mehr los und die ersten Darsteller wuselten schon in ihren Kostümen herum. Die Show würde zwar erst in zwei Stunden stattfinden, aber sicherlich brauchte es einiges an Vorbereitung. Daher klopfte Louis etwas schüchtern an die Tür des Kostümraumes, weil er nicht in eine Anprobe hineinplatzen wollte.

Doch Harry war allein und kämpfte im Augenblick mit mehreren Straußenfedern, die er an einem Umhang festnähte.

»Ich dachte schon, du hättest mich vergessen«, sagte er und nickte zu dem Steamer hin, den er bereits eingesteckt hatte. »Oder kommst du etwa nur wegen diesem Ding? Der macht nur heiße Luft.«

»Heiße Luft ist genau das, was ich jetzt brauche. Mein Anzug sieht furchtbar aus«, sagte Louis und hängte das Jackett vorsichtig über die Halterung, um den Stoff dann glätten zu können. Es klappte ganz gut und er beeilte sich, fertig zu werden, um Harry nicht weiter bei der Arbeit zu stören.

Als er den Anzug vorsichtig wieder auf den Bügel hängte, hob Harry den Blick von den Straußenfedern.

»Willst du den jetzt wieder mitnehmen?«

»Natürlich, wieso nicht?«

»Nun, du kannst ihn gerne hier in eine Garderobe hängen und dich dann hier für deinen Auftritt umziehen. Da zerknittert er sicherlich weniger, als in deiner Kabine.« Er stand auf, legte sein Werkzeug beiseite und ging ihm voran aus dem Raum. »Komm mit, ich zeige dir einen freien Schrank in der Garderobe.«

Klavier und FedernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt