Kapitel 3

805 175 32
                                    

Im Halbdunkeln auf die Seitenbühne zu kommen war nicht leicht, schließlich kannte Louis sich nicht aus und wusste nicht genau, welche Gegenstände dort gelagert wurden, und er wollte nicht versehentlich irgendwo gegen prallen, oder ein Kulissenteil kaputtmachen.

Wie ein Schlafwandler tastete er sich weiter, ein wenig geblendet vom Licht des Notausgangs, kniff Louis die Augen zusammen und streckte die Hände aus. Mit einem Mal blendete ihn eine Taschenlampe und vor Schreck machte er einige Schritte zurück. Er stolperte über eine Kiste und noch ehe die andere Person »Achtung!«, rufen konnte, war er in einem Haufen Stoff gelandet und darin versunken, wie in einem Bällebad.

»Oje, da hab ich dich wohl erschreckt, das tut mir leid«, sagte die tiefe Stimme amüsiert und das Licht kam näher. Der Mann trat an die Kiste heran, legte die Lampe auf dem Rand der Kiste ab und streckte eine Hand aus. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Wer bist du? Ein Passagier?«, fragte er vorsichtig und zog ihn aus der Kiste.

»Ich bin der neue Pianist«, sagte Louis keuchend und zog einen wilden Rüschenstoff von seiner Schulter, dann richtete er sich auf und stieg aus der Kiste. Noch immer im Halbdunkeln konnte er sein Gegenüber kaum erkennen. Lediglich ein sehr markantes After-Shave drang ihm in die Nase und er spürte, dass der Mann ihn um mindestens einen Kopf überragte.

»Pianist bist du«, brummte der Mann und ließ seine Hand los. »Dann fasse ich dich lieber nicht allzu fest an, du brauchst deine Hände ja noch.«

Louis war nicht sicher, ob es Absicht war, aber es schwang ein gewisser anzüglicher Unterton in der Stimme mit, der ihm einen Schauer über den Rücken jagte und für einen Moment überkam ihn die Vision, von dem Unbekannten mit vollem Körpereinsatz gegen eine Wand gepresst zu werden. Allein der Geruch des Mannes war so dermaßen anziehend, dass er zweimal schlucken musste, bevor er etwas sagen konnte.

»Ja, ich brauche meine Hände noch, aber ich habe nichts dagegen, fest angefasst zu werden, weißt du? Oje, das sollte gar nicht so klingen ... also ich meine ...« Verwirrt ebbte er ab und schüttelte den Kopf.

»Also für mich klang es sexy und anzüglich. Aber im Guten«, sagte der Mann ganz ruhig und Louis hörte, dass er lächelte. »Ich bin Harry. Vielleicht ist es jetzt leichter, wo wir unsere Namen kennen.«

»Was ist leichter?«, fragte Louis und blinzelte gegen das Licht. Wie gemein von ihm, ihn so zu blenden. Harry würde jede Regung seines Gesichts sehen können, während er selbst sich in Dunkelheit hüllte.

»Miteinander zu reden, findest du nicht? Komm, ich zeige dir mal das kleine Theater«, sagte Harry und wandte sich ab. Louis blinzelte, um die kleinen Lichter vor den Augen loszuwerden und beeilte sich dann, Harry hinterherzukommen, der wieder zur Bühne gegangen war.

Erst, als er wieder ins Licht der Notbeleuchtung trat, konnte Louis den Mann erkennen und es traf ihn beinahe der Schlag, als dieser sich umdrehte und ihn anlächelte. Das Herz sprang ihm in die Kehle und sein Mund wurde, sofern das möglich war, noch trockener.

»Was ist? Du starrst mich an, als wäre ich ein Geist«, sagte Harry und fuhr sich durch die dunklen Haare. Sie hatten eine gute Länge. Gerade lang genug, um mit der Hand eine Faust darin zu bilden, wenn man Sex hatte. Seine Lippen - die eine verboten rote Farbe hatten, verzogen sich zu einem Lächeln und die Augen strahlten ihn an.

Louis wusste gar nicht, wo er zuerst hinsehen sollte.

»Weißt du, wie gut du aussiehst?«, platzte es aus ihm hervor und er blinzelte nervös. Sicherlich waren seine Ohren knallrot.

»Ja, das weiß ich, deswegen habe ich auch Modedesign studiert«, sagte Harry locker und grinste. »Aber vielen Dank für dein Kompliment, das freut mich.« Er zwinkerte und Louis kam sich vor, als hätte man seine Knie durch Wackelpudding ersetzt. Eine solche Wirkung hatte noch nie ein Mann auf ihn gehabt. Nicht in dieser Intensität, das war ja vollkommen irre.

»Muss man für Modedesign denn ein gewisses Schönheitsideal erfüllen?«, fragte Louis und räusperte sich, um den Kloß im Hals loszuwerden. Harry sah ihn an, schien kurz etwas erwidern zu wollen und sagte dann: »Du musst dich aber auch nicht verstecken, finde ich.« Er zwinkerte und Louis biss sich auf die Lippe. Wie konnte jemand finden, dass er gut aussah? Er war nicht sonderlich groß, auch kein Typ, der mit Muskeln angeben konnte. Und trotzdem fand Harry, dass er sich nicht verstecken musste?

»Danke, schön, dass du das so siehst.«

»Wer mir im Dunkeln, mit seiner Stimme einen solchen Schauer über den Rücken jagt, der hat was«, sagte Harry, zwinkerte erneut und ging dann durch die Tür, die Louis vorhin genutzt hatte. »Komm mit, ich zeige dir mal das Theater. Natürlich nur, wenn du es sehen möchtest«, sagte er über die Schulter hinweg und Louis folgte ihm eilig. Als was Harry hier wohl arbeitete? Wie ein Techniker sah er nicht aus. Allein, dass er Flip Flops trug – etwas, das hinter der Bühne aus Sicherheitsgründen nicht gestattet war – deuteten eher auf einen anderen Job hin.

»Hier ist der Proberaum«, sagte Harry, als sie die erste Tür geöffnet hatten, und lehnte sich gegen den Rahmen. Louis konnte Zawe sehen, die an der Ballettstange stand und auch vier andere Tänzer wärmten sich gerade auf. Einer davon bemerkte sie und zwinkerte Harry zu: »Na Schnucki, brauchst du noch Beschäftigung heute Abend?«, fragte der Mann, dessen dunkle Haut bereits schweißnass war. Er ging auf Harry zu, blieb dicht vor ihm stehen und sah ihm auf eine Art und Weise in die Augen, dass Louis allein vom Zusehen schon ganz heiß wurde. »Ich weiß, dass du Nein sagen wirst, aber du weißt auch genau, dass ich nicht locker lassen werde, bis ich deinen hübschen Arsch in meinem Bett hatte.«

»Gary, du weißt, dass ich selbst bestimme, wer an meinen Hintern darf. Du darfst ihn anfassen, wenn das dem Druck etwas Abhilfe schafft«, erwiderte Harry leise raunend, drehte sich um, drückte das Kreuz durch und ließ es zu, dass eine Hand des Mannes über den Stoff seiner Hose strich.

»Zu schade«, seufzte der Tänzer, leckte sich über die Lippe und ging wieder davon. »Du machst dich noch spannender, als du sowieso schon bist, Darling.«

»Ich weiß, das nennt sich Taktik«, erwiderte Harry und wandte sich dann an Louis, als wäre nichts gewesen, »komm, ich zeige dir den Rest.«

Klavier und FedernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt