Kapitel 6

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Louis durfte sich einen Spind aussuchen und hängte den Anzug hinein. So würde er ihn nicht ständig bügeln müssen. Wie gut, dass er Harry kennengelernt hatte, dachte er und schloss den Schrank ab. Dass Harry noch hinter ihm stand, spürte er ganz genau und sein Nacken kribbelte, als der Atem des Kostümdesigners auf seine Haut traf.

»Ich würde dir heute Abend liebend gerne zuhören, wenn du spielst«, sagte er leise und Louis schluckte.

»Dann tu's doch«, sagte er und drehte sich um. Harry war ihm näher, als er gedacht hatte, und sie standen höchstens eine Fußlänge voneinander entfernt. Mit einer Hand stützte Harry sich neben seinem Kopf gegen den Spind und seufzte bedauernd: »Ich kann nicht. Wenn du im Restaurant spielst, bin ich dort leider nicht zugelassen. Der Bereich ist nur für Gäste.« Er sah ihn an und Louis erwiderte den Blick.

Wie grün konnten Augen eigentlich sein?

Er räusperte, um den Kloß im Hals loszuwerden, was ihm gelang und er lächelte.

»Wenn du magst, kann ich dir ja auch so mal etwas vorspielen«, bot er an und Harry hob den Kopf.

»Du meinst, ich bekomme eine kleine Privatvorstellung?«, fragte er und eine Augenbraue wanderte in die Höhe.

»Wenn du das möchtest ...« Louis sah an ihm hoch und spürte die Hitze, die in einnahm und das Atmen schwer machte.

»Dafür bin ich auf jeden Fall zu haben, Louis.« Harry beugte sich vor, küsste ihn kurz und ziemlich hart auf die Lippen, dann drehte er sich in der Tür noch mal um. »Bis später.«

Louis konnte nicht anders. Er musste grinsen und genoss das wilde Toben seines Herzens. Wie schön es war, mal wieder ganz offensiv zu flirten. Das tat so gut und er fühlte sich mit einem Mal so begehrenswert und sexy, wie schon lange nicht mehr.

»Bis heute Abend«, sagte er leise und verließ dann ebenfalls den Raum.

Louis war unter den Ersten beim Abendessen in der Crew-Kantine und genoss die Stille. Im Bauch des Schiffes waren nur kleine Bullaugen eingelassen und man hatte eher das Gefühl, in einem Keller zu sitzen.

Schön war auf jeden Fall etwas anderes. Aber er war ja auch nicht hier, um Urlaub zu machen, sondern zu arbeiten und daher störte er sich nicht an fehlender Schönheit der Umgebung.

Das Essen war gut und Louis machte sich danach sofort wieder auf den Weg ins Theater, um sich dort umzuziehen. In einer halben Stunde würde das offizielle Abendessen starten und danach, wenn die Gäste sich noch einen Drink an der Bar genehmigen wollten, hatte er am Piano zu sitzen und zu spielen.

Beim Umziehen erwischte er sich dabei, dass er hoffte, Harry würde noch mal in die Garderobe kommen und er zog sich extra langsam um. Doch Harry tauchte nicht auf. Die Musik, die durch die Flure des kleinen Theaters klang, deutete aber darauf hin, dass man sich bereits auf die Show vorbereitete und sicherlich hatte er viel zu viel zu tun.

Kritisch musterte sich Louis im Spiegel hinter der Tür und drehte sich von der einen auf die andere Seite. Er sah gut aus – dieser Anzug hatte sich wirklich gelohnt. Stolz schloss er den obersten Knopf des Hemds und ging dann zu seinem neuen Arbeitsplatz.

Das Restaurant war schon gut besucht und das Klirren von Tellern und Gläsern, die Unterhaltungen der Gäste und das Klappern von hohen Schuhen auf dem glatten Holzboden, waren durch die Türen des Speisesaals zu hören. Die Bar nebenan lag noch ruhig da. Die Lampen über den Tischen waren noch nicht eingeschaltet und die Sessel aus Leder leer. Aber das Klavier stand schon auf der Bühne und eine junge Frau wischte ein letztes Mal mit einem Lappen über den schwarzen Lack des Flügels.

»Hallo, Sie müssen Mr Tomlinson sein«, sagte sie, als Louis zu ihr auf die Bühne kam, und sie schüttelten einander die Hand. »Ich bin Amy und übernehme später die Moderation.«

»Moderation?«, fragte Louis und überlegte kurz, ob er vielleicht Teil einer Show war, von der er nichts wusste, doch Amy schüttelte den Kopf.

»Keine Sorge, ich kündige Sie nur an und verabschiede Sie dann nach einer Stunde wieder. Unser Abendprogramm hier in der Bar besteht ja aus mehreren Programmpunkten. Nach Ihnen haben wir einen Zauberer und dann noch ein Tanzpaar, das die Gäste dann dazu animieren wird, selbst ein wenig das Tanzbein zu schwingen.« Sie lächelte und Louis deutete auf das Klavier.

»Darf ich mich denn schon warmspielen?«

»Natürlich. Das ist sogar gewünscht. Musik lockt die Gäste an«, sagte Amy und er setzte sich auf den Hocker.

Dass es die richtige Entscheidung gewesen war, diesen Job anzunehmen, wusste Louis bereits nach knappen zwanzig Minuten.

Zwar war er für viele Gäste nicht mehr als eine Hintergrundmusik, aber es gab auch einige, die sich ihm zuwandten und gebannt lauschten. Er konnte ihre Blicke nur im Augenwinkel erkennen, doch es gefiel ihm, dass er ihre Aufmerksamkeit bekam und zwischen den einzelnen Stücken sogar Applaus.

Im Studium war er meist nur beurteilt worden und jedes Konzert war als Bestandteil einer Prüfung mit wenig Spaß verbunden gewesen. Hier konnte er spielen, was er wollte, solange es zum Stil der Bar passte und der Abendunterhaltung diente und so verflog die Stunde schneller, als es ihm lieb gewesen wäre. Louis spielte nur Stücke, die er kannte, doch er nahm sich vor, die Zeit auf dem Schiff zu nutzen, um auch mal eigene Kompositionen auszuprobieren. Hier würde er sicherlich direkte Rückmeldung bekommen und das war für den kreativen Prozess unglaublich wichtig.


Klavier und FedernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt