Kapitel 2

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Das Schiff war enorm.

Vom Hafen aus hatte es schon wie ein schwimmendes Hotel ausgesehen und ganz und gar nicht den Eindruck eines Schiffes gemacht. Dieses Gefährt war einfach ein Klotz, der auf wundersame Weise auf dem Wasser schwamm und Platz für 5600 Passagiere bot.

Ein Blick durch ein Fenster am Hafen zeigte, dass die meisten wohl mittlerweile angekommen waren und an Bord gingen, denn der Hafen wimmelte nur so vor Menschen und Reisebussen. Er sollte die Zeit nutzen, in der alle Gäste noch ihre Zimmer suchten und bezogen, um sich einen Überblick zu verschaffen, dachte er und ging weiter durch die Lobby und ein Restaurant.

Fast eine Stunde war er unterwegs, doch er war sich sicher, bisher höchstens einen kleinen Teil des Ganzen gesehen zu haben.

Es gab eine Einkaufsmeile, mit Friseur, Beautysalon, Tattoostudio und Klamottenladen. Ein Schwimmbad unter und an Deck, einen Sportpark, der abends zur Partylocation umgebaut wurde, ein Sonnendeck, ein Fitnessstudio, Spielplätze, einen Yogaraum und einen Klettergarten.

Draußen war es heiß und schwül und er seufzte erleichtert auf, als er wieder in der klimatisierten Luft der Innenräume stand.

Die Bar und das Theater hatte er noch immer nicht gefunden und er zog einen Flyer aus der Hosentasche, um sich daran ein wenig zu orientieren. Ganz in der Nähe musste sich das Theater befinden – zumindest auf der Karte war das der Fall. Louis hob den Kopf, sah sich um und erblickte tatsächlich eine Doppeltür mit Glasfenstern, durch die man ins Foyer eines kleinen Theaters sehen konnte. Testweise drückte er dagegen, doch sie war verschlossen.

Er sah sich um, ob vielleicht ein Mitarbeiter zu sehen war, doch die waren gerade alle damit beschäftigt, die neuen Gäste in Empfang zu nehmen und da wollte Louis niemanden mit seinen Lappalien aufhalten.

»Suchst du was?«, fragte eine freundliche Stimme und als Louis sich umdrehte, stand er einer zierlichen jungen Frau gegenüber. Sie war eine Tänzerin, das verrieten ihre aufrechte Haltung und der hohe Knoten, zu dem sie ihr Haar zusammengebunden hatte.

»Ja, ich bin der Pianist für die Abendunterhaltung und ich soll im Theater spielen. Deswegen wollte ich mir das gerne mal ansehen. Aber ich weiß nicht, wie ich reinkomme. Diese Tür ist zumindest zu«, sagte Louis und deutete auf die Doppeltür.

»Ja, die machen die Tür erst zur Vorstellung auf. Komm mit, ich zeige dir den Hintereingang. Ich bin Zawe und schon das zweite Jahr hier auf dem Schiff engagiert.«

»Ich bin Louis und das ist mein erstes Engagement. Ist es schön hier?«, fragte er und folgte Zawe, die leichtfüßig vor ihm hertrippelte.

»Nun, als Mann ist es sicherlich toll. Als Frau muss man sich ein bisschen in acht nehmen. Vor allem sollte man die Finger vor jedem lassen, der Streifen auf den Schultern trägt. Die Männer in Uniform denken häufig, sie könnten sich alles nehmen, was sie wollen und da muss man als Frau schnell Grenzen setzen. Du wirst es leichter haben.«

»Oh, ich bin nicht hier, um jemanden aufzureißen«, sagte Louis schnell und senkte die Stimme, als ein Mitarbeiter in Uniform an ihnen vorbeiging. »Aber ich werde es mir merken, danke für den Rat, Zawe.«

»Kein Problem, man tut, was man kann«, sagte sie lachend und schob eine Chipkarte durch einen Schlitz einer unauffälligen Tür und drückte diese auf. Louis folgte ihr neugierig einen schmucklosen Flur entlang und dann zwei schmale Treppen hinunter.

»Woher bekomme ich eine solche Karte?«, fragte er und deutete auf die Plastikkarte, die Zawe an einem Band um den Hals trug.

»Die wird dir von Danny ausgehändigt. Sie öffnet nur die Türen, zu denen du offiziell Zugang haben darfst. Wenn also eine Tür nicht aufgeht, dann hat das seine Richtigkeit.« Sie trippelte einen langen Flur entlang, der von grellen Neonröhren beleuchtet war. »Hier geht es zum Proberaum, dem Requisitenlager, dem Kostümfundus und den Garderoben. Das steht alles an den Türen. Und hier ist die Bühne.« Zawe drückte eine weitere Tür auf und Louis reckte den Hals, um an ihr vorbei auf die Bühne sehen zu können.

Sonderlich groß war die Bühne nicht, aber das war ihm auch ganz recht, sonst würde er sich hinter seinem Klavier total verloren vorkommen.

»Weißt du, ob der Flügel hier auf der Seitenbühne steht?«, fragte Louis und sie zuckte die Schultern.

»Das weiß ich nicht, aber du kannst ja mal nachschauen. Ich muss jetzt zu meinen Kollegen, wir haben Probe für heute Abend«, sagte die Tänzerin, lächelte ihm zu und ging dann den Flur entlang zum Proberaum. Die Tür fiel hinter ihr zu und Louis stand allein auf der Bühne.

Die roten Sitzpolster der Ränge leuchteten in satten Farben zu ihm hin und die goldenen Geländer glänzten. Ein wenig kitschig war es, aber zu einem Theater passte das Ambiente sehr gut. Wenige Lampen an den Wänden tauchten alles in schwaches Licht und ehrfürchtig trat Louis einige Schritte nach vorn.

Sein erster Job als Pianist. Das erste Mal, dass er für das, was er gelernt hatte, richtig gut bezahlt und nicht nur heruntergehandelt wurde.

Zum Leidwesen vieler Künstler gingen viele davon aus, dass man seinen Job aus purem Spaß machte und dafür nicht entsprechend bezahlt werden musste. Scheinbar durfte in den Augen der Öffentlichkeit niemand Spaß bei seiner Arbeit haben.

Eine ziemlich dumme Einstellung und immer wieder ärgerlich. Dementsprechend froh war Louis nun, dass er endlich mal Geld für seinen Beruf bekam. Andächtig ging er einige Schritte bis zur Mitte der Bühne und ließ den ganzen Raum auf sich wirken, genoss das Glücksgefühl, das ihn durchströmte und machte sich dann auf die Suche nach dem Klavier. Wenn es auf der Seitenbühne stand, würde er vielleicht noch einige Akkorde spielen können, um wenigstens das Instrument ein wenig kennenzulernen. Schließlich wollte er in wenigen Stunden nicht ins kalte Wasser geworfen werden.

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Endlich Mal für den Job bezahlt werden und dann auch noch umsonst auf dem Schiff leben. Eigentlich ein ganz guter Start oder?

Klavier und FedernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt