9. Kapitel

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Wie Sirius einmal festgestellt hatte, hatte es durchaus seine Vorteile, ein Obscurial zu sein. Zumindest, wenn man den Obscurus im Griff hatte, wie es bei mir der Fall war – zumindest meistens. In meiner Obscurusgestalt konnte ich mich als dunkler Schatten fortbewegen, wodurch ich mich bestens auch während der Nachtruhe durchs Schloss schleichen konnte. Im Moment vom Gemeinschaftsraum der Finjarelles – ich hatte mich noch nicht zurück zu den Gryffindors getraut – hinunter in die Kerker zum verborgenen Alchemielabor, das Salazar Slytherin einst eingerichtet hatte und das mein Vater nun benutzte. Ich kannte den Weg dorthin gut, denn dort hatten wir uns letztes Jahr jeweils getroffen, um für Remus den Wolfsbanntrank zu brauen. Nun allerdings wünschte ich mir, dass ich ihn doch nicht so gut gekannt hätte, dann hätte ich die Ausrede, mich auf diesem Weg in die hintersten Winkel der Kerker verirrt zu haben. Ich musste immer wieder daran denken, wie ich letztes Jahr in der Heulenden Hütte die Beherrschung verloren und meinen Vater angegriffen hatte. Seither war ich jedem Gespräch mit ihm aus dem Weg gegangen und auch er hatte es nicht sonderlich eilig gehabt, mit mir zu sprechen. Nicht nachdem ich mich so offensichtlich auf die Seite von seinem alten Schulfeind Sirius gestellt hatte. Wenn er nun noch wüsste, dass Jake – dass James Potter am Leben war und ich in den Sommerferien öfters mit den beiden zu tun gehabt hatte ...

Viel zu schnell war ich an der leeren Steinwand angekommen, in der ein Stein eine leicht bläuliche Färbung hatte, kaum zu sehen, wenn man nicht danach ausschau hielt. Nachdem ich mich vorsichtig umgeschaut hatte, nahm ich wieder meine menschliche Gestalt an, drückte gegen den blauen Stein und ...

Eine kühle Hand strich nervös über meine Stirn. Blinzelnd sah ich in das blasse Gesicht, das im Licht der blauen alchemistischen Flammen noch blasser wirkte. In diesem Licht erschien immer alles seltsam, aber diesmal schien es das noch mehr ... die Perspektive stimmte nicht. Ich lag nur halbwegs bequem auf ein paar zusammengeschobene ... Kisten? ... gebettet. Sev beobachtete mich besorgt.

«Was ist los?», nuschelte ich. Es fiel mir schwer, die Wörter richtig auszusprechen und ich war vollkommen erschöpft.

«Du bist vor meinem Labor zusammengebrochen, das ist los», antwortete mein Vater mit dunkler, fast schon ärgerlicher Stimme und hielt mir dann ein Glas entgegen, das mit einem fingerbreit Zaubertrank gefüllt war. Aufpäppeltrank nahm ich an. Und es half tatsächlich.

Nachdem ich das ekelhafte Zeugs getrunken hatte, legte Sev wieder seine Hand auf meine Stirn und nickte dann leicht. «Schon besser. Du warst vorhin kalt wie –» Kalt wie der Tod hatte er sagen wollen.

«Weshalb hat dich der Obscurus ausser Gefecht gesetzt?», fragte er stattdessen.

Ich wusste es nicht. Nun ja ... wenn ich ehrlich war, hatte es sich anders angefühlt als früher, als ich heute die Obscurusgestalt angenommen hatte. Inwiefern konnte ich nicht sagen.

«Ich weiss es nicht», gestand ich ein. Sev nickte und kniff dann plötzlich die Augen zusammen und drehte mein Kinn herum, bis das Licht der blauen Flammen mir direkt ins Gesicht schien.

«Was ist los?», fragte ich erneut verwirrt.

Mit einer müden Geste fuhr mein Vater sich übers Gesicht. «Deine Augen, Adrienne. Sie sind wieder ganz schwarz.»

«Der Obscurus», murmelte ich. «Letztes Mal ...» Ich verstummte. Das letzte Mal, als ich meinen Obscurus gerufen hatte, war bei dem Ritual gewesen. Auch danach waren meine Augen vollkommen schwarz gewesen. Tagelang. Und was hatte Dumbledore gesagt? Er hatte gesagt, mein Obscurus sei ... zerrissen? Hatte es sich deshalb heute so seltsam angefühlt?

Ich versuchte mich aufzurichten, liess mich aber sofort wieder zurücksinken und schnappte schmerzerfüllt nach Luft. Etwas stimmte nicht. Da war ein Schmerz, ein greller Schmerz an meiner Seite ... Ich tastete mit meiner Hand unter dem Shirt danach.

Unfriedliche Zeiten - Adrienne Seanorth 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt