31. Kapitel

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Wieder wurde ich unsanft der Dunkelheit entrissen. Wut, Sorge und Angst tobten in meiner Brust und ich konnte mir nicht erklären weshalb. Etwas wurde gegen meine Lippen gedrückt, von denen ich bis eben nicht gewusst hatten, dass sie existierten. Eine warme Flüssigkeit rann meine Kehle hinab und dann war da Schmerz, alles verschlingender Schmerz. Die Punkte tanzten wieder um mich herum, einen schnellen, verwirrenden, schwindelerregenden Tanz. Verzweifelt versuchte ich die schwarzen Punkte festzuhalten, ihre Ruhe zurückzuholen.

«Sie braucht noch mehr», war eine verzerrte Stimme zu hören.

Wieder spürte ich etwas an meinen Lippen, wieder rann eine Flüssigkeit meine Kehle hinab und der Schmerz wurde stärker. Stärker und immer stärker. Ein Schrei entwich meinen Lippen und brach nicht mehr ab.

Ein weiteres Fläschchen, das gegen meine Lippen gedrückt wurde. Verzweifelt versuchte ich mich zu wehren, schlug mit Armen und Beinen um mich. Ich wollte nicht, dass der Schmerz noch stärker wurde. Das könnte ich nicht ertragen. Es war schon jetzt zu viel. Starke Arme hielten mich fest, eine Hand drückte mir die Nase zu und ich schluckte die Flüssigkeit reflexartig.

Und der Schmerz flaute etwas ab.

«Mehr», war die verzerrte Stimme wieder zu hören.

Noch mehr Flüssigkeit und der Schmerz flaute weiter ab.

«Können wir es verantworten, ihr noch mehr zu geben?»

«Nein, es könnte ihr bleibende Schäden zufügen, es ist bereits jetzt zu viel.» Eine andere Stimme.

«Noch einen Stärkungstrank?» Wieder die erste Stimme.

«Auch davon hat sie bereits zu viel intus, Poppy. Fünf ganze Fläschchen, mehr können wir ihr nicht geben, ohne sie zu vergiften. Vielleicht ist es jetzt schon zu spät.» Die zweite Stimme.

«Gebt ihn ihr!» Ein Knurren, dessen Wut seinen Ursprung in meiner Brust zu haben schien. Aber es waren nicht meine Worte. Worte waren etwas, die weit ausserhalb meiner Möglichkeiten lagen. Ich konnte nur schreien und um mich schlagen, aber beides schien im Moment nicht notwendig zu sein.

«Was verstehst du schon von Zaubertränken, Carlion.» Die zweite Stimme.

«Gib. Ihr. Den. Stärkungstrank!» Das Knurren war lauter und die Wut in meiner Brust stärker.

Dann war da erneut Flüssigkeit. Doch nicht nur an meinen Lippen. Eisig kaltes Wasser lief mir über Stirn und Wangen, Nase und Mund, durchweichte mein Haar und rann eisig meinen Hals hinab auf meine Brust. Ich zitterte und meine Lider flatterten, doch mir gelang es nicht, die Augen zu öffnen.

«Seht ihr, die klassische Methode funktioniert immer», sagte eine vierte Stimme entschlossen.

«Ich denke nicht, dass die 'klassische Methode' sehr hilfreich ist, wenn es ums Heilen geht, Miss Seanorth!», sagte die erste Stimme bissig.

«Natürlich tut sie», schoss die vierte Stimme genauso bissig zurück. «Ich bin nur noch nicht fertig! Gawain, lass Adrienne los. Leg sie hin.»

Die warmen, starken Arme, die mich umfangen hatten, verschwanden, stattdessen spürte ich kühlen Boden unter mir. Dann waren da Hände auf meiner Brust und heisse, leuchtende Energie schoss durch meinen Körper und liessen jeden Nerv kribbeln, jeden Muskel zittern, vertrieb den letzten Rest Nebel, der über meinen Gedanken lag. Ich riss die Augen auf und sah in das finster entschlossene Gesicht meiner Ma, deren Magie ungestüm durch meinen Körper tobte, auf meine Magie traf, die noch kläglicher war als sonst, und diese mit ihrer nährte wie ein winzig kleiner Funke, der auf ein trockenes Stück Holz sprang und langsam aber unaufhaltsam zu einer tosenden Feuersbrunst wurde.

Unfriedliche Zeiten - Adrienne Seanorth 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt