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Im Auto wurden Jihoon und Jun von einem stechenden Zigarettengeruch begrüsst. Voldemort sass entspannt zurückgelehnt auf seinem Sitz und blies den Rauch in die Luft. Anders als bei Joshua und Hansol trug er keine Gesichtsmaske und somit konnten die beiden ihn gut erkennen.

Seine Augen waren aussergewöhnlich schmal und zeigten schräg nach oben. Die Nase war breit und ein Piercing schmückte sein rechtes Nasenloch. Das Auffälligste waren jedoch seine Lippen: Eine Narbe zog sich von seiner Oberlippe, über die Unterlippe bis zum Kinn hinunter. Voldemort war aussergewöhnlich blass; zumindest in diesem Aspekt wurde er seinem Namen gerecht.

«Ich hatte um Choi Seungcheol gebeten, nicht um zwei seiner Schosshündchen», brummte er und schnippte gegen seine Zigarette. An seinen kräftigen Händen steckten mehrere Ringe, die aus echtem Gold bestanden. Das vermutete Jun zumindest.

«Genau dort liegt das Problem», antwortete Jihoon. «Seungcheol hat zwar den Diamanten, aber er bekam ihn nicht so, wie Sie denken. Er ist ihm in die Finger geraten. Mit Tiger hat er nichts zu tun.»

«Mit Tiger hat er nichts zu tun, ja?», wiederholte Voldemort und grinste. Dabei kamen gelbe Zähne zum Vorschein. «Das soll ich euch glauben?»

«Würden wir lügen, kämen wir nicht mit einem Angebot zu Ihnen», gab Jihoon zurück.

«Was denn für ein Angebot?», fragte Voldemort und leckte sich über die Lippen.

«Sie geben uns vier Monate Zeit, Tiger ausfindig zu machen», erwiderte Jihoon.

Jun zuckte erschrocken zusammen. «Spinnst du, den finden wir niemals!», zischte er, doch Jihoon ging nicht darauf ein.

«In diesen vier Monaten lassen Sie meine Freunde und mich in Ruhe – Seungcheol eingeschlossen. Danach kriegen Sie, was Sie wollen.»

«Hm.» Langsam schmiss Voldemort seine Zigarette auf den Boden und zündete sich eine neue an. «Ich gebe euch einen Monat, mir Tiger auszuliefern und den Diamanten zurückzugeben.»

«Drei Monate», schoss Jihoon zurück, «es ist nicht ganz einfach, jemanden aufzuspüren, von dem man nur den Decknamen kennt.»

«Zwei Monate sind mein letztes Angebot», gab Voldemort zurück.

«Abgemacht» Jihoon streckte die Hand aus und Voldemort ergriff sie.

«Du hast Mut, Kleiner. Gefällt mir», säuselte er.

«Jeder muss mal mutig sein», antwortete Jihoon ungerührt.

«Na dann. Hat mich gefreut, mit dir Geschäfte zu machen», grinste Voldemort, «wir sehen uns in zwei Monaten wieder.»

Jihoon nickte und wollte gerade hinter Jun aus dem Auto steigen, als ihm noch etwas einfiel. «Sagen Sie mal, warum wissen Sie eigentlich nicht, wer Tiger ist? Kennen Sie keine Identitäten ihrer Mitarbeiter?»

«Das wüsstest du wohl gerne, was?» Voldemort lachte kehlig, aber es klang nicht fröhlich, sondern wütend. «Für den Diebstahl des Diamanten heuerte ich die Besten der Besten an. Er bedeutet mir nämliche sehr viel, musst du wissen. Einer von ihnen war eben Tiger. Als Belohnung hätte er eine grosse Summe Geld erhalten, wenn er mich nicht verarscht hätte.» Aggressiv schlug er mit der Faust in seine hohle Hand. «Dieses Miststück trug immer eine Tigermaske und benutzte einen Stimmverzerrer. Deswegen habe ich keine Ahnung, wer er sein könnte. Wenn ich ihn erwische, ist er tot. Niemand legt sich ungestraft mit Voldemort an!»

«Wir werden ihn für Sie finden», versprach Jihoon.

Voldemorts Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. «Das rate ich dir, mein Freund. Sonst wird es sehr unangenehm für euch. Jetzt verschwinde, ich habe dir schon viel zu viel erzählt.» Ungeduldig wedelte er mit der Hand.

Eilig verliess Jihoon das Auto.

So schnell wie möglich entfernten sich die drei von Voldemort. Erst auf einem kleinen Platz mitten in Seoul hielten sie an und mussten sich setzen. «Der war ja gruselig», murmelte Jun und atmete tief ein, «mit dem will ich nie mehr etwas zu tun haben.»

«Was ist denn dabei rausgekommen?», wollte Wonwoo wissen. Als er die Antwort erhielt, wurde er blass. «Wie sollen wir bitte Tiger in zwei Monaten finden?»

«Das muss ich noch herausfinden», antwortete Jihoon, «fürs erste war einzig unsere Sicherheit mein Ziel.» Sie schwiegen.

Schliesslich räusperte sich Jun. «Wir sollten langsam zu den anderen zurückgehen», denkst du nicht auch Jihoon? Mit Streit kommen wir nirgendwo hin.»

Müde seufzte Jihoon. «Ich weiss. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich schon bereit bin, Seungkwan unter die Augen zu treten.» Er rieb sich über die Augen. «Hatte Seungkwan Recht? Komme ich wirklich so rüber, als denke ich, ich sei der Beste?», fragte er mehr zu sich selbst.

«Naja, manchmal schon», erwiderte Wonwoo vorsichtig, «aber jeder hat seine Schwächen! Auch Seungkwan.»

Jihoon schwieg und Jun legte ihm einen Arm um die Schultern. «Komm, Ji. Gehen wir nach Hause. Seungkwan vermisst dich, da bin ich mir sicher. Wir schaffen das, zusammen.» Tatsächlich liess sich Jihoon überreden und sie machten sich auf den Heimweg.

• ⁓ 💎 ⁓ •

Aufgewühlt sass Chan Zuhause in seinem Zimmer, während seine Gedanken kreisten. Seine Freunde glaubten ernsthaft, Soonyoung sei kriminell. Soonyoung. Kriminell. Chan fragte sich, wie es so weit hatte kommen können.

Er griff nach seinem Handy und rief Soonyoungs Kontakt auf. Sein Daumen schwebte über der Tastatur. Sollte er es ihm erzählen oder nicht? Entschlossen tippte er eine Nachricht ein.

Dino🦖: Hey Youngie, die anderen denken, du hast den Diamanten gestohlen. Stimmt das?

«Nein.» Chan löschte die Nachricht wieder.

Dino🦖: Hast du etwas mit dem Diebstahl des Diamanten zu tun?

«Nein, auch nicht.» Stöhnend schmiss Chan das Handy auf sein Bett. «Was soll ich bloss tun?», jammerte er. Langsam stand er auf und schleppte sich unter die Dusche, mit der Hoffnung, das kühle Wasser bringe etwas Ordnung in seine Gedanken.

Doch als er wieder aus dem Bad kam, hatte er immer noch keine Idee. Entmutigt legte er sich aufs Sofa im Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Es lief irgendein K-Drama, doch es zog nur an Chan vorbei, ohne, dass er sich etwas merken konnte.

Irgendwann gab er auf und schmiss die Fernbedienung weg. Was jetzt wohl die anderen machten? Ahnte Soonyoung, dass irgendetwas nicht stimmte? Schon mehrmals hatte Chan festgestellt, dass Hoshi, wie er sich so gerne nannte, sehr sensibel gegenüber Veränderungen war. Wenn es Chan nicht gutging, war Soonyoung meistens der erste, der ihn darauf ansprach und ihm zuhörte.

«Und was ist mit seinen unzähligen, unbegründeten Absenzen?», drängte sich Hansols Stimme in seine Gedanken.

Es stimmte. In letzter Zeit war Hoshi tatsächlich öfters verschwunden, ohne jemandem zu erzählen, warum. Er war irgendwie anders gewesen als sonst: Schweigsamer und verschlossener. Klar, jeder war in seinem Leben manchmal nicht gut drauf, aber was, wenn das Ganze eine andere Bedeutung hatte?

«Niemals.» Entschieden schüttelte Chan den Kopf. «Ich kenne Soonyoung. Er ist nicht so.» Doch der leise Zweifel hatte sich bereits in ihm eingenistet. Wie Gift hatte er die Gedanken der anderen verseucht und verunsicherte jetzt auch Chan. Immer mehr Raum wurde davon eingenommen und brachte Chan beinahe um den Verstand. Schliesslich sprang er auf. Die einzige Möglichkeit, sich davon zu überzeugen, dass Soonyoung unschuldig war, war, ihn zu konfrontieren. Ihn zu fragen. Aber nicht über KakaoTalk, sondern persönlich.

Chan ging in den Keller und holte seinen Koffer hervor. Er stopfte wahllos irgendwelche Klamotten hinein und schloss den Reissverschluss. Dann zog er sich eine Jacke über und trat aus dem Haus. Zum Glück wohnte er nicht weit von der City Hall Station in Seoul entfernt. Von dort fuhr nämlich die U-Bahn, die ihn nach Incheon bringen würde.

An der Haltestelle löste er ein Ticket und wartete auf die Ankunft der Bahn. Mit quietschenden Bremsen hielt diese vor ihm an und Chan stieg ein. «Ich werde es herausfinden», murmelte er zu sich selber, «ich werde beweisen, dass Soonyoung unschuldig ist.»

Home; Run -SEVENTEEN FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt