Kapitel 20

48 3 2
                                    

Kendall hatte die Nacht im Auto verbracht, weil er sich sowieso kein Hotelzimmer hätte leisten können, was eine ziemliche Umstellung war, wenn man doch einige tausende Dollar verdiente und sonst immer einen gewissen Standard genoss. Er versuchte sein zerzaustes Haar vergeblich im Rückspiegel zu ordnen, stieg dann aus dem Auto und streckte seine langen Glieder, die sich anfühlten wie zerknittert. Eine kleine ältere Frau auf der anderen Straßenseite beäugte ihn abschätzig. Ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass Daliah sich mit ihm in einer Viertelstunde treffen wollte. Er kramte in seinen Hosen- und Jackentaschen und fand glücklicherweise noch einen halben Kaugummi. Dann hatte er  wenigstens keinen Mundgeruch, wenn er ihr gegenüberstand. Da er den Weg erst einmal finden musste, ging er jetzt schon los. Die alte Frau rief ihm empört „Gesindel!“ hinterher, doch er drehte sich nicht mehr zu ihr um. Scheinbar war  er tatsächlich in Deutschland nicht so bekannt wie in Amerika, obwohl er Frauen in dem Alter wie die Frau, die er weiter hinter sich murren hören konnte– abgesehen von seiner Oma und dessen Freundinnen – wahrscheinlich sowieso unbekannt war. Er zuckte mit den Schultern und wandte seine Aufmerksamkeit lieber auf den Weg zu besagtem Café, den er erst noch finden musste. Als er an einem großen Schaufenster vorbei kam, versuchte er abermals seine strubbeligen Haare in eine glatte Form zu bringen, doch es brachte nichts, also ging er weiter, als ihn eine Mitarbeiterin in dem Laden verwundert musterte. Vielleicht würde Daliah das gut finden, schließlich sah er so etwas verwegen aus. Oder einfach nur, wie jemand, der gerade erst aus dem Bett gestiegen war.

Schließlich kam es, wie es kommen musste und der große Blonde verfranzte sich total in der fremden Stadt. Er hatte sich schon gewundert, dass er es überhaupt bis zu Daliah geschafft hatte, ohne sich auf den ganz anders beschilderten Autobahnen zu verirren, doch jetzt hatte ihn sein Glück verlassen. Zehnmal drehte er um und lief zu der Kreuzung zurück, an der er schon gewesen war um sich erneut zu orientieren. Das hatte zur Folge, dass er Daliah schon zehn Minuten warten ließ, was er hätte vermeiden können, hätte er sein Handy ihn mit Google Maps zu dem Café navigieren lassen, doch da er einfach ganz nach seinem Lebensmotto völlig unorganisiert war, dachte er natürlich nicht daran. Letztendlich schaffte er es doch und stand glücklich vor dem kleinen Laden, dessen Front verglast war. Er beugte die Personen an den Tischen, die man durch die Scheibe sehen konnte. Daliah hatte gesagt, sie würde ein königsblaues Strickkleid anziehen, damit er sie erkennen konnte. Er lies seinen Blick über die erste Reihe, die die direkt am Fenster stand gleiten, dann über die zweite und blieb an einer Brünetten in blau hängen. Das musste sie sein! Kendall setzte sich mit großen Schritten in Bewegung, als sich Daliah umdrehte, die ihn jedoch nicht sah. Abrupt blieb er stehen. Sofort hupten die Autos und fuhren um ihn herum, weil er keine Anstalten machte, sich dort weg zu bewegen. Er konnte einfach die Gewissheit nicht fassen, die sich gerade brutal in sein Gehirn bohrte. Die junge Frau im blauen Kleid, Daliah, war niemand anderes als Amy Starlet. 

E-Mail für KendallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt