Kapitel 21

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Was war bloß mit den Männern los? Und da sagte man, dass Frauen kompliziert waren. Daliah schüttelte den Kopf und riss sich aus den Gedanken, die sie aus dem großen Fenster im Wohnzimmer ihrer Eltern hatten starren lassen, ohne jedoch wirklich etwas zu sehen. Sie saß mit ihrem neuen Skizzenbuch, dass ihr kleiner Bruder Fabi ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, in einem großen Ohrensessel und sinnte über Shay und Logan nach, anstatt etwas aufs Blatt zu bringen, wie sie eigentlich vorgehabt hatte.

Sie hatte sich schon längst eingestanden, dass es sie sehr verletzte, dass Shay sie nicht nur versetzt, sondern sich seit dem auch nicht mehr gemeldet hatte. Egal, wie oft sie ihm geschrieben hatte, er hatte nicht geantwortet. Sich keiner Schuld bewusst hatte sie stundenlang darüber nachgegrübelt, was sie getan haben könnte, dass er sie jetzt so von sich stieß. Sie war zu keinem Ergebnis gekommen. Sie glaubte ihn verloren zu haben und dieser Schmerz schnitt tief. Doch sie würde sich die Wunden lecken und ihn überstehen, das nahm sie sich vor. Sie würde auf jeden Fall nicht so enden wie Mia, die jetzt wahrscheinlich eine Therapie machte, wenn ihre Eltern das Richtige taten. Von ihr hatte sie seit dem sie abgefahren war auch nichts mehr gehört, obwohl sie ihr vorher erzählt hatte, wie Shay sie erschreckt hatte, indem er unter ihrem Fenster in der Dunkelheit gelauert hatte. Wäre sie noch die Alte gewesen, hätte sie das unheimlich spannend gefunden und Daliah über alle Einzelheiten ausgequetscht. Doch die veränderte Mia hatte nicht merklich darauf reagiert. Lediglich war kurz ein Ausdruck von tiefem Hass über ihr Gesicht gehuscht, doch das konnte sie sich auch eingebildet haben. Und dann, am nächsten Tag, nachdem  ihre beste Freundin ohne Worte abgereist war, hatte Shay sie einfach im Café sitzen lassen.

Logan  - im Gegensatz zu Shay -  konnte sie schon besser verstehen. Er hatte sich oft bei ihr gemeldet, doch sie hatte ihn auf Abstand gehalten, weil sie merkte, dass er es ernst mit ihr meinte und sie wusste nicht, ob sie diese Gefühle gleichermaßen erwiderte. Und nun hatte er ihre zögerliche Weise anscheinend satt und meldete sich ebenfalls nicht mehr bei ihr. Doch warum er ihre Anrufe oder SMS ignorierte, verstand sie nicht. War er etwa beleidigt?

Daliah setzte die Spitze des Grafitstifts aufs Blatt, hielt kurz inne, setzte wieder an und zeichnete dann doch nicht. Der einzig normale Mann in ihrem Leben war ihr kleiner süßer 14jähriger Bruder, der sich zwar auch seltsam verhielt, jedoch gerade so dermaßen in der Pubertät steckte, dass dies nachvollziehbar war. Zudem verzieh sie ihm sowieso alles, weil sie einfach so froh war, ihn mal wieder zu sehen. Seit sie nämlich allein wohnte in der Nähe ihrer Uni, war sie kaum zuhause.

Schließlich klappte sie das Skizzenbuch zu und stand auf, dann wählte sie Shays Handynummer und rief an. Es klingelte. Und klingelte und klingelte, doch niemand ging ran. Seufzend gab sie ihren Versuch auf, just in dem Moment, als Fabi die Treppe heruntergetrampelt kam und mit seiner im Stimmbruch begriffenen , sich überschlagenden  Stimme rief: „Liah! Guck mal!“

Die letzten zwei Stufen übersprang er und seine Turnschuhe mit der dicken Sole rumsten mit ihm auf den Boden.

„Was ist los?“ Die Brünette schob das Handy in die Hosentasche und legte ihre Arme von hinten um den Hals ihres nur noch wenige Zentimeter kleineren Bruders. Dieser schüttelte sie ab und deutete auf das Magazin, dass er in der Hand hielt: „Ein Artikel von dir wurde gedruckt! Du hast gar nicht gesagt, dass du wieder schreibst…“ Daliah zog ihm das Heft aus den Fingern. Sie hatte doch gar nichts geschrieben. War da vielleicht ein Druckfehler hineingeraten?

Doch ehe sie auch nur das Deckblatt betrachten konnte, schnappte sich Fabi wieder das Magazin. Er schlug es auf und las: „Sänger oder Vergewaltiger? – Die Wahrheit über Kendall Schmidt, Mitglied der Boyband „Big Time Rush“, ein Artikel von Amy Starlet.“

Wie konnte das sein? Sie hatte nichts eingereicht und klipp und klar dem Verlag gesagt, dass sie nicht schreiben wollte. Da musste ein Fehler unterlaufen sein. Vielleicht hatte jemand anderes im Dreck von Kendall gewühlt. Sie jedenfalls hatte ihre Notizen weggeworfen.

„Du hast ja sogar mit ihm ein Interview gemacht…“ Stellte Fabi fest. Daliah entriss ihm erneut die Zeitung. Sie konnte es nicht fassen: Da stand Wort für Wort ihr erzwungenes Interview mit Kendall nach dem Konzert, ihre Notizen fast eins zu eins und alles über ihre Beobachtungen von Kendall mit Rachel, der Stalkerin abgedruckt. Wie konnte das sein?

Fabi machte immer größere Augen, während er den Artikel, der sich über zwei Doppelseiten erstreckte, über ihre Schulter las.

„Da hast du aber echt alles über den ausgegraben, der kann seine Karriere vergessen…“ Seine Stimme klang, als ob er Mitleid mit Kendall hatte, schließlich wusste er, dass die Artikel in dieser Zeitung, auch die die ich schrieb, nicht allzu viel mit der Wahrheit zu tun hatten, oder diese einfach verdrehten.

„Ich war das aber nicht…“ stammelte Daliah und bekam dafür nur einen ungläubigen Blick seitens ihres Bruders.

„Ja, ist klar…Wenn du dir damit bloß keine Feinde machst…“ Gab er nur schlicht zurück und ließ sie dann alleine stehen.

Kein Wunder, dass Logan sie ignorierte: Für ihn hatte sie sein Versprechen gebrochen.  Er konnte ja nicht wissen, dass ihr Artikel sich auf mysteriöse Weise selbst veröffentlicht hatte. Sie biss sich auf die Lippe. Wenn ihr eigener Bruder ihr nicht glaubte, würde Logan ihr dann glauben? Der Gedanke schlich sich in ihren Kopf, wenn sie es gar nicht erst versuchte, es ihm zu erklären, dann wäre Logan kein Problem mehr. Sie müsste sich nicht darüber klar werden, ob sie Gefühle für ihn hatte oder nicht. Und er hätte seine Ruhe von ihr. Denn sie war sich bewusst, dass ihr Verhalten ihm gegenüber, ihn so zappeln zu lassen, sehr egoistisch war. Doch dann wurde ihr klar, dass sie ihn eigentlich zu sehr mochte, um ihn so gehen zu lassen. Was natürlich, wie sie wusste, ebenso egoistisch war.

Sie ging in ihr altes Zimmer, dass ihre Eltern, seit sie ausgezogen war, nicht verändert hatten und schnappte sich ihr Handy, dann warf sie sich aufs Bett. Sie überlegte, wie sie Logan die Situation erklären konnte und ob er sie bei ihrem schlechten Englisch überhaupt verstehen würde, ob wohl sie dieser Sprache schriftlich mehr Herr war, als gesprochen. Sie drehte ihre Haare zu einem dicken Strang zusammen, lies sie los, sodass sie sich wieder lösten und drehte sie dann erneut ein. Sie tippte immer wieder eine SMS, löschte sie dann wieder, weil sie nicht von ihren Worten überzeugt war. Ohne eine vernünftige Erklärung würde er ihr auf keinen Fall glauben. Das hätte sie auch nicht getan an seiner Stelle. Und schon gar nicht, wenn er ihre beste Freundin öffentlich bloß gestellt hätte. Erst jetzt dachte sie über Kendall nach. Er war eigentlich der, der jetzt sicher unter diesem Artikel, der sicher auch in astreiner Übersetzung überall in Amerika zu kaufen war, litt. Ihr schlechtes Gewissen zog ihr den Margen schmerzhaft zusammen. Doch bei ihm konnte sie sich nicht entschuldigen, sie hatte nicht einmal seine Nummer. Also tat sie das Einzige, dass ihr einfiel: Sie schrieb Logan eine ausführliche Entschuldigung, mit der spärlichen Erklärung, die sie nur zur Verfügung hatte für Kendall, obwohl sie wusste, dass sie nicht viel wert war. Das würde den Artikel sicher nicht ungeschehen machen. Doch sie würde sich noch etwas einfallen lassen, um das alles wieder gerade zu biegen, schließlich war es ihr Artikel, auch wenn sie ihn nicht veröffentlicht hatte. Und dann würde alles wieder mit Logan und sicher auch mit Shay, obwohl er mit der Sache nichts zu tun hatte, ins Lot kommen, da war sie sich in diesem Moment sicher.

E-Mail für KendallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt