Kapitel 3

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Das letzte Konzert an diesem Abend war mörderisch. Als ob Mutter Natur Kendalls Beschwerden gestern Abend gehört hätte, hatte sich das Wetter über den Tag hinweg von strömendem Regen zu strahlendem Sonnenschein bei 34 Grad geändert. Nach dem stundenlangen Schwitzen beim Tanzen und Singen fühlte er sich nun wie eine ausgedorrte Trockenflaume. Der Blonde vermutete, dass er auch genauso aussah. Seine Haut an den Händen war vom Schwitzen leicht gerunzelt, als wäre er lange schwimmen gewesen.

Den Fans, hauptsächlich Mädchen um die 12 bis 16 Jahren, schien das wohl nicht aufgefallen zu sein, sie hatten bis zum Ende aus Leibeskräften die Namen der vier Jungs gekreischt. Kendall war schleierhaft, wie jemand sich stundenlang an Absperrgitter drücken ließ, dabei fast ohnmächtig gequetscht wurde und sich die Seele aus dem Leib schrie nur um jemandem nahe zu sein, den man überhaupt nicht wirklich kannte. Diese Mädchen waren alle davon überzeugt die Vier zu lieben. Menschen, die sie nur aus der Ferne anhimmelten. Der Jüngste der Gruppe schüttelte den Kopf und sich dabei die nassen Haare aus der Stirn und verließ die Bühne .Eine fast unerträglich warme Hand legte sich auf seine Schulter, es war die von Carlos. Er sah auch nicht sehr viel besser aus als er.

„Und? Hast du gestern deine Zukünftige angeschrieben?" Witzelte er mit etwas heiserer Stimme und räusperte sich.

„Ja, ich hab gestern irgendjemandem eine E-Mail geschrieben."

„Und? Was schreibt sie?" , fragte er beiläufig und schnappte sich im Vorbeigehen James Wasserflasche. Der setzte an sich zu beschweren, ließ es dann aber doch und nahm sich lieber eine neue. Er folgte uns in die Garderobe, einem aus vier Planen und mehreren Eisenstangen bestehenden Zelt, indem Logan sich schon umzog.

„Ich hab noch nicht nachgeschaut, ob jemand geantwortet hat..." antwortete ihm Kendall. Carlos reichte ihm ohne weitere Worte sein Smartphone. Er nahm es entgegen und loggte sich bei seinem E-Mail-account ein. Ein blinkender Briefumschlag in der linken oberen Ecke verkündete, dass er eine E-Mail erhalten hatte. Anders als erwartet waren es sogar zwei, beide von letterfriend.com. Schnell fitzten seine Augen über den kleinen Bildschirm. Das Mädchen schien nett zu sein. Ihre Art zu schreiben gefiel ihm, es klang beim Lesen schon sympathisch, auch wenn ihr Englisch wirklich mies war. Sie war 20. Das war gut. Er hatte befürchtet, sie würde viel jünger als er sein. Von 12_ bis 16-Jährigen war jeden Tag schon genug umgeben. Aber mit dem Pferden und dem Reiten lag sie total daneben. Hatte sie vielleicht mit Pferden zu tun, sodass sie darauf gekommen war?

Als er zu Ende gelesen hatte, blickte er auf die fettgeschriebene erste Spalte seines Postkorbs, die angab, dass er ja noch eine E-Mail erhalten hatte. Warum hatte sie ihm zwei Mails geschrieben. Er öffnete und zuerst viel ihm die Uhrzeit auf. Halb vier Uhr morgens. Gespannt fing er an zu lesen.

Lieber Mr. Unanbeknt,

hast du schon Mal etwas geatn, dass du nahcher bereut hast? Ewtas, das du nicht mehr rücgkägnig machen kontnest? Mir ist so etwas pasisert. Nein, es ist nichst wirklich Schlimmes, aber ich bereue es, weil ich damit jede Selbtsachtugn verloren habe. Das ist das Porblem, ich habe mich selbst beshcämt. Jetzt würde ich am liebtsen im Erdboden versinekn.

Warum schreibe ich dir das eigenlich? Vielelicht, weil du mich nicht kennst und ich nichst zu verlireen habe, wenn ich es tue. Vieleilcht, weil ich hoffe, gerade einem Leidesngenosesn zu schreiben. Natürlich hoffe ich nicht, dass dir so was pasiesrt ist. Aber es wäre schon schön zu hören, dass man so etwas übersteth...

Wahrscheinlich schläfst du gerad, währedn ich dich mit Shcwachsnin zutexte. Also wüncshe ich dir eine gute Nacht.

Liebe Grüße

Genau in dem Moment, indem Kendall diese verwirrende und furchtbar falschgeschriebene E-Mail zu Ende gelesen hatte (er war nicht gerade der schnellste Leser), fragte Carlos: „Und? Wie ist sie so?"

Der große Blonde dachte nach. Ja, wie war sie eigentlich? Er entschied sich für: „Bis jetzt sympathisch." Und grinste. Hatte sie vielleicht etwas viel getrunken und das bereute sie nun?

Er begann sich endlich mit einem Handtuch abzutrocknen und sich umzuziehen. Die anderen waren schon fertig.

„Jungs, ihr müsst noch hinten Autogramme geben...", richtete sich ihre Managerin durch die Zeltwand an die vier.

„Und danach geht's endlich nach Hause!", ergänzte Logan sehnsuchtsvoll.

„Aber die Tour war geil, oder?" James wandte sich zu ihnen. Die drei anderen stimmten ihm zu.

„Los, los! Eure Fans warten!", drängte die Managerin. Also setzten die Jungs ein unwiderstehliches Lächeln auf und begaben sich zu ihren Fans, die nur durch hüfthohe Absperrgitter und vier riesige Bodyguards von ihren Lieblingen getrennt waren.

Kendall übernahm die die ganz links stehenden Fans. Alle kreischten ohrenbetäubend und riefen „Kendall, ich liebe diiiiiicccchhh!!!!" und Ähnliches. Während er auf Fotos von ihm, Plakaten mit weiteren Liebesbekenntnissen und allerlei Körperteilen unterschrieb und für Fotos mit rotwangigen Mädchen, die wie Honigkuchenpferde strahlten, kuschelte, las er sich die Schilder, die weiter hinten hochgehalten wurden, durch. „Kendall, du bist der Beste!", „Kendall, James, Logan, Carlos, wir lieben euch!" „BTR 4 ever!", konnte er lesen und „Kendall, du gehörst mir!". Er sah noch einmal hin. Er wollte wissen, welcher Fan so fanatisch war, dass er ihn als seinen Besitz bezeichnete. Besagter Fan drückte sich immer weiter nach vorne, dass Schild wanderte über den Köpfen näher zu ihm. Rücksichtslos bahnte sich eine Blondine den Weg zum Absperrgitter, dabei stürzte ein kleineres Mädchen. Sie nahm keine Notiz davon.

„Bitte, mach ein Foto mit mir!", flehte sie. Also beugte sich Kendall über das Gitter und legte den Arm um ihre knochige Schulter. Sie war so dünn, dass er Angst hatte, sie durchzubrechen. Sie hielt die Kamera vor sie, machte ein Foto, dann zwei, dann drei. Hinter ihnen fingen sich die anderen Fans lautstark an zu beschweren. Doch sie ließ sich nicht stören und drückte Kendall mit einer Kraft an sich, die er ihr nicht zugetraut hätte. Dann zischte sie ihm plötzlich ins Ohr: „Du gehörst mir, Kendall! Ich liebe dich! Warum hast du mir das angetan? Du hast dich nie wieder bei mir gemeldet..." Er sah sie erschrocken an. Plötzlich erkannte er sie. Es war Rachel, der Groupie, mit dem er eine Nacht in Chicago verbracht hatte. Sie war so viel dünner geworden, dass er sie nicht wiedererkannt hatte.

„Es tut mir leid, wenn du... aber ich hab dir gesagt, dass das nichts zu bedeuten hatte..." versuchte er so leise wie möglich zu erklären, damit die anderen Fans es nicht hören konnten.

„Du liebst mich nicht?!" Ihre Stimme schwoll an und nahm einen schärferen Unterton an.

„Nein!" flüsterte er nachdrücklich. „Es tut mir leid!" fügte er beschwichtigend hinzu.

„Das wirst du bereuen Kendall Schmidt!" kreischte sie auf einmal so laut, dass er sie schlagartig losließ. Die umstehenden Mädchen sahen ihr wütend nach, als sie mit einem Lächeln in der Masse untertauchte, dass verriet, dass er es wirklich bereuen würde.

Die Managerin hatte die Szene von Rachel mitbekommen und lotste Kendall und die anderen unauffällig zum Tourbus. Die Jungs gaben auf dem Weg noch ein paar Autogramme und verschwanden dann im Bus. Als dieser losfuhr, liefen die Fans hinterher. Carlos öffnete das Heckfenster um ihnen zuzuwinken. Kendall viel in der Masse sofort das magere bleiche Gesicht auf, umrandet von blonden glatten Haaren. Sie rannte nicht, sie stand einfach im Strom der Mädchen, die es taten und sah ihn an. Nur ihn. Und dieses Lächeln verzerrte ihre einst hübschen Gesichtszüge.

E-Mail für KendallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt