Kapitel 6

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Es vergingen mehrere Wochen in denen Daliah und Mr. Unbekannt fast täglich mit einander schrieben. Sie genoss es, jemanden zu haben, der ihr zuhörte, ohne sie zu verurteilen, sie aufmunterte, wenn sie sich schlecht fühlte, ihr auf etwas unkonventionelle Art und Weise Gesellschaft leistete, während Mia für vier Wochen weg war um ein Auslandspraktikum zu machen. Auch wenn er ihr ebenso viel erzählte, von seinen Sorgen um die Person, die er verletzt hatte, von seiner Arbeit, die ihm Spaß machte, aber ihn auch schrecklich schlauchte, sodass er ab und zu den Wunsch verspürte, alles hinzuschmeißen – dennoch war ihr aufgefallen, dass er alles sehr ungenau beschrieb. Er nannte keine Namen, er sagte nicht, als was er arbeitete. Das Einzige, was sie aus ihm herausbekommen hatte, war, dass er 21 Jahre alt war und am 2. November Geburtstag hatte.

Trotzdem war sie durch ihn über Oliver hinweggekommen. Es hatte ihr nur einen kleinen Stich versetzt, als sie den Status „vergeben" bei Facebook gelesen hatte.

Alles in allem gab er ihr das Gefühl einen wirklichen Freund gefunden zu haben. Das hätte sie nie für möglich gehalten.

Mittlerweile war es Herbst geworden. Daliah saß auf einer Parkbank unter einer orange-gelb leuchteten Eiche, die schon die meisten ihrer bunten Blätter auf dem Boden verteilt hatte. Die Brünette sog den malerischen Anblick des Uni-Parks in seinem rot-orangenen Kleid auf. Es hätte ein Gemälde sein können, so perfekt war dieser Anblick. Sie zog ihre Beine auf die Bank und versuchte das Bild mit Pastellkreide einzufangen. Da Mr. Unbekannt ja bald Geburtstag hatte, beschloss sie, es ihm zum Geburtstag zu schicken. Dafür musste sie nur noch seine Adresse heraus bekommen.

Als sie fertig war und die Kreide wieder sorgfältig in ihr Etui und das Papier in ihre Mappe gepackt hatte, wollte sie ihm eine Mail schreiben um direkt daran zu arbeiten die Adresse heraus zu finden.

Mit dem gewohnten Jingle fuhrt der Laptop hoch. Sie hatte wieder eine Mail von ihm erhalten.

Miss Unbekannt,

Geht es dir gut? Ich hoffe, du weißt, wie wichtig mir das ist. Du bist mir sehr wichtig geworden. Deshalb wende ich mich jetzt auch endlich an dich, denn niemand meiner Freunde konnte mir helfen. Und ich weiß mittlerweile, dass du es immer schaffst, mir zu helfen.

Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Die Person, die ich verletzt habe, ist ein Mädchen, mit dem ich etwas hatte. Sie hat nicht verstanden, dass es für mich nicht von Bedeutung war. Sie ist davon überzeugt, mich zu lieben, obwohl sie mich gar nicht kennt. Ich habe sie scheinbar sehr verletzt, als ich sie abgewiesen habe. Sie scheint sich jedoch nun einzureden, dass sie mich schon bekommen wird, wenn sie mir droht, mir nachstellt, Gerüchte über mich verbreitet. Das Ganze wird langsam krank.

Ich hoffe, du kannst mir helfen, damit ich mich besser fühle. Schließlich schaffst du das immer.

Bye

Daliah schloss die Mail. Sie war besorgt. Das hörte sich nach einer Stalkerin an. Sie hatte immer gedacht, Stalker würden sich nur an Stars hängen. Aber in Amerika war ja so gut wie alles möglich. Sie hatte von ganz kranken Menschen gehört, deren Stalking in Angriffen auf besagte Stars oder deren Familienangehörige gipfelte. Würde ihm so etwas auch bevor stehen? Plötzlich ergriff sie Furcht. Angst darum, dass ihm etwas passieren konnte. Doch dann schüttelte sie den Kopf. Er musste sie nur anzeigen und dann würde die Polizei das Problem lösen. Das musste sie ihm sofort schreiben.

Sie packte es in beruhigende beschwichtigende Worte und ergänzte ihre Bitte, seine Adresse zu schicken.

Die Kirchenglocken begannen entfernt zu läuten. Erschrocken sah sie auf ihre Uhr. Es war schon 17:00Uhr, ihr letzte Vorlesung begann jetzt. Schnell packte sie ihre Sachen, warf ihre Tasche über die Schulter und rannte über den Campus. Mal wieder kam sie fünf Minuten zu spät. Ihr Erscheinen blieb nicht unbemerkt, da die Hälfte aller in der letzten Reihe sitzenden aufstehen musste, damit sie zu dem letzten freien Platz genau in der Mitte gelangte. Sie spürte, wie ihr Röte ins Gesicht stieg, als sich die meisten ihrer Kommilitonen und der Professor zu ihr wandten. Der Professor hob die Stimme:

„Gut, ich beginne für unsere VIPs, die jetzt erst eingetroffen sind, noch einmal: Die Anglistik-Fachschaft bietet eine Kurzreise in die USA an. Ich wurde angehalten auch meine Studenten zu informieren, da sich alle eintragen können, die Interesse daran haben und das nötige Kleingeld. Die Teilnehmerlisten hängen in der Fachschaft aus. So, und nun zurück zur Kunstgeschichte."

Nach der energieraubenden zweistündigen Vorlesung freute sich Daliah, als sie endlich den Schlüssel in ihre Wohnungstür stecken konnte. Als sie die Tür öffnete fiel ihr sofort die riesige Sporttasche auf, die verkündete, dass Mia zurück war. Diese kam auch sofort um die Ecke gestürmt und fiel ihm um den Hals. Die zierliche Blondine warf sie dabei fast zu Boden, obwohl sie so aussah, als besäße sie so etwas wie ein Körpergewicht überhaupt nicht.

„Du bist wieder da!" Freute sich Daliah und drückte vorsichtig ihre beste Freundin an sich.

„Wie war's in England?"

„Genau das, was ich gebraucht habe...", antwortete Mia mit einem Gesichtsausdruck, den Daliah nicht deuten konnte. Doch Mia gab öfters komische Antworten, deswegen fragte sie lieber: „Hunger auf Pizza? Du bist doch sicher hungrig nach der langen Reise, oder?"

Also schoben sich die beiden Tiefkühlpizzen in den Ofen und Daliah quetsche Mia aus, was sie auf der Insel so getrieben hatte.

„Ach, nicht viel..", Meinte sie nur und biss ein winziges Stück ihrer Margherita ab.

„Achso? Weißt du was?" Der Brünetten fiel gerade wieder die Ankündigung ihres Professors ein.

„Die Anglistik-Fachschaft bietet eine Amerika-Reise an. Ich dachte mir, das wäre doch das richtige für dich." Mia hörte sofort auf zu kauen und sah sie mit großen Augen an.

„Echt?! Da muss ich mit. Hast du mich eingetragen?!" Überfiel sie Daliah sofort. Mia studierte selbst Anglistik und sprach perfekt Englisch. Sie liebte es in englischsprachige Länder zu reisen um dort ihr Können unter Beweis zu stellen. Sie konnte sogar einige Dialekte täuschend echt nachahmen.

„Nein. Ich wollte dich ja erst Mal fragen.", verteidigte sich Daliah. „Würdest du mich denn mitnehmen?", ergänzte sie. Mia entglitten kurz die Gesichtszüge, dann lächelte sie sofort wieder, als hätte sie nie damit aufgehört.

„Klar! Aber seit wann willst du in die USA? "

„Ja, ich weiß, ich bin mies in Englisch, aber Mr. Unbekannt kommt doch aus den USA, vielleicht wohnt er ja dort, wo wir hinfliegen und ich kann ihn mal treffen...", gab die Brünette verlegen zu.

„Du schreibst noch mit ihm?", fragte Mia neugierig. Ihre Freundin nickte. „Ja. Und ich mag ihn sehr.". Ihre Wangen begannen zu glühen.

„Wie sehr?", fragte Mia bedeutungsvoll.

„Er ist wie der beste Freund, den ich nie hatte.". Daliah spürte, dass das nicht die ganze Wahrheit war, doch das wollte sie sich noch nicht eingestehen.

„Okay, alles klar, dann fahren wir zusammen nach Amerika und du lernst Mr. Unbekannt kennen!" jubelte Mia. Daliah stimmte mit in das Geschrei ein. Vielleicht würde sie ihm sogar persönlich sein Geschenk übergeben können.

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