Kapitel 4

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Das erste was Daliah, als sie wach geworden war, wahrgenommen hatte waren ihre Kopfschmerzen gewesen. Dann war ihr bewusst geworden, dass sie auf dem Boden lag, nur ihre Beine hatten am vorigen Abend den Weg ins Bett gefunden. Zudem hatte sie dabei eine so verdrehte Haltung eingenommen, dass sich schmerzhaft ihr Rücken bemerkbar gemacht hatte. Beim Aufstehen hatte sie zu allem Überfluss auch noch Fusseln des Teppichs in ihrem Mund geschmeckt. Und schließlich, als sie es geschafft hatte, sich in die Küche zu schleppen und einen Kaffee zu machen, war ihr dann wieder eingefallen, was passiert war. Oder zumindest Bruchstücke.

Sie war mit Mia feiern gewesen, hatte dabei eine Abfuhr von Oliver bekommen, der , wie sie später hatte feststellen müssen, eine Neue am Start hatte, kassiert und hatte sich aus Frust einen Cocktail nach dem anderen bestellt. Mia hatte auch nicht schlecht getrunken, auch wenn sie keinen Grund dafür gehabt hatte. Als sie dann früh morgens zu ihrer WG zurückgekehrt waren, war Mia sofort in ihrem Zimmer verschwunden. Daliah hingegen, wurde es ihr peinlich bewusst, hatte lieber die frühe Morgenstunde dazu genutzt, MR. Unbekannt eine Mail zu schreiben. Sie hatte ihn mit einem solchen Schwachsinn zugetextet, dass sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden.

Mia kam herein, ihre kinnlangen Haare standen in alle Richtungen ab. Sie goss sich ebenfalls eine Tasse Kaffee ein und ließ sich auf einen der uralten Stühle neben ihre beste Freundin fallen, der bedächtig knackte.

„Guten Morgen.." seufzte sie und zog gierig den Kaffee ein.

„Guten Morgen gleichfalls." Erwiderte die Brünette nur, deren Haare ein einziges Gewirr waren.

Ihr gingen die ganze Zeit Fetzen ihres Briefes durch den Kopf. Sie hatte ihn doch tatsächlich gefragt, ob er etwas bereute, was er getan hatte.

„Super Kennenlern-Smalltalk, Daliah! „Hallo, ich bin Daliah, bin 20 und, ach ja, ich bereue das, was ich getan habe! Und du?" schallte sie sich in Gedanken selbst aus. Dann lies sie den Kopf auf die Tischplatte des Küchentischs fallen.

„Was ist los, Süße?" Mia sah sie fragend an. Die Angesprochene machte sich nicht die Mühe, den Kopf zu heben, murmelte aber: „Ich hab diesem Typen eine ziemlich dumme E-Mail geschrieben."

„So schlimm kann es doch gar nicht sein...", beschwichtigte Mia Daliah und massierte dabei ihre Schläfen.

„Doch!" Die Brünette riss den Kopf in die Höhe um Mia einen verzweifelten Blick zuzuwerfen und bereute die schnelle Bewegung mit ihrem schmerzenden Kopf sofort.

„Liah, er kennt dich doch gar nicht. Ist doch völlig egal, wenn er dich jetzt für komisch hält. Das ist doch gerade das Gute an dieses Anonymitäts-Geschichte."

„Das du das geschrieben, mit dem du mich den ganzen Tag zugetextet hast?", fügte sie dann hinzu.

Daliah nickte nur und ließ ihren Kopf auf die Platte zurück sinken.

Sie traute sich erst am späten Abend ihre E-Mails zu checken. Wie hatte der Unbekannt wohl darauf reagiert? Sie glitt auf ihren Schreibtischstuhl und zog die Tastatur heran um ihr Passwort einzugeben. Die Schrift ganz oben am Bildrand verkündete: „Sie haben 1 neue Nachricht".

Mit fahrigen Fingern bewegte sie die Maus auf ihren Postkorb und klickte die Mail an.

Hey Miss Unbekannt,

ich muss zugeben, dass deine zweite Mail mich etwas überrascht hat. Nicht das, womit ich gerechnet hätte als zweite Mail. Aber was deine Rechtschreibung verrät, waren das ein oder zwei Cocktails zu viel gestern, stimmts? Ich kenn das. Wer hat schließlich nicht schon unlesbare Nachrichten im Suff verfasst, die einem später peinlich waren. Aber ich nehme mal an, dass das nicht das war, was du meintest mit „etwas getan, was man bereut hat", richtig? Aber egal was du getan hast, es ist jetzt passiert. Aber das Leben geht weiter. Eine falsche Handlung bedeutet nicht, dass man nichts wert ist. Und das solltest du dir bewusst machen.

Zurück zu deiner Frage: Mir ist erst heute klar geworden, dass ich etwas bereue, das ich getan habe. Im Gegensatz zu dir, ist es jedoch schlimmer, weil ich nicht mir, sondern in erster Linie jemand anderem damit geschadet habe. Es war nicht so, dass ich es vor hatte. Ich hätte nicht gedacht, dass es so kommen kann.

Übrigens: Ich bin 21 Jahre alt und kein Reiter. Im Gegenteil, ich hab noch nie auf einem Pferd gesessen. Ich sag dir einfach mal, was ich für Haustiere hab: Ein kleines Schwein, zwei Hunde, eine Schildkröte ,eine Python, eine Katze und einen Vogel.

Singen unter der Dusche ist doch super, das macht ein Freund von mir auch immer :D Und zeichnen Können ist ein richtig geiles Talent. Ich würde gerne mal was von dir sehen.

Liebe Grüße

Daliah las den Brief sofort noch einmal durch. Er hatte tatsächlich auf ihre Frage geantwortet! Hatte nicht einfach aufgehört mit ihr zu schreiben, weil er dachte, sie wäre wahnsinnig. Was hatte er wohl jemand anderem angetan? Es war etwas, dessen Auswirkungen er nicht kommen gesehen hatte. Wem war so etwas nicht schon passiert? Und er hatte ein Schwein?! Zwei Hunde und eine Katze - süß. Einen Vogel - auch süß. Eine Python – gewöhnungsbedürftig. Ein Schwein?! – Skurril, wenn auch irgendwie süß. Betrieb er einen Zoo?

Hallo Mr. Unbekannt,

Du hast mir sehr geholfen. Ich fühle mich jetzt besser. Und ich werde jetzt versuchen dich auch aufzumuntern.

Du bist ein Mensch (bist du doch,  sicher selbst auch schon Fehler gemacht, die ihm oder ihr verziehen worden sind. Wie du gesagt hast, das Leben geht weiter und man muss eben mit den Konsequenzen zu leben lernen.

Sag mal, bist du Zoowärter? :D Wie kommst du zu einem Schwein?

Ich hab nie gesagt, dass ich zeichnen kann. Das behauptet meine Freundin. Aber für dich mache ich es mal und du kannst dich dann selbst überzeugen. Ich füge eine Zeichnung von deinem Schweinchen bei der nächsten Mail bei.

Bis bald

Sie klicke auf senden, dann schloss sie das Fenster. Einige Sekunden starrte sie auf ihren Desktophintergrund auf dem Mia und sie in die Kamera um die Wette grinsten, ohne jedoch wirklich hinzusehen. Dann schaltete sie den PC aus und legte sich ins Bett. Sie musste dringend ihren Schlaf nachholen.

In der Nacht hatte sie einen unruhigen Traum. Sie erlebte es immer und immer wieder, wie Oliver sie abservierte und spürte wie ihr Herz dabei zerbrach. Bis schließlich jemand sie von hinten in die Arme schloss und ihr ins Ohr flüsterte: „Das Leben geht weiter.". Sie ließ diese Umarmung geschehen, doch als sie sich umdrehen wollte, sah sie nur ein kleines Schweinchen, dass sie mit schwarzen Knopfaugen ansah und dann quiekend verschwand. Mit tränennassem Gesicht wachte sie am nächsten Morgen auf und konnte sich nicht mehr an den Traum erinnern.

E-Mail für KendallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt