Kapitel 24

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Kendall konnte nicht fassen, wie dumm er gewesen war. Wenn er seine Handlungen der letzten Monate Revue passieren ließ, wollte er sich nur noch an den Kopf schlagen. Zunächst war er mit einer Verrückten ins Bett gegangen und hatte nicht mal gemerkt, wie geisteskrank sie war. Dann hatte er sich in eine Frau verliebt, die er noch nie gesehen hatte, hatte nicht gemerkt, dass sie die Journalistin war, die sein Leben ruinieren wollte und es dann bereut hatte. Außerdem hatte er nicht erkannt, dass es einfach zu viele Parallelen zwischen Daliah und Mia oder Rachel oder wie sie jetzt in Wirklichkeit hieß, gab. Und zuletzt war er tatsächlich überrascht gewesen, dass sie sich gegen ihn und für ihre angeblich beste Freundin entschieden hatte. Jetzt war er wütend auf Daliah, dass sie ihn abgewiesen hatte, dass sie lieber dieser Lügnerin, die ihn töten wollte, glauben wollte, als ihm, dass sie bereitwillig glaubte, dass er Mia etwas angetan hatte. Und er war wütend auf sich, weil er eben so dumm gewesen war.

Doch auch seine Wut verhinderte nicht, dass er Daliah vermisste. Und hinter der Wut versteckte sich Schmerz darüber, dass sie ihn nicht wollte.

Er hatte es nicht abwarten können, wieder nachhause zu fliegen und Deutschland hinter sich zu lassen. Gottseidank waren sie nur kurz für einen Gastauftritt in der deutschen Serie „Hand aufs Herz“ angereist und Zeit bis der Rückflug ging hatte er genutzt um zu Daliah zu fahren, die so wie der Zufall wollte, nur wenige Stunden entfernt wohnte.

Logan hatte er nichts von seinem Ausflug erzählt, doch sicher war er schon selbst darauf gekommen. Kendall tat  es leid, dass er gehofft hatte, Daliah würde sich für ihn entscheiden und dass er deshalb zu ihr gefahren war, ohne ihn über seine Pläne aufzuklären. Natürlich lastete sein schlechtes Gewissen nicht weniger auf ihm, weil sie sich anscheinend für Logan entschieden hatte. Doch musste er zugeben, wenn sie jemand anderes als er bekommen sollte, dann doch Logan, einer seiner besten Freundin und wirklich guter und lebensfroher Mensch. Er würde sie sicher gut ablenken können mit seiner lustigen Art. Er versuchte sich das alles einzureden, weil es die Wahrheit war, dennoch wiederstrebte es ihm, dass einzusehen.

Doch zurück in Amerika, wurde ihm klar, dass sie sich wirklich für Logan entschieden hatte. Auch wenn Logan es ihm nicht sagte, wusste Kendall doch, dass sie ständig telefonierten und merkte, dass Logan an guter Laune kaum zu überbieten war. Sie mieden jedoch das Thema, taten beide so, als hätte sich nichts verändert, lachten über den Scheiß, den sie fabrizierten, während sie die ersten Songentwürfe für das dritte Album besprachen, waren wie üblich das eingespielte Team auf der Bühne und während der Interviews, an denen es jetzt, wo Kendalls Ruf wieder hergestellt war, nicht mangelte. Sie erwähnten Daliah nicht. Bis zu Logans Interview mit Cambio, dass Kendall auch schon gehabt hatte. Carlos, James, Dustin und er sahen sich den Livestream an, tranken Bier und machten sich über die Antworten und Kommentare ihres Bandkollegen lustig, weil sie, im Gegensatz zu den Zuschauern wussten, was teilweise noch hinter den Antworten stand, was Logan aber der Öffentlichkeit nicht mitteilen würde. Logan hielt ebenso wie Kendall bei seinem Interview den TabletPC in der Hand, auf dem er die Fragen aus dem Livechat ablesen konnte.

„Hast du zurzeit eine Freundin oder bist du verliebt?“ las er laut vor, dann grinste er.

„Em na ja, ich bin mir nicht sicher, ob man sie schon als meine Freundin bezeichnen kann, aber ich mag sie sehr. Und ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit…“ antwortete er mit einem immer breiter werdenden Grinsen. Im Hintergrund konnte man Gejohle, dass jedoch keiner außer Logan verstehen konnte. Der Blonde verkrampfte sich. Er gönnte es ihm, dass er glücklich war, aber musste das mit ihr sein?! Logan baggerte doch alles an, was lange genug still hielt! Sofort kochte die unbändige irrationale Wut in ihm hoch. Er zerknüllte seine leere Bierdose, schleuderte sie auf den Boden und verließ steifen Schrittes Carlos‘ Haus. Sidney sprang von ihrem Platz auf Carlos‘ Füßen, auf denen sie gelegen hatte, auf und folgte ihm neugierig. Ihr war es anscheinend zu langweilig, nur rum zu liegen.

Kendall brauchte frische Luft. Er stellte sich auf die Terrasse in Carlos tropisch bepflanzten Garten und spielte mit dem Gedanken, sich Kippen zu holen. Dann widerstand er jedoch. Er konnte es jetzt wirklich nicht gebrauchen, auch noch seine Stimme zu ruinieren, wenn er das doch schon so gut geschafft hatte mit seiner Freundschaft zu Daliah. Stattdessen ließ er sich auf den mit großen Bodenplatten belegten Boden sinken und kraulte Sidney, die sich jedoch wenige Minuten später wieder auf den Weg zu Carlos machte. Sicher spürte sie Kendalls Aggression, die er zu unterdrücken versuchte und bevorzugte Carlos Ruhe.

Wie lange würde das so weiter gehen? Wie lange würde er brauchen, bis es ihm gleichgültig war? Er kannte sich gar nicht so wütend. Er war eigentlich ein ausgeglichener geduldiger Mensch, den man nicht so leicht provozieren konnte. Anscheinend hatte sich das nun geändert.

Er rutschte bis zum Rand des rechteckigen Pools vor, zog seine Schuhe und Socken aus und ließ die Beine vom Rand ins noch kalte Wasser baumeln. Er war froh, dass er in LA lebte und nicht in Deutschland, wo es jetzt immer noch bitterkalt war und es andauernd regnete. Das Wasser kühlte sein erhitztes Gemüt ab. Er würde sie vergessen, dass nahm er sich vor. Er lebte gerade seinen Traum, war ein erfolgreicher Schauspieler und Sänger, liebte seine Kollegen wie Brüder und hatte eine tolle Familie, die bedingungslos hinter ihm stand. Sie hatten nicht einmal etwas zu dem Artikel gesagt, denn sie kannten ihn und wussten, dass es nur Lügen gewesen waren. Er konnte eigentlich nur glücklich. Er musste es, sonst wäre er sein Leben, für das ihn sicher einige beneideten, nicht wert. Er war einfach ein lebensfroher Mensch und er würde sich jetzt sicher nicht wegen einer Frau, die ihn hatte abblitzen lassen, verändern. Und während er immer mehr merkte, wie sehr er eigentlich sein Leben liebte, bildete sich ein Lächeln auf seinen Lippen, das zu einem Grinsen wurde. Sein Leben war vielleicht nicht perfekt, aber es war geil. Und er hatte auf Tour Fans gesehen, Menschen mit Behinderungen oder unheilbaren Krankheiten, denen es viel schlechter ging als ihm und die froh gewesen wären darüber, nur ein wenig Herzschmerz zu haben. Ja, sein Leben war einfach geil.

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