Liliana verabscheute es, sich beeilen zu müssen. Wie jeder Andere auch, wahrscheinlich.
Irgendetwas daran, sich nie schnell genug zu fühlen, trieb sie in den puren Wahnsinn. Und dabei schlängelte sie sich gerade mit Höchstgeschwindigkeit auf einem Sportmotorrad durch die Straßen einer Großstadt. Man wusste eben erst, dass man sich zu viel Zeit gelassen hatte, wenn man zu spät ankam und das konnte sie sich definitiv nicht leisten.
Sie hatte kurz darüber nachgedacht, Dmitriy tatsächlich sitzen zu lassen, aber wer weiß was passiert wäre, wenn er sie irgendwann wieder gefunden hätte? Den Sohn des weißen Todes versetzte man nicht mal so einfach. Nie. Auch wenn das einen seine Freiheit oder auch sein Leben kosten könnte. In Lilianas Fall eher ihren Führerschein samt Fahrzeuglisenz, sie war fast überrascht, dass sie noch nicht von der Polizei verfolgt wurde.
Als sie sich Yokohamas Chinatown näherte, wurde ihr allerdings klar, was die Bullen wichtigeres zu tun hatten, als Rasern hinterher zu jagen: Vor dem Restaurant, das ihr Freund ihr genannt hatte, standen Streifenwagen, Blaulicht eingeschaltet, schwer bewaffnete Polizisten gesammelt vor dem Eingang zu einer dunklen Seitengasse neben dem Restaurant.
Sie war tatsächlich zu spät. Sie konnte es nicht fassen.
Liliana ließ ihren Helm auf, als sie Abstieg und etwas panisch auf das Geschehen zustolperte. Durch die Schaulustigen ging ein Murmelm, als eine Gruppe Männer in Handschellen aus der Gasse geführt wurde. Direkt zwischen ihnen erkannte Liliana den blassen jungen Mann mit dem langen stränigen Haar und den Gesichtstattoos.
"Was ist passiert?", fragte sie eine junge Frau, die mit einem kleinen Mädchen an der Hand in der Menge stand.
"Irgendeine Drogen-Geschichte, denke ich.", antwortete die Frau schulterzuckend, dann lehnte sie sich näher zu Liliana und senkte die Stimme, "Ein paar von denen sollen angeblich dem Weißen Tod nahe stehen, glauben Sie dass?"
"Verrückt.", meinte Liliana.
"Sie sagen es.", lachte die Frau, ,,Aber ich gehe jetzt lieber, Kazumi sollte sowas noch nicht sehen."
"Aber Mama!", protestierte das kleine Mädchen, nutzlos. Ihre Mutter verabschiedete sich von Liliana und zog die schmollende Kleine mit sich.
Liliana hingegen drängelte weiter nach vorne, um möglichst viel vom Geschehen erkennen zu können. Nun hatte aber auch Dmitriy sie erblickt.
"Lili!", dass er gleich nach ihr rufen würde, hatte sie nicht erwartet. Sogleich stand einer der Polizisten vor ihr und wies sie an, den Helm abzunehmen.
"Kennen Sie diesen Mann?"
Liliana sah kurz zu Dmitriy, der sie einfach nur mit seinen toten Augen durchborrte. Wenn sie ihre Arme behalten wollte, durfe sie jetzt nichts falsches sagen.
"Er ist mein Freund, Officer! Er hat doch nichts getan, oder?"
"Ihr Freund scheint in einige illegale Machenschaften involviert zu sein. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns ebenfalls zu einer Befragung begleiten würden."
Liliana sah hastig zu Dmitriy, aber sein Blick sagte rein gar nichts aus. Sie fluchte innerlich.
"Natürlich, Officer! Ich versichere Ihnen, dass er nie so etwas tun würde. Das muss ein riesiges Missverständnis sein!", unter etwas Anstrengungen brachte Liliana sogar eine kleine Träne zum Vorschein. Vielleicht sollte sie lieber in die Schauspiel Branche wechseln?
"Das können Sie alles den Kollegen auf dem Revier erklären, Miss. Folgen Sie mir bitte."
Während Liliana dem Uniformiertem zum Polizeiwagen folgte, warf sie Dmitriy einen verärgerten Blick zu, aber der starrte schon wieder tot in der Gegend herum und schien vergessen zu haben, wo er war. High über den dunklen Wolken. Seufzend stieg sie ein. Sehr viel schlimmer konnte der Tag nun zumindest nicht mehr werden.Es war das erste Mal, dass Liliana einen dieser typischen Verhörräume von innen sah. Schwaches Dämmerlicht und dieses Fenster, durch das man nur einseitig sehen konnte direkt vor ihr. Sie starrte in die Spiegelung und stellte sich vor, dass ein möglicher Beobachter sich von ihrem Todesblick eingeschüchtert fühlte. Viel mehr hatte sie in der halben Stunde, die sie nun schon auf einen Beamten wartete, nicht zu tun gehabt. Sie war sich bewusst, dass sie in diesem Fall nicht oberste Priorität hatte, aber es war schwer zu akzeptieren. Sie konnte nur hoffen, dass Dmitriy sich nicht noch weiter in irgendetwas hinein redete, das sie später mit ausbaden durfte. Die Chance war gering.
Liliana stand auf und schlenderte eine Runde durch den Raum, als die Tür sich öffnete und sie einem Polizisten gegenüber stand.
"Miss Denissow?"
"Ja?"
"Sie dürfen nun gehen."
"Ich dachte ich müsste noch eine Aussage tätigen?"
"Die Umstände haben sich ... geändert.", antwortete der Mann stumpf. Er sah nicht erfreut aus, ganz und gar nicht. Demnach deutete Liliana, dass Papi seinem Sohnemann einmal wieder erfolgreich vor der Zelle bewart hatte. Dabei wäre es ihm vielleicht mal eine Lektion, ein bisschen Zeit hinter Gittern zu verbringen. Zu erfahren, dass er sich trotz des Status seines Vaters nicht alles erlauben konnte. Liliana konnte sich bei dem Gedanken an ein warmes Bett oder ein Glas Wodka aber nicht allzu lange ärgern, gerade weil sie die Kälte des sterilen Präsidiums erschaudern ließ. Das Leder ihrer Schutzjacke lag ihr plötzlich sehr kalt auf der Haut und es hätte sie nicht gewundert, hätte sich auf ihren Motorradhelm Frost gebildet.
Sie legte ihn neben sich auf der Sitzbank ab, als sie sich in dem Wertebereich, den der Beamte ihr zeigte, nieder ließ.
"Wie lange wird es noch dauern?"
"Mr. Ravenov tätigt gerade noch einen Anruf, dann sollten Sie gehen können."
"Vielen Dank.", Liliana lehnte sich zurück und zog die Beine an, als sie wieder allein war. Gänsehaut durch die Laufmaschen ihrer Strumpfhose, auch an ihren Armen waren die Haare aufgestellt und sie schwitze unangenehm kalten Schweiß.
Sie war schon fast weg, als ein lauter Knall sie wieder aus dem Halbschlaf in die reale Welt riss. Reflexartig fuhr ihre Hand an das Messer in ihrer Jackentasche und sie sah sich aufmerksam nach der Quelle des Geräusches um. Ein weiterer Knall ertönte und dieser war auf alle Fälle nicht von einer Tür, wie Liliana erst angenommen hatte, sondern definitiv ein Schuss. Während sie durch die Gänge lief ging ihr die Frage durch den Kopf, warum noch kein Chaos ausgebrochen war. Ungewöhnlich für eine Polizei Zentrale, in der es von Bewaffneten Beamten nur so wimmeln sollte.
Als sie dem Eingang näher kam, stolperte sie jedoch fast über den ersten dieser Beamten, der mit dem Gesicht in einer riesigen Blutlache auf dem Boden lag. Sie schaute um eine Ecke, um noch mehr Tote zu sehen und am Ende des Flures ein paar Maskierte mit Maschinengewehren, die ganz und gar nicht nach Polizisten aussahen. Sie duckte sich gerade noch schnell genug weg, um nicht entdeckt zu werden, als sie sich wieder traute, hinter der Ecke hervor zu linsen, hatte sich die Menge der Bewaffneten vervierfacht und sie zerrten jemanden in Richtung Ausgang. Erst, als der Mann aus der Tür gezerrt wurde und nur für einen winzigen Augenblick, konnte sie ihn erkennen und Dmitriy hatte sie auch gesehen. Nur Sekunden später, als sie dem Schlag gegen ihren Kopf und danach den dumpf pochenden Schmerz wahrnahm, wusste sie, warum er sie schockiert geschaut hatte.
Ihr Aufschlag auf den Boden schien nur noch eine verschwommene Erinnerung, genau wie die klebrig warme Blutspur die hinter ihr entstand, als sie durch den Gang geschliffen wurde. Alles danach war nichts als Schwärze. Tiefe, dunkle Schwärze. Und endlose Kälte.
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Kill Me Pretty [Bullet Train]
حركة (أكشن)Sehe ich nicht hübsch aus mit dieser Haut aus Porzellan und Augen aus Glas? Dein kleines Püppchen. Deine Worte sind wie Zucker, Aber Verwesung riecht auch süß.