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Liliana träumte. Dass der Teufel über ihr stand und auf sie hinab lachte, mit gefletschten Zähnen und widerlich stinkendem Atem. Nur, dass sie nicht aufwachte, sondern seine rote ledrige Haut zu seidenem Stoff wurde und die lose Krawatte um seinen Hals plötzlich in ihr Gesicht schlug. Und aus irgendeinem Grund kannte er ihren Namen.
"Liliana, lange ist es her, ich war nicht sicher, ob sich unsere Wege überhaupt nocheinmal kreuzen würden."
Panik stieg in ihr auf, als ihre Sicht klarer wurde und sie mit einem Mal immer weniger sah, denn die Dunkelheit um sie herum, kam erst in dem Moment zum Vorschein, in dem die Angst schon Besitz von ihr ergriffen hatte. Und aus den Schatten leuchtete dieses weiße, tödliche Grinsen.
"Wo bin ich?", zitterte sie.
"Du weißt wo du bist."
Liliana wusste tatsächlich, wo sie war. Sie erinnerte sich an den modrigen Geruch, das stetige Tropfen und den Geschmack von Blut in ihrem Mund. Der schwarze Anzug, den sie das letzte Mal getragen hatte, hatte sie wärmer gehalten, als es ihr dünnes Hemd nun tat und sie vermisste die Maske über dem Gesicht, die sie getragen hatte. Sie senkte den Kopf, in der Hoffnung, man könnte ihre schiere Panik so nicht erkennen. Dmitriy konnte sie nun nicht noch einmal retten.
"Ich weiß nicht, warum mein Sohn sich dich aussuchte,", Liliana bekam einen Tritt in die Seite, "so verwahrlost und verdreckt. Davon abgesehen, dass du halb tot warst. Nun, du scheinst mir heute nicht viel lebendiger als damals."
"Ich habe nichts Falsches getan.", beteuerte Liliana und es war nur die Wahrheit. Gut, sie war geflüchtet, als wäre es eine Lüge, doch, wenn man die Situation einmal nüchtern betrachtete, war sie an Nichts von dem, was passiert war, Schuld. Mein Gott, sie hatte sich doch nur Yokohama anschauen wollen, vielleicht etwas Champagner trinken und Spaß haben und nun...
.. und diese verdammte Dunkelheit!
"Nun, mein Sohn ist tot."
"Aber das war nicht meine Schuld!"
"Du bist noch armseliger, als ich angenommen hatte."
Liliana sah ihn fragend an.
"Schaffst es nicht einmal diesen Versager von einem Mann eigenständig umzubringen. Ich hab doch nur darauf gewartet, но ты слишком сильно любила его, не так ли?", das Grinsen wurde breiter, "Hast du nicht einmal darüber nachgedacht?"
"Warum hätte ich Dimitriy umbringen sollen?"
Der Weiße Tod starrte auf sie hinab, dann begann er zu lachen. Krächzend und laut. Er lehnte sich zurück und hielt sich den Bauch, bis sein Lachen nur noch ein tonloses Röcheln war, "Мой сын - отвратительный мудак, а ты - жалкая маленькая мышка. Und sogar deine beiden Retter hintergehen dich und das nachdem sie dich durch halb Japan bis hier her geschleift haben. Ты живешь грустной жизнью, Лили."
"Was? Wer hat mich hintergangen?"
"Man hätte meinen können, sie hätten es von Anfang an geplant. Dich auszuliefern, meine ich."
"Wo sind sie?", in Lilianas Brust waberte plötzlich ein unwiderrufliches Gefühl von leere. Sie dachte an ihr Gespräch mit Lemon am Morgen, an ihre verarzteten Wunden und gewaschenen Klamotten. War sie von Anfang an nur gerettet wurden, um ein Plan B zu sein? Ein mieses Backup, falls irgendetwas passierte? Auf einmal wünschte sie sich, dass die Yakuza kurzen Prozess mit ihr gemacht hätten.
Der Weiße Tod blickte sie mitleidig an, "Я отпустил их вдвоем. Du bist durchgedreht, hast ihn kaltblütig umgebracht und wolltest mit dem Geld fliehen. Und? Wo hast du es versteckt?"
"Ich habe das Geld nicht! Nichts davon ist-", der Weiße Tod legte Liliana einen rauen Finger auf die Lippen.
"Das weiß ich doch, kleine Liliana. Ich weiß es, denn ich habe ihn umbringen lassen."

"Meinst du, der Weiße Tod tut ihr etwas an?", Lemon lenkte den Wagen über eine verlassene Landstraße nahe Nagoya. Seit er und Tangerine eingestiegen und los gefahren waren, hatte eine unangenehme Stille geherrscht.
Tangerine hatte die Beine überschlagen und starrte aus dem Fenster, "Das kann uns egal sein."
Lemon seufzte tief, "Wir hätten sie nicht einfach so ausliefern sollen."
Plötzlich starrte Tangerine ihn an, "Wir sind gerade so mit dem Leben davon gekommen. Was hätten wir sonst erzählen sollen? Dass der Sohn umgebracht wurde, während wir gerade den Koffer gesucht haben, den wir verloren haben? Wir waren uns von Anfang an einig, dass wir sie als Notlösung benutzen würden."
"Sie war nichtmal bei Bewusstsein."
"Dann will ich hoffen, dass sie es schnell zu Ende gebracht haben."
Die Beiden schwiegen einige weitere Minuten, bis Lemon erneut die Stimme erhob, "Tat sie dir nicht auch leid?"
Tangerine sah ihn an, "Nicht wirklich."
"Ich meine, erst war sie mit so einem Arschloch zusammen und dann passiert sowas, das ist echt heavy."
"Wer freiwillig mit dem Sohn des weißen Todes zusammen ist, sollte nichts Anderes erwarten.", Tangerine wandt sich erneut dem Fenster zu, starrte auf die Weiden und Wiesen, die vorbei zogen und auf die Wolkenkratzer Nagoyas in einiger Entfernung, fuhr mit der Hand durch sein Haar und hoffte, Lemon könnte seinem Ausdruck nicht entnehmen, dass er das Geschehene keineswegs so einfach vergessen konnte.
"Du denkst noch an sie.", schmunzelte Lemon. Tangerine seufzte.
"Sie ist wahrscheinlich schon tot."
"Wir können immer noch zurück fahren.", Lemon zauderte hinter dem Steuer, schon bereit, eine Kehrtwende zu machen und den Weg wieder zurück zu fahren.
"Sie ist nur irgendein kleines Mädchen. Was ihr passiert geht uns nichts an und was ihr schon passiert ist noch weniger. Außerdem möchte ich dich daran erinnern, dass sie dich fast umgebracht hätte. Vielleicht nicht nur fast, wenn du ihr eine zweite Chance gegeben hättest.", Tangerines Stimme blieb ernst und kühl. Doch vor seinen Augen flackerten noch immer verschwommene Bilder von blondem Haar und stechenden blauen Augen. Er fuhr über den geschwungenen Flügel des Kolibris auf seinem Feuerzeug, dann öffnete er seine Zigarettenschachtel.
"Mein Gott, doch nicht im Auto.", begann Lemon sogleich zu zetern.
Tangerine öffnete das Fenster und zündete sich eine Zigarette, "Da vorne musst du links abbiegen."

Eine Hand am Arm des - Liliana konnte es selbst nicht glauben - Weißen Todes, schritt sie an hohen Fenstern vorbei durch kostbar eingerichtete Flure. In fast väterlicher Sorge oder vielleicht eher Spott hatte er sie von ihren engen Fesseln gelöst und ihr die fettigen Haare aus dem verdreckten Gesicht gestrichen. Und любимый hatte er sie genannt; wie Dmitriy es getan hatte. Und sie trugen die gleichen dunklen Augen, in denen man kein kleines Stück leuchtende Seele hätte erkennen können, egal, wie weit man in die tiefen Höhlen gekrochen wäre. In Lilianas zweiundzwanzig Jahren Lebenserfahrung hatte sie niemanden mit einem trostloseren Blick kennengelernt und sie fragte sich inständig, was jene Augen mit hatten ansehen müssen.
Der Weiße Tod trug einen seidenen Mantel über seinem lockeren Hemd und hielt beim Gehen einen Stock, den er nicht einmal verwendete. Nur manchmal, wenn er stehen blieb um die Malereien zu betrachten, die in klobigen goldenen Rahmen die Wände schmückten, stützte er sich darauf, als wäre die Erinnerung an die Vergangenheit eine untragbare Last. Und Liliana meinte verstehen zu können, was er fühlte.
Schließlich hielten die Beiden nach einem ausführlichen Spaziergang vor einer hölzernen Tür. Der weiße Tod wies Liliana mit einer eitlen Handbewegung an, sie zu öffnen und sie tat wie geheißen. Dann wandt sie sich zu ihm um, "Was geschieht nun mit mir?"
Sie meinte für einen Moment ein Lächeln über das Gesicht des weißen Todes huschen zu sehen und einen roten Schimmer durch seine brauen Augen. Doch wahrscheinlich war es nur Einbildung.
"Du wirst wieder Aufträge annehmen."
"Ich will mit diesem Geschäft nichts mehr zu tun haben.", Liliana verschränkte die Arme vor der Brust.
Der Weiße Tod musterte sie belustigt, "Nun, es ist ganz deine Entscheidung."
Lilianas Blick fiel auf seine Hand an seinem Gürtel und die entsicherte Pistole unterm Hosenbund und sie wusste, dass die Entscheidung keinesfalls bei ihr lag.
"Gut und was für Aufträge sollen das sein?"
"Das werden wir sehen.", der Weiße Tod lächelte lieblos, "Ab heute arbeitest du für mich, kleine Liliana."

Kill Me Pretty [Bullet Train]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt