In einem nassen, muffigen Keller kam Liliana nicht nur ein sondern fünf mal wieder zu sich, bis sie schließlich die Kraft aufbrachte, wach zu bleiben. Nach dem dritten Mal hatte sie gedacht, es sei das Letzte für immer, nun hielt sie sich für unsterblich.
Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie schon in der Dunkelheit lag, als sich eine knarrende Tür öffnete. Es hätten Tage und genauso gut Minuten sein können. Sie fühlte sich ausgemergelter denn je. Nicht nur ihr Kopf pochte, auch die Überbleibsel der Stichverletzung in ihrer linken Seite meldeten sich wieder. Was das anging waren sowieso Komplikationen aufgetreten und eigentlich hatte sie zum Arzt gehen wollen. Nun, das war momentan wahrscheinlich ihr geringstes Problem.
Als eine Person den Raum betrat, sammelte Liliana ihre Kraft, um den Kopf aus dem Dreck zu heben und den Unbekannten anzusehen. Die Stiefeltritte in Stirn und Bauch knockten sie beinahe wieder aus.
"Es gibt Fressen, Kätzchen.", die Stimme des Mannes, der eine Schale neben ihr auf den Boden schepperte, war unangenehm rau.
"Wer sind Sie?"
"Tut nichts zur Sache, Schätzchen. Wenn wir mit dir fertig sind, hast du's sowieso vergessen.", er lachte krächzend und fuhr Liliana mit der Hand über den Rücken.
"Fass mich nicht an!", zischte sie. Lachend richtete sich der Mann auf und ließ Liliana im Keller zurück.
"Bald wirst du nicht mehr so eine große Klappe haben.", sagte er, als er den Kopf noch ein letztes Mal durch die Tür steckte und sie dann hinter sich zu fallen ließ. Liliana fiel unterbewusst auf, dass er nicht zugeschlossen zu haben schien. Da man manche Türen sowieso nur von einer Seite öffnen konnte, musste das leider nichts heißen.
Sie drehte den Kopf zur Seite und versuchte, in der vollkommenen Dunkelheit irgendetwas zu erkennen. Sie konnte keine Fesseln spüren, aber sie hatte nicht unbedingt die Kraft, sich aufzurichten.
"Dmitriy!", rief sie in die Dunkelheit, die Antwort war nur ein Echo ihrer eigenen Stimme. Erbärmlich, wie sie da im Dreck lag. Vor nicht allzu viel Zeit hatte sie es noch mit mehreren Angreifern auf einmal aufgenommen und dann die zwei Typen in Bolivien. Natürlich, diese Auseinandersetzung war ihr letztendlich zum Verhängnis geworden, aber sie hatte sich nicht schlecht geschlagen. Das sie fast drauf gegangen wäre, vergaß sie manchmal gerne. Ob es nun ein Zeichen Gottes oder Schicksal war, dass sie noch lebte, es hatte sie dazu getrieben, sich aus dem Geschäft als Auftragsmörder zurück zu ziehen. Seitdem war sie leider nicht mehr die Selbe. Schon, als sie mit dem verdammten Sohn des verdammten weißen Todes zusammen gekommen war, hätte sie erkennen müssen, dass ihr Niveau in den negativ Berreich sank. Damals hatte es ihr die Vorstellung einer Beziehung und eines Lebens ohne mehr Blut und Gewalt als nötig eben angetan, doch sie konnte ihrer Vergangenheit wohl nicht entkommen. Der Boden der Tatsachen ist eben ein gottverdammt blutiges Schlachtfeld.
Auf diesem Boden sollte sie nun vor sich hin rotten. Zu Grunde gehen vielleicht sogar. Von Dmitriy war keine Hilfe zu erwarten. Aber vielleicht von seiner Familie? Liliana konnte nur hoffen.
Nun brauche sie aber erstmal Kraft, denn, wenn man nicht laufen kann, kann man bekanntlich genauso wenig fliehen. Also riss sie sich zusammen und raffte sich auf, dann nahm sie Schale in die Hand.Lange erholen konnte Liliana sich nicht. Irgendwann setzen die Sorgen ein und dann die Angst. Es war wirklich stockdunkel.
Sie hatte kurz versucht, die Tür zu finden, hatte sich aber hoffnungslos verlaufen. Nichtmal eine Wand, an der sie sich entlang Tasten hätte können, schien da zu sein. Irgendwann war sie verzweifelt auf dem Boden zusammen gebrochen.
Sie hoffte fast, dass ihre Entführer wieder in den Raum kommen würden. Was auch immer sie mit ihr vor hatten konnte nicht schlimmer für sie sein, als die Ungewissheit der Finsternis. Sie hatte schon vieles durch gestanden, aber an der Dunkelheit scheiterte sie immer wieder. Möglicherweise eben weil sie dann Klarheit über ihre Erlebnisse erlangte. Und vor der Schwärze konnte sie sich nicht verteidigen.
Als die Tür sich tatsächlich öffnete, dankte sie Gott im Stillen. Wofür war die Frage, denn schutzlos fühlte sie sich noch immer. Sie legte die nackten Arme um den Körper und spürte nun den warmen Blutfleck auf ihrem dünnen Unterhemd. Mit gesenktem Kopf hockte sie in Fötus Position da, dann schlug plötzlich etwas neben ihr auf den Boden auf.
Sie erhaschte einen kurzen Blick auf die Frau; sie war übersäht mit blauen Flecken und ihre Haare klebten in blutigen Strähnen auf ihrem tätowierten Nacken. Dann wurde Liliana hoch gerissen, fest von beiden Seiten an den Armen gepackt und aus dem Raum geschliffen.
"Was wollen Sie von mir?", krächzte sie und musste die Augen vor dem hellen Tageslicht zusammen kneifen. Mindestens einige Stunden hatte sie also in dem Keller gelegen haben müssen, jedenfalls war die Nacht lange vorbei.
Als Antwort auf ihre Frage wurde Liliana unsanft auf einen Stuhl gedrückt, dann bekam sie eine Backpfeife und hatte kurz darauf einen Knebel im Mund. Ihr Lief Blut in den Rachen und aus der Nase, wodurch sie nur noch geringfügig Luft bekam. Dann wurde sie wieder hoch gerissen und eine weitere Treppe hinauf geschliffen, worauf sie sich in einer geräumigen Lagerhalle wieder fand. Es roch stark nach Fisch und Liliana nahm an, dass es das war, was sich in den unzähligen Kisten und Containern befand. Es sah fast aus wie ein kleiner Markt, nur ohne jegliche Besucher. Nur eine Gruppe an Männern, nicht sehr viel mehr als ein Dutzend in der Mitte der Halle. Und ein paar, die an Ein- und Ausgängen der Halle patroullierten. Fünf der Männer saßen um einen Tisch, der notdürftig aus Kisten zusammen gebaut war, und spielten irgend ein Spiel. Poker, wie Liliana vermutete. Was ihre Aufmerksamkeit sehr viel eher erregte war Dmitriy, der nur wenige Zentimeter neben einem der Männer auf einen Stuhl gefesselt saß. Ebenfalls geknebelt aber zumindest noch Ganz und nicht auffällig schlimm zugerichtet. Ein Veilchen und eine Platzwunde an der Stirn waren das Einzige, was ihr auf den ersten Blick auffiel. Er begann sich in seinem Stuhl hin und er zu schmeißen und unverständliche Töne von sich zu geben, als er Liliana erblickte. Dafür gab es von seinem Nebenmann eine Faust ins Gesicht, die ihn in sich zusammen sacken ließ.
Liliana reagierte auf seinen Anblick nicht halb so energetisch wie ihr Freund auf den ihren. Die Kraft konnte und wollte sie schlichtweg nicht aufbringen. Anders als Liliana schien Dmitriy wohl mit Nahrung versorgt wurden sein. Die Schale, die sie bekommen hatte, war bis Zum Rand gefüllt mit Milch. Das fanden die Entführer wohl lustig, Lilianas Laktoseintoleranz fand es aber nicht unbedingt zum Schreien.
Was Liliana zum Schreien fand war der Tritt in den Rücken und der Aufschlag auf den kalten Beton. Mehr als ein dumpfes Stöhnen brachte sie zwar nicht hervor aber ihr Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Gleichzeitig war es, als würde sie bei lebendigem Leibe ausgeweidet werden.
Sie versuchte wieder auf die Beine zu kommen, da stellte sich plötzlich jemand mit ganzem Gewicht auf sie und sie rollte schmerzerfüllt die Augen zurück.
"Da haben wir das Püppchen ja.", Jemand griff unter Lilianas Kinn und hob ihren Kopf an, damit sie dem Mann in die Augen sehen konnte. Er war geschätzt mitte vierzig, Japaner und hatte das eingefallenste Gesicht, das Liliana je in ihrem Leben gesehen hatte. "Was meint ihr, Männer? Wie viel ist unsere Schönheit wert?"
Durch die anderen Männer ging ein gehässiges Gelächter.
"Sein Daddy wird bestimmt keine weitere Millionen für jemanden wie dich zahlen, aber keine Sorge; ich kenne genügend andere, denen du sehr gut gefallen könntest!", er hob Liliana an und half ihr, sich aufzusetzen, nur um den Ausschnitt ihres Hemdchens weiter nach unten zu ziehen und über die schwarzen Tinte, dann über das silberne Kreuz and einer Kette zu streichen.
"Ich würd sie dir auch abkaufen, Boss!", scherzte einer der Männer. Die Schelle, die er dafür erhielt, schien nur nicht besonders amüsiert.
"Das Geld müsstet ihr Pappnasen euch erstmal verdienen! Wenn ihr weiter so schlampig arbeitet, gehört die Millionen", er schnappte sich einen silbernen Aktenkoffer vom Tisch, ,,mir allein."
"Jawohl, Boss!"
"Gut.", der "Boss" deutete mit seiner Waffe in die Runde, dann direkt auf Dmitriy, ,,Übrigens, Kleiner ... das mir deiner Mommy tut mir ja unglaublich leid."
Während Dmitriy wieder begann, in seinem Stuhl hin und er zu rucken, stiefelte der Mann lachend davon. Im gleichen Moment wurde Liliana gepackt und auf einen Stuhl neben Dmitriy gefesselt. Sie riss den Kopf hin und her und irgendwann löste sich ihr Knebel. Einer der Männer seufzte und wollte sich daran machen, sie wieder zum Schweigen zu bringen.
"Sie haben doch das Geld, warum lassen Sie ihn nicht gehen?", sie deutete mit dem Kopf auf den silbernen Koffer, den der Boss wenige Meter weiter auf dem Boden angestellt hatte. Der Mann lachte laut auf.
"Bist du wirklich so ein kleines naives Kind, dass du denkst wir würden ihn gehen lassen?"
"Was habt ihr dann mit ihm vor?"
"Hm, ich weiß es nicht genau ... vielleicht noch mehr Geld erpressen oder ... Männer? Wollen wir den Sohn lieber Häuten oder ihm jeden seiner Finger einzeln abhacken? Ganz deinem Daddy nach.", die Männer grölten vor Lachen. Dmitriys Kopf war hochrot vor Zorn. Aber er konnte ja nichts tun.
Nichts außer da sitzen, den Männern beim Spielen zuzusehen und zu warten. Schließlich wurden Lilianas Augen schwer und die spürte sich in einen unruhigen Dämmerschlaf abdriften.
Das Grummeln ihres Magens ließ sie kurze Zeit später wieder aufwachen. Der Fisch Geruch machte sie absolut wahnsinnig.
Sie wünschte sich das irgendetwas passieren würde. Irgendetwas.
Und als hätte Gott ihre Bitte erhört, knallte es aus einiger Entfernung laut, was die Pokernden aufschrecken ließ. Aber es geschah nichts mehr und sie kehrten zu ihrem Spiel zurück. Dann fiel der erste Mann. Gegenüber von Liliana, am Ende der Halle, ging er zu Boden und sie sah das Blut spritzen. Ihre Bewacher bekamen davon genauso wenig mit wie von den zwei Typen in blutigen Regen Ponchos, die nun auf die Gruppe zu kamen.
Liliana konnte noch erkennen, wie einer der Männer seine Pistole hob, dann wurde der Mann neben ihr von der Kugel vom Stuhl gerissen und blieb regungslos am Boden liegen.
Dann brach das Chaos aus, Waffen wurden gezückt, Männerstimmen brüllten durcheinander und von allen Seiten stürmten nun Bewaffnete durch die Gänge auf das Geschehen zu. Und das alles während Liliana nur da sitzen und schweigen konnte.
Sie suchte mit hecktischem Blick nach den Ponchos und als sie einen der Beiden endlich erblickte, landete seine Faust gerade direkt in Dmitriys Gesicht. Für eine Sekunde trafen sich ihre Augen und der Mann schien, als würde er sich an irgendetwas erinnern, doch da kam sein Begleiter schon mit einer leeren Schubkarre angerannt, sie hievten Dmitriy hinein und machten sich aus dem Staub. Dabei ging jeder, der versuchte sie aufzuhalten, kläglich zu Boden.
Liliana betrachtete die Szenerie geschockt und begann, sich in ihrem Stuhl hin und her zu drehen, in der Hoffnung, die Fesseln würden sich lösen. Es schien Aussichtslos.
"Die Pisser haben den Koffer!", brüllte einer der Männer und dann rannte eine große Karawane den Eindringlingen hinterher zum Ausgang.
Kurz dachte Liliana, sie wäre nun allein doch just in diesem Moment traf sie etwas, das sich wie eine Eisenstange anfühlte, gegen die Schläfe. Sie hätte fast entnervt geseufzt, dann wurde sie ein weiteres Mal ohnmächtig.
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Kill Me Pretty [Bullet Train]
AksiSehe ich nicht hübsch aus mit dieser Haut aus Porzellan und Augen aus Glas? Dein kleines Püppchen. Deine Worte sind wie Zucker, Aber Verwesung riecht auch süß.