Das heiße Wasser brannte in ihren Aufschürfungen. Es prickelte in ihrem Blut - mit ihrem Blut. Die kleinen platzenden Blasen infiltrierten ihr Herz.
War das Einsamkeitkeit? Fühlte Liliana sich einsam?
Es war nicht das gleiche Gefühl, wie die letzten Male, es war fast schlimmer. Und es schmerzte unangenehm in der Brust.
Sie stand vor einem großen Spiegel in einem Bad, in das so viel Glas verarbeitet war, dass es glänzte wie ein riesiger Diamant und starrte auf das schwarze Loch in ihrer Brust. Es war nicht wirklich da, doch spüren konnte sie es. Auf ihrer blassen Haut verschwamm es mit der feinen blauen Tinte und das beinahe auf eine ästhetische Art. Doch die Oberfläche war schon zu vernarbt, als dass sie noch weich hätte sein können. Ihre Hände hatten zu viel getötet, als dass sie noch zart hätten sein können. Ihre Kurven hatte sie schon lange in etlichen Monaten ohne Erholung und im Kampf mit sich selbst verloren.
Lilianas Mutter hatte sie immer ihren kleinen Engel genannt: weiße und sanfte Haut mit großen Augen und Haaren, die wie Gold über ihre fragilen Schultern flossen. Doch von diesem Engel konnte Liliana lange nichts mehr sehen. Vielleicht war er vom Himmel gefallen und hatte sich das Genick gebrochen, was wusste sie schon. Unter äußerlicher Schönheit verbag sie Abgründe, in die sie selbst nicht freiwillig hinein gesehen hätte.
Sie kämmte ihr nasses Haar mit den Fingern, während sie den Föhn auf ihren Kopf gerichtet hielt, bis es auf der Haut ziepte. Sie kratzte sich Restblut und alten Schorf aus dem Gesicht und ließ ihren Blick über die Regale schweifen. Dann bestrich sie ihren Körper großzügig mit Körperbutter massierte sich die verspannten Schultern. Es ließ sie kaum besser fühlen.
Gefühlt war eine schiere Ewigkeit vergangen, als Liliana das Bad verließ und in das Schlafzimmer trat, dass der Weiße Tod ihr zugewiesen hatte. Es schloss direkt an das Bad an und war außerdem mit einem Balkon und einem Ankleidezimmer ausgestattet. Liliana war sich nicht sicher, was sie von diesem Luxus halten sollte oder welchen Plan der Weiße Tod damit verfolgte, ihr eine so pompöse Unterkunft zu gewähren. In diesem Haus gab es Nichts, ohne dass man einen gewissen Preis dafür zahlen musste. Einen der meist höher war, als das, was man für ihn bekam.
Liliana streifte durch das Zimmer, fuhr mit den Fingern über die edle Bettwäsche und ließ sich splitternackt auf die schneeweiße Seide fallen. Der kühle Stoff schmiegte sich an ihre warme Haut und sie vergaß für eine Sekunde ihre schmerzenden Glieder, während sie verträumt ins hohe Gebälk starrte.
In ihre Decke gehüllt schlich sie in ihr Ankleidezimmer, suchte in den Unmengen an Kleidung nach etwas Schwarzem, gab schließlich erfolglos auf und legte ihre Fundstücke neben sich auf einem Hocker ab. Sie ließ ihre Decke sinken und betrachtete sich noch einige Sekunden in der großen verspiegelten Wand. Ihre Wunde an der Taille schien nach all dem Trubel langsam zu heilen und alte blaue Flecken verblichen langsam aber stetig. Sie sah nicht unberührt aus, doch es war, als könne sie spüren, wie eine frische Schneedecke auf ihren Körper hinab rieselte. Doch auch frisch geduscht, in ihrem kurzen weißen Kleid und Ballerinas mit gold glänzenden Verzierungen, erwischte sie sich wieder und wieder dabei, an Lemon zurück zu denken ... und Tangerine, sein geöffnetes Hemd, Tätowierungen unter goldenem Schmuck. Abwesend nahm sie vor einem kleineren beleuchteten Spiegel Platz und begann ihre Haare zu kämmen.
Ihre Gedanken kamen nicht los, das konnte nicht sein. Sie sollte damit beschäftigt sein, an ihren toten Freund zu denken oder daran, dass das Blutvergießen und Blutvergießen lassen bald wieder Teil ihres Alltags sein würde, doch alles, was durch ihren Kopf waberte, war der Geruch von teurem Tabak, frischen Rosen und Rum und das Gefühl seiner Ringe auf ihrer Haut. Und all das floss durch ihre Adern, wie ein kleiner, glänzender dunkelroter Fluss direkt in eine schwarze, brodelnde Brühe aus Wut.
Warum hatte sie sich auch eingebildet, sie wäre wichtiger, als Andere. Dass sie etwas Besonderes wäre und dass sie nicht in dem Moment ihrer Gedanken mit hoher Wahrscheinlichkeit schon vergessen war.
Nun wanderten ihre Gedanken unweigerlich doch zu Dmitriy und sie begann, ihre glasigen Augen unter perlfarbenem Lidschatten und langen Wimpern zu verstecken.
Sie musste ernst bleiben und sich zusammen reißen. An belanglosere Dinge denken, so wie andere Frauen ihres Alters, wenn sie sich für ihre abendlichen Verabredungen verzierten.
Sonderlich belanglos war ein Abendessen mit dem weißen Tod allerdings nicht. Liliana konnte jedoch ebenfalls nicht sagen, dass sie sich sonderlich darauf freute. Höchstwahrscheinlich wollte er über das Geschäftliche reden. Möglicherweise war er aber auch genauso einsam, wie sie.
Sie schmückte ihre Ohren und ihren Hals mit Perlen, fuhr über das silberne Kreuz auf ihrer Brust und warf eine weiße Strickjacke über, bevor sie das Zimmer verließ.
Aufgerüscht, ganz unbewaffnet unterwegs - fast hatte sie schon vergessen, wie es sich anfühlte. Sie schritt, einen ihr bekannten Weg, die Treppen hinunter durch die Eingangshalle, bis zu einer riesigen Flügeltür, die in ihrer Erinnerung zum Speisesaal führte. Noch bevor Liliana sie öffnen konnte erklangen Schritte und das Klick-Klack eines Gehstockes hinter ihr. Sie fuhr herum und stand dem Weißen Tod direkt gegenüber. Er stand näher hinter ihr, als sie erwartet hatte und sie starrte stumm zu ihm hinauf, wie er sie prüfend anblickte und mit den Fingern an seiner Krawatte herum spielte. Er betrachtete sie eingehend von oben bis unten, schien einige Sekunden über etwas unerfreuliches nachzudenken. Endlich ließ er von ihr ab und trat an ihr vorbei. Zwei große, breite Männer in schwarzen Anzügen, die sich hinter ihm gehalten hatten, traten nun vor um dem Weißen Tod die Tür zu öffnen.
"Darf ich bitten?", er hielt Liliana den Arm entgegen und führte sie bis zu einer langen Tafel, die an beiden Enden gedeckt war. Sogar den Stuhl zog er ihr zurück und bedeutete ihr wortlos sich zu setzten. Mehr Gentleman, als sein Sohn, dachte Liliana, doch sie musste zugeben, dass sie tatsächlich positiv überrascht war. Wenn sie es so betrachtete, war es nicht einmal selbstverständlich, dass sie noch alle Finger besaß.
Sie wurde an den Tisch geschoben und versuchte eine möglichst aufrechte Haltung einzunehmen. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie spürte, wie sich hinter ihr zwei Guerillas an ihren Seiten platzierten. Mit verschränkten Armen und sicherlich nicht unbewaffnet.
Der weiße Tod ließ sich am anderen Ende der Tafel nieder und klatschte in die Hände. Ohne, dass er einen Ton von sich geben musste, tauchte ein weiterer Anzugträger auf und er hielt ein kleines silbernes Tablett mit einer teuren Flasche Whiskey und zwei Gläsern. Liliana wurde eingeschenkt.
"Du bist über sechzehn, nicht wahr?", Liliana sah fassungslos auf, da begann der Weiße Tod plötzlich krächzend zu lachen. Liliana zwang sich ebenfalls zu einem kleinen Kichern. Wirklich amüsant fand sie die Frage nicht, ob sie nun ernst gemeint war oder nicht.
"Ich bin zweiundzwanzig.", sagte sie, in ihrer Ehre gekränkt, und überschlug die schmalen Beine.
"Frischblut und dann auch noch so jung.", der Weiße Tod kicherte, "Du erlaubst?"
Er griff eine Zigarette aus einer Schachtel, die ihm einer seiner Angestellten entgegen hielt. Liliana nickte und sah ihn fragend an, als ihr die Schachten ebenfalls entgegen gestreckt wurde. Der Weiße Tod wiegte zustimmend den Kopf, trank seinen Whiskey, starrte nachdenklich durch ein großes Fenster in die Dunkelheit.
"Du bist mit Sicherheit hungrig.", sagte er, nachdem Beide eine Zeit lang nur still gequalmt hatten. Liliana hatte kaum Zeit zuzustimmen, da stand schon ein dampfender Teller vor ihr auf dem Tisch. Überfordert nahm sie einen Schluck aus ihrem Glas, erst, als sie aus dem Augenwinkel sah, dass der Weiße Tod selbst mit dem Essen begann, traute sie sich, die Gabel zu heben.
"Ich wollte mit dir über meinen Sohn reden."
Plötzlich war Liliana der Appetit vergangen. Sie legte das Besteck nieder und sah auf, "Worüber genau?"
"Ich hatte gehofft, du bringst ihm früher ein Ende."
"Ich habe mit Dmitriys Tod nichts zu tun."
"Schade drum. Er war ein wirklich widerlicher kleiner Pflegel, ich hätte nichts dagegen gehabt, ihn früher aus meinem Leben amputiert zu haben. Nun, letztendlich muss man wohl alles selbst machen nicht wahr?", er musterte Liliana, "Doch es hat dich zu mir verschlagen."
Liliana war nicht sicher, ob sie seine Aussage als erfreut deuten sollte, also sagte sie nichts.
"Ihre Kleider sehen schön an dir aus, kleine Liliana."
"Wessen Kleider?"
Der Weiße Tod fuhr sich schmunzelnd über die Lippen, "Sie gehörten meiner verstorbenen Frau."
"Mein herzliches Beileid."
Der Weiße Tod begann zu Lachen. Seine Stimme ließ Liliana erzittern. Sie wusste nicht, was es war, aber irgendetwas an ihm löste ihren Fluchtinstinkt aus. Doch sie spürte auch Mitleid; sie hatte ihren Freund verloren, doch er verlor Sohn und Ehefrau. Diesen Schmerz konnte und wollte sie sich nicht vorstellen.
"Wie auch immer,", der Weiße Tod zündete sich eine zweite Zigarette und blies eine gewaltige Qualmwolke in die Luft, "Ich habe bereits den ersten Auftrag für dich."
Er hatte wohl gesehen haben müssen, wie Liliana schluckte, denn er grinste ein widerlich selbstzufriedenes Grinsen.
"Sorge dich nicht, Kleine Liliana, einen einfacheren Auftrag würdest du nicht finden. Du willst dich lieber langsam heran tasten, das verstehe ich."
Liliana wollte sich gar nicht heran tasten.
"Du erinnerst dich noch an die zehn Millionen?"
"Ja.", wie hätte sie sich auch nicht an die zehn Millionen erinnern können.
"Nun, nicht, dass ich es nötig hätte, doch Geld ist Geld. Und ich hätte meines gern zurück. Und da kommst du ins Spiel."
"Ich?"
"Du weißt, wer den Koffer hat, Liliana."
Liliana räusperte sich. Natürlich wusste sie, in wessen Besitz der Koffer sich nun befand. Trotzdem stellte sich ihr die Frage, warum der Weiße Tod sie vorschickte, anstatt seine eigene Tochter selbst ausfindig zu machen und ihr das Geld abzunehmen. Das würde unfraglich viel Stress ersparen.
Laut ausgesprochen hätte Liliana ihre Gedanken nie.
"Und wie soll ich sie finden?"
"Lass dir etwas einfallen, Liliana. Du hast Zeit bis morgen früh."
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Kill Me Pretty [Bullet Train]
ActionSehe ich nicht hübsch aus mit dieser Haut aus Porzellan und Augen aus Glas? Dein kleines Püppchen. Deine Worte sind wie Zucker, Aber Verwesung riecht auch süß.