07

32 3 0
                                    

Die Großstadt erwachte gerade zum Leben, während der Wagen Yokohama verließ und in Richtung Tokyo Station fuhr.
Lemon hinter dem Steuer wippte mit dem Kopf zu einem Song, den nur er hören konnte. Dmitriy wachte alle paar Minuten kurz auf um gleich wieder weg zu dösen und Tangerine telefonierte.
"Ja, wir werden pünktlich den Zug erreichen. Alles läuft nach Plan, kein Grund zur Sorge.", er fuhr sich durch die Haare und ließ das Handy zurück in die Innentasche seines Jacketts rutschten, ,,Misstrauische Bastarde. Alles beschissene, dreckige, verfickte Wichser!"
"Mach halb lang, Kumpel. Wir haben eine Lady im Auto!", schmunzelte Lemon. Er fuhr den Wagen in eine Seitenstraße neben dem Bahnhof und hielt an, richtete seine Krawatte samt Hosenträger und stieg aus. Mit einer Handbewegung gab er seinen Beifahrern zu verstehen, dass sie im Wagen bleiben sollten.
Liliana fielen nun die schwarz gekleideten Japaner auf, die sich neben einer Mülltonne gegammelt hatten uns nun grinsed auf Lemon zu schlenderten. Yakuza.
Lemon warf einen Blick über die Schulter, dann zog er die Pistole so schnell hervor, dass die Männer kaum reagieren konnten.
Als er fertig war, zog er die Überbleibsel seiner Arbeit hinter den Müllcontainer und öffnete die Wagentür.
"Kann los gehen!", er zog sich eine Jeansjacke und einen Trenchcoat über, den gleichen, den Tangerine sich auch über warf. Er öffnete Liliana die Autotür und bot ihr seine Hand an. Ein schmales Lächeln umspielte die Lippen der Blonden, als sie Lemons Hand dankend annahm und sich aus dem Sitz ziehen ließ.
Auf der anderen Seite des Autos gab Tangerine Dmitriy einen Klatscher nach dem Anderen, doch Dmitriy nuschelte nur unverständliche Worte vor sich hin und nickte dann wieder ein. Tangerine fluchte frustriert als er Dmitriy aus dem Auto zog und verzog angewiedert das Gesicht bei dem Anblick Dmitriys dreckiger Kleidung, ,,Der Junge riecht grausam!"
"Du wirst drüber hinweg kommen!", Lemon schnappte sich den Aktenkoffer. Er leitete die Gruppe zum Eingang des Bahnhofs und dann den Anzeigetafeln nach, bis er abrupt neben einem MC Donald's zum stehen kam. Liliana lief in ihn hinein und stolperte in Tangerine, wodurch alle ins Wanken gerieten. Lemon aber könnte das nicht weniger interessieren, er drehte sich um und verschwand in dem Fastfood Restaurant.
"Was ist denn jetzt los?", Liliana und Tangerine blieben verdutzt stehen. Als Lemon zurück kam, trug er ein breites Lächeln im Gesicht und ein Happy Meal in der Hand.
"Ist das dein Ernst, Lemon?", Tangerine sah ihn entgeistert an, ,,Dafür bringst du unseren Zeitplan in Gefahr?"
"Da sind Figürchen von Thomas drin, da muss man zuschlagen, verdammt.", erklärte Lemon mit einem Gesichtsausdruck, der keinen Widerspruch zuließ, ,,Und wir liegen gut in der Zeit."
"Du musst nicht diesen stinkenden Druggie mit dir rumschleppen, wenn ich dich dran erinnern darf."
"Wenn er dir zu schwer ist, können wir gern tauschen.", Lemon zuckte die Schultern.
Tangerine schien in seinem Stolz verletzt; er ging nun noch einen Schritt schneller in Richtung Gleis.
Lemon gickelte und gab Liliana einen kleinen Schubs, damit sie weiter ging. Er folgte.
Liliana knurrte bei dem Geräusch der Knisternden Tüte der Magen und ihr fiel auf, wie lange sie schon keine fest Nahrung mehr zu sich genommen hatte. Umso glücklicher war sie, als Lemon neben ihr auftauchte und ihr ein Chicken Nugget anbot. Ihr Gesicht musste sich sichtbar aufgeheitert haben.
"Kannst sie alle haben,", Lemon drückte ihr die Tüte grinsend in die Hand und klopfte sich auf den Bauch, ,,ich hab gut gefrühstückt. Du wehst sonst noch weg, wenn der Zug kommt."
"Wow, danke!", Lilianas Augen leuchteten auf und sie griff die Tüte ohne zu zögern. Nie hatte sie sich so über ein ranziges, fettiges Happy Meal gefreut. Happier hätte sie nicht sein können.
"Willst du dich mit ihr anfreunden oder deinen Job erledigen, Lemon?", grummelte Tangerine.
"Wenn du auch Nuggets willst, hättest du es einfach sagen müssen!"
"Du spinnst ja wohl. So einen Dreck ess ich nicht."
"Du hast dich die letzte Woche von Tayaki ernährt, Bruder. Ist das so viel gesünder?"
Tangerine ließ Dmitriy auf eine Sitzbank fallen und richtete seine Krawatte. Dabei würdigte er Lemon keines Blickes.
"Du auch auf die Bank. Ich hab wirklich keine Lust dich die ganze Zeit beim rumwuseln beobachten zu müssen."
Liliana verkniff es sich, Ja, Coach zu sagen und ließ sich ebenfalls auf der eisernen Bank nieder. Sie rückte ein bisschen von Dmitriy weg, denn er stank wirklich brutal. Da war Liliana froh, dass sie noch hatte duschen können.
"Ihr scheint euch ja wirklich lieb zu haben. Ich hatte erwartet ihr würdet euch ein bisschen mehr ... naja ... in den Armen liegen.", Liliana sah Tangerine an, dann Dmitriy, ,,Er ist schließlich der Sohn des weißen Todes."
Liliana war froh, dass Dmitriy noch immer weg getreten war und nichts vom Allem mit bekam. So gefiel er ihr ganz gut. Still und zurück haltend.
"Hat's dir jetzt die Sprache verschlagen oder was?", Tangerine zog eine Zigarettenschachtel aus der Tasche, zündete sich eine und sah auf die Uhr. Er hielt Lemon die Schachtel entgegen, aber der winkte ab.
"Das ist schlecht für die Gesundheit."
Tangerine zuckte die Schultern und ließ sich auf der Bank zwischen Liliana und Dmitriy nieder. Er überschlug die Beine und kramte eine Feuerzeug hervor. Nach dem ersten Zug sah er irritiert zu Liliana hinüber.
"Mein Gott, was zappelst du denn so? Wir fallen schon genug auf, reiß dich zusammen."
"Bin ich freiwillig hier?", motzte Liliana sofort verärgert.
"Keine Sorge, Kleine.", er lachte abwertend, ,,Bald kannst du dir wieder in Ruhe mit der kleinen Rotznase und seinem Daddy Eisballet anschauen und besoffen Bären fangen oder was auch immer. Einfach weiter machen, wie vorher."
Einfach weiter machen, wie vorher. Liliana bemerkte ein mulmiges Gefühl, das aus ihrem Magen in ihre Brust hinauf kroch. Der Gedanke an die Konsequenzen dafür, dass sie Dmitriy nicht vor dem Knast gerettet hätte, was die unschöne Situation mit der Entführung sicher vermieden hätte. Oder auch die Vorstellung an sich, dass es alles einfach wie gewohnt weiter gehen würde, das war irgendwie sogar schlimmer. Und sie konnte nicht einmal davon laufen, denn der weiße Tod fand einen überall. Auch dort, wo nicht einmal der Teufel nach einem suchen würde.
Plötzlich hatte Liliana ein abstraktes Bild von sich selbst im Kopf, nur noch ein Krüppel ohne Arme oder Beine, für immer an einen Mann gebunden, der die Drogen mehr liebte, als sie. Und wenn sie irgendwann nicht mehr interessant genug war oder schön oder jung genug war, ließ man sie einfach irgendwo liegen, bis die Aasgeier ihren Körper zerfetzten. Ein kleiner Teil von ihr wünschte, sie wäre in Bolivien gestorben. Oder hätte den weißen Tod nie kennen gelernt. Hätte nie von seinem Sohn erfahren und von seinen ganz eigenen Foltermethoden. Da war die Schwärze wieder. Mit weit geöffnetem Maul.
"Komm runter, das war doch nur ein beschissener Witz.", Liliana spürte eine Hand auf ihrem Oberschenkel, die ihr zitterndes Bein fest auf die Sitzbank drückte, ,,Konnte ja nicht wissen, dass Russen so wenig Spaß verstehen."
Liliana machte einen tiefen Atmenzug und trocknete ihre Augen mit dem Ärmel ihrer Jacke.
"Was hast du jetzt schon wieder gemacht, Tangerine?"
"Was weiß ich! Das war nicht meine Schuld! Ich kann ja nicht wissen, dass sie gleich heult!"
"Na super gemacht!", stöhnte Lemon, ,,Du bist einfach unsensibel!"
"Ich bin Profikiller und kein beschissener Psychiater!", fauchte Tangerine gereizt. Er fummelte an seiner Jacke herum und holte die Zigaretten wieder hervor, ,,Nimm. Und dann komm endlich runter."
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern wischte Liliana sich über die Augen und zog eine Zigarette aus der knitterigen Packung. Sie drehte den weißen Filter zwischen den Fingern und nahm das Feuerzeug entgegen, das Tangerine ihr entgegen hielt. Der goldene Zipper glänzte edel im neonlicht des Bahnhofs. Liliana fuhr mit den Fingerkuppen über eine Eingravierung. Vögel, vermutete sie, Kolibris vielleicht. Symbole für grenzenlose Freiheit; perfekt für einen Kidnapper.
"Davidoff? Schick.", wärend sie die Zigarette zündete, schaute sie kurz auf und ihr Blick traf den Tangerines. Er musterte sie und entfachte sich selbst eine Zweite.
"Entsorgt die Giftstängel wenigstens, wenn ihr fertig seid.", mischte Lemon sich augenrollend ein, ,,Und am Besten schnell, da hinten kommt der Zug."
Tangerine rauchte mit ein paar langen Zügen auf und trat den Filter, ganz zu Lemons Ärger, vor ihm auf dem Boden aus. Leise murmelnd machte er sich daran, Dmitriy wieder hoch zu ziehen.
Liliana ließ sich ein bisschen mehr Zeit mit ihrer Zigarette, fummelte an einem Loch in ihrer Strumpfhose und warf einen unauffälligen Blick über die Schulter, um den nächsten Ausgang ausfindig zu machen. Der Bahnsteig füllte sich langsam mit Menschen, eine perfekte Gelegenheit sich aus dem Staub zu machen. Sie stand vorsichtig auf und entfernte sich ein paar Schritte von den Gleisen, als würde sie sich nur einen Mülleimer suchen. Sie verschwand ein Stück in der Masse an Leuten, die auf den einfahrenden Shinkansen zustoben, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und flüchtete durch die Massen in Richtung der Rolltreppen zum Ausgang.
Als sie die Haupthalle erreichte jubelte sie innerlich, doch da hatte sie sich wohl zu früh gefreut. Ein fester Griff legte sich um ihren Oberarm und sie wurde zurück zum Gleis gezerrt.
"Du,", begann Lemon, während er sich und Liliana den Weg frei schubste, ,,du bist ein James."
"Was?"
"Ein James.", Lemon zog die kleine Figur aus seinem Happy Meal hevor, eine kleine rote Spielzeuglokomotive, ,,Übermütig, ungezogen und verdammt dickköpfig. Verdammt dickköpfig!"
Er drückte Liliana das Figürchen in die Hand und schubste sie in den Zug, dann schlüpfte er hinterher. Millisekunden bevor sich die Tür schloss und der Zug sich in Bewegung setzte.
Liliana ließ sich bockig durch den Zug schieben, bis sie in ihrem Abteil ankamen.
"Was ich damit sagen will,", Lemon drückte sie auf Fensterplatz direkt gegenüber von Dmitriy, ,,manche Ideen sind nicht so schlau wie du vielleicht denkst, also überlass das Denken fürs Erste mir und Tangerine."
"Von mir aus.", grummelte Liliana und lehnte den Kopf an die Schreibe.
"Gute Entscheidung.", Lemon lächelte und ließ sich auf der anderen Seite des Ganges gegenüber von Tangerine nieder. Liliana zog eine Grimasse, dann wandt sie sich wieder ihrem Fenster zu und starrte hinaus in die Nacht.

Kill Me Pretty [Bullet Train]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt