Kapitel 2

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Da saß er. Auf einem Felsen. Das hier war mein Lieblingsplatz. Hier wurde ich von niemandem gestört. Aber jetzt saß er da.
Ich bewegte mich nicht, als ich ihn sah. Er würde mich sofort hören. Eigentlich hätte er mich schon kommen hören müssen. Aber er spielte verträumt, oder wohl eher besorgt, mit einem Zweig, welchen er in seinen Fingern drehte.

Am Besten ich tat nichts und duckte mich bis er gehen würde. Am Besten ich schlich langsam weg und rannte dann so schnell wie möglich so weit wie möglich weg. Denn ich war nur ein Mensch. Und er war ein Dämon. Aber das war mir egal. Er unterdrückte meine Rasse. Meine Wut und mein Hass von vorhin flammten wieder in mir auf und ich sah den jungen Mann, der seine Familie verloren hatte, geistig vor mir. Ich konnte nicht einfach wegrennen und mich verstecken. Es würden immer mehr Menschen ihre Seelen verlieren. Jemand musste ihn und seine Artgenossen aufhalten.

Ich ballte meine Hand zur Faust, während ich mir ausdachte, wie ich ihn am Schnellsten töten könnte. Ein aussichtsloser Gedanke und trotzdem wollte ich den Dämon ernsthaft umbringen. Es muss doch einen Weg geben... schoss mir der Gedanke von eben durch den Kopf. Ich wollte nicht weglaufen, nur um dann meine Seele zu verlieren, wenn er mein Dorf findet.

Ein kleiner Wind kam auf und durchkreuzte meine Mordpläne. Er war so kurz und so schwach. Aber er wehte meinen Geruch zu ihm herüber. Er reagierte langsam, hob den Kopf. Seine Augen wanderten über die Bäume. Mensch. Er hatte Mensch gerochen. Ich wagte es nicht zu atmen. Mein Körper reagierte auf meine Angst und ich erstarrte. Meine Finger verkrampften sich um den Krug, der für das Wasser gedacht war.

Ein Reh sprang zwischen den Bäumen hervor. Innerhalb eines Wimpernschlags war er bei dem unschuldigen Tier, hatte sein Schwert gezogen und den Kopf vom Rest des Rehs getrennt. Bevor ich erleichtert aufatmen konnte, zuckte sein scharfer Blick zu mir. Er hatte mich gefunden. Natürlich hatte er das. Es war töricht von mir zu glauben, er hätte nur das Reh bemerkt. Ich hatte ihn unterschätzt. Wieder spürte ich seine große Macht und wusste jetzt schon, dass ich so gut wie keine Chance gegen ihn hatte. Langsam richtete er sich auf und steckte sein Schwert zurück in die Scheide.

„Seit wann stehst du da schon, Mensch?", das letzte Wort spuckte er förmlich zu Boden. „Geht dich nichts an, Dämon", konterte ich und verzog meine Lippen angewidert. Wenn ich schon starb, dann nicht auf den Knien um Gnade flehend, sondern mit Würde. Sein Blick verfinsterte sich: „Du solltest lieber nicht so frech sein! Also, seit wann?" Obwohl ich vor Angst zitterte, wollte ich nicht klein wirken. Seinem Blick nicht ausweichen, obwohl mir meine Instinkte rieten, so schnell wie möglich wegzulaufen. „Lange genug", gab ich zurück. Er hob abschätzig eine Augenbraue: „Spiel keine Spielchen, die du nicht gewinnen kannst!" Seine Stimme war ruhig und leise, aber zugleich auch hart und kalt. Ich hielt seinem eisernen dunklen Blick stand. „Ich habe nichts zu verlieren." „Das bezweifle ich, Mensch", seine Dämonenaugen bohrten sich in meine und jagten mir einen widernatürlichen Schauer über den Rücken. Ich spürte, wie sich etwas in mir zusammenzog und nach einem kurzen Augenblick der Verwirrung verstand ich, was er vorhatte. Panik brach in mir aus. So musste es sich anfühlen, wenn einem die Seele gestohlen wird. Natürlich hatte ich etwas zu verlieren. Es war meine Seele. Und er wollte mir das demonstrieren.

Schweiß sammelte sich auf meiner Stirn und ich biss die Zähne fest zusammen, um nicht zuzulassen, dass sich meine Seele einen Weg aus meinem Körper bahnte, so wie ich es von dem verstörten Mann aus dem überfallenen Dorf gehört hatte. Aber der Dämon wollte etwas von mir. Sonst würde er es schneller tun. Sonst hätte er mir schon längst meine Seele entzogen, wie er es schon bei tausenden getan hatte, und ich wäre nur noch eine leere Hülle.

Noch immer hielt ich seinem Blick stand. Aber wohl eher deswegen, weil ich durch seine dunkle Magie dazu gezwungen war, ihm in die dunkelvioletten Augen zu sehen. Langsam kam er auf mich zu. Je näher er kam, desto deutlicher spürte ich seine finstere Präsenz und das schmerzhafte Ziehen meiner Seele in meinem Inneren. Ich versuchte mich aus seinem unsichtbaren Griff zu winden, doch seine Augen zogen mich noch immer an.

„Interessant...", seine Mundwinkel zuckten nach oben. Ich konnte seine Miene nicht deuten, aber sie konnte nichts Gutes heißen. Vielleicht wäre weglaufen doch die bessere Option gewesen. Aber dann hätte er mich verfolgt und innerhalb eines Wimpernschlags geköpft. So, wie er es mir am Reh demonstriert hatte. Meine Ausdauer und Schnelligkeit hin oder her. Er würde mich definitiv erwischen.

Ich schob die Gedanken beiseite, als mich der Dämon mit den schwarzen Haaren, die wie Flammen nach oben züngelten, fast erreicht hatte. Er ließ sich Zeit, spielte mit seiner in die Falle getappten Beute. Ich wollte nicht seine Beute sein, doch das einzige, wozu ich fähig war, war ein scharfer Blick, den ich nur mit großer Mühe zustande brachte, während ich versuchte, meine Angst und die Schmerzen, die sich von der Brust und dem Bauch in den ganzen Körper verteilt hatten, zu ignorieren.

Dicht vor mir blieb er stehen. Erst jetzt erkannte ich, dass der Dämon nicht sehr groß war. Er war zwar immer noch etwas größer als ich, aber ich musste nicht zu ihm aufschauen.

Noch immer hielt ich meine Zähne zusammengebissen, so dass ich schon fast Kopfschmerzen bekam. Aber vielleicht kamen diese Schmerzen auch von der übernatürlichen Macht der Kreatur, die in Menschengestalt vor mir stand.

„Interessant", wiederholte er. „Ich habe dich gar nicht kommen hören. Wie hast du das gemacht?" Ich schluckte meine Panik herunter. „Vielleicht bist du einfach taub!", wenn ich schon meine Seele verlor, dann nicht als ein schwacher unterdrückter Mensch. Seine kalten Finger legten sich um meinen Unterkiefer und drückten so fest zu, dass mein Kopf noch mehr Schmerz durchzuckte. „Du bist mutig, aber du bist nicht gerade schlau. Wie hast du dich so leise verhalten, dass ich dich nicht hören konnte?!", schrie er mich jetzt an und ich musste unter dem Druck auf meinem Kiefer aufkeuchen. „Ich weiß es nicht", antwortete ich ehrlich. Tränen des Schmerzes stiegen mir in die Augen und ich blinzelte sie schnell weg. Der Dämon zog seine Augenbrauen zusammen und lockerte seinen Griff. Hat er meine Tränen gesehen? Hat er Mitleid? Nein, er weiß doch gar nicht, was das ist! Er ist ein Monster!

„Ich war wohl zu sehr in Gedanken und habe dich deswegen nicht bemerkt. Zu deinem Pech hat dich aber der Wind verraten. Du bist eben nicht komplett unsichtbar, du bist nur ein Mensch. Und zu deinem Pech habe ich gerade Hunger bekommen", gierig sah er mich an. Erneute Panik überfiel mich. Er wird nie meine Seele bekommen! Die Situation mag noch so aussichtslos sein, aber ich gebe niemals auf! Ein großer Überlebenswille stieg in mir auf und Ehrgeiz durchflutete mich und drängte meine Angst zurück.

Der Dämon verengte seine Augen zu Schlitzen: „Du hast eine starke Seele. Ungewöhnlich stark für einen schwächlichen Menschen." Für einen Moment sah es so aus, als würde er dafür eine Erklärung finden wollen. Doch die Falten auf seiner Stirn glätteten sich wieder. Es war ihm egal, warum meine Seele, seiner Meinung nach, so stark war. Es machte ihn einfach nur noch hungriger.

Er leckte sich über die Lippen und fuhr mit seiner Hand in meine Y/H Haare. Kurz verwirrte mich diese zuerst zärtlich wirkende Geste, doch dann riss er plötzlich meinen Kopf nach vorne. Schmerz durchfuhr meine Kopfhaut und ich zuckte zusammen. Noch immer konnte ich mich nicht rühren. Nicht einmal meinen kleinen Finger konnte ich bewegen. Das Monster, das meinen Schmerz wahrscheinlich genoss, hielt mich in seiner Macht gefangen. Eisige Kälte stach mir in den Rücken, als ich bemerkte, wie der Dämon seine Handfläche auf meinen Rücken legte.

Tausend Eisstacheln bohrten sich in meinen Rücken und die Kälte füllte augenblicklich meinen gesamten Körper aus. Ich begann zu zittern. Jedoch nicht, weil ich fror, sondern eher da mich ein Schwächegefühl überkam.

Die Eiseskälte betäubte meine Gliedmaßen und höhlte mich aus. Das Ziehen in meinem Innern wurde unerträglich und ich sank auf die Knie. Ich nahm kaum wahr, wie sich der schwarzhaarige Dämon neben mir in die Hocke begab, um den Kontakt seiner Hand auf meinem Rücken nicht zu unterbrechen. Ich stützte mich mit den Händen auf dem Boden ab. Dabei entging mir nicht das Zittern meiner Arme. Doch ich kämpfte weiter gegen die Kälte und die Dunkelheit an, die mich zu überfallen drohten.

„Ich werde dich wiederfinden. Du bist interessant, Mensch. Ich wüsste nur zu gerne, wie deine Seele schmeckt. Aber für heute hast du Glück gehabt!", zischte der Dämon gereizt neben meinem Ohr. Dann zog er plötzlich seine Hand von meinem Rücken zurück und verschwand.

Der Schmerz und die Kälte ließen so schnell nach, dass mir übel wurde. Meine Erschöpfung übermannte mich schließlich und ich ließ mich schwer zur Seite fallen. Es bildeten sich bereits schwarze Punkte in meinem Blickfeld. Glück? Von was hat er gesprochen? Warum ist er plötzlich geflohen? Dann sah ich nichts mehr.

Zeldris - Du bist mein Mensch! (Reader ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt