Kapitel X

23 5 1
                                    

Alle starrten auf den leblosen Körper von Schmetterling. Wunden waren überall und ihre Schnauze war von Blutsprenkeln betupft, die sich wie Sommersprossen in ihrem Gesicht verteilt hatten. Das sonst immer so freundliche Gesicht wirkte nun matt, erschöpft und ausgemergelt. Keiner bemerkte, dass ihre Pfoten noch einmal kurz bebten, ehe sie für immer stillhielten. Habicht war anzusehen, dass er schreien, weinen oder reden wollte. Aber vor allem wollte er aufwachen, aus diesem schrecklichen Alptraum, der den meisten als Realität bekannt war. Was aber niemand wusste und kaum jemand je wissen würde, war, dass er gebrochen worden war. Mit Liebeskummer hätte er noch leben können, aber das war zu viel. Das Schlimmste allerdings war, dass er erkannte, wem ihre Liebe eigentlich gegolten hatte. Er bemerkte die Anzeichen, die ihm schon viel früher hätten auffallen können. Es heißt ,,Liebe macht blind", aber in Habichts Fall, unaufmerksam und traurig.

Kirous machte sich klein, er hatte das Gefühl, er war an allem schuld. Dass dem nicht so war, war ihm auf irgendeine Weise nicht bekannt und doch vertraut. Sein Blick huschte umher und automatisch machte sich ein Vergleich in seinem Kopf breit. Die Lichtung davor, mit grünem Gras, ein paar Blumen und Bäumen um den Rand, eben eine hübsche Waldlichtung. Nun hatte sich das verändert. Die meisten Bäume waren umgefallen und die schon bisher geringe Anzahl der hochgewachsenen Pflanzen war nun noch mehr gesunken. Sein Selbstbewusstsein fühlte sich wie zersplittert an, war es doch eh schon immer klein gewesen, so wirkte es jetzt eliminiert. Keiner wusste, was er tun oder sagen sollte. Eine Zeit lang herrschte Ruhe, dann ertönte ein Fauchen. Der Schatten, der eine Zeit still gewesen war, zuckte nun und hob immer wieder eine Pfote, wie um sich selbst zu schlagen, ließ es dann aber. Die Gruppe an Wölfen zuckte zurück, aber diesmal wollte keiner einfach warten und schauen, was passierte. Denn nun waren sich alle dessen bewusst, was dieses Monster anrichten konnte. Sturm packte Schmetterlings Gefängnis namens Körper, der ihren Geist bis vor kurzem noch gefangen gehalten hatte. Himmel half ihrem besten Freund und so schleppten sie die einst so schöne, nun jedoch brutal zugerichtete Wölfin so schnell wie ihre Pfoten und ihre Rücken es hergaben, Richtung Lager. Donner machte seinem Name alle Ehre und donnerte voran, seine Rudelmitgliedern waren dicht hinter ihm.

Ein paar Wölfe, die den Schatten beobachteten, blieben. Reh war noch da, ihre Unsicherheit aber auch ihr Wille, zu helfen und sich zu beweisen, war deutlich spürbar. Auch Mond war geblieben, auch wenn er einfach im Hintergrund heimlich ein paar herabgefallene Blumen aufsammelte, die am Baumstamm befestigt gewesen waren. Kirous war in eine Flüsterdiskussion mit Weide vertieft, weil er auch gehen wollte, während Weide ihn, so leise wie es eben ging, anfauchte, er solle sich zusammenreißen und mithelfen, da er ja immerhin mit dem Schatten verwandt war. Oder zumindest mit dem aktuellen Verfluchten. Sand war unglaublich fasziniert und näherte sich dem Biest immer weiter, das mit sich selbst zu kämpfen schien. So langsam wirkte es, als würde der Fluch über den Geist siegen und die Augen von ihm schienen immer verzweifelter. Da erblickten sie Sand. Hoffnung und eine Idee schimmerten plötzlich in ihnen und mit letzter Kraft drückte es sich selbst den Kopf nach unten, um die Nase der alten Wölfin zu berühren. Das Ganze passierte mit einer Geschwindigkeit, dass Sand nicht ausweichen konnte. Eine Licht und Druckwelle wurden nun von den Sturmgrauen Augen und Sands hervorgebracht. Die Welle ließ Kirous sofort zu Boden stürzen und Weide taumeln, ehe sie sich hinlegte, dicht an den Boden gepresst und so flach wie möglich.

Sands Augen waren nun von einem dunklen Blau, sie schimmerten und waren wie zwei Irrlichter, die leuchten, während der Himmel sich verdunkelte. Kirous erkannte schnell, dass das nicht seine Tante war, die dafür sorgte, dass alle Helligkeit verschwand. Jemand anderes hatte nun die Kontrolle über ihren Körper, aber es war eine gute Macht. Mit einem Mal blickten ihn die Augen direkt an. Bilder fluteten seinen Kopf, von einer Wölfin mit sturmgrauen Augen, die Sand bis aufs Auge zu gleichen schien. Mit dem Unterschied, dass Sand als kleiner Welpe danebenstand und sich mit einem anderen Welpen ein hitziges Wortgefecht lieferte. Er hätte seine fünfte Pfote darauf verwettet, dass er das war, wenn es nicht unmöglich gewesen sein konnte. Das musste seine Mutter sein. Gerne hätte er länger zugeschaut, doch die Bilder verblassten und er erkannte, dass die Wölfin vor ihm sie gesendet haben musste. Dann fiel ihm etwas ein. Eine Geschichte, aus der Höhle, die er nur an den Bildern deuten konnte. Eine Wölfin aussehend, wie die Wölfin von den Bildern, auf dem Rücken mit einem Mal geschmückt, das die Form eines Mondes hatte. Diese Wölfin war eine Mondwölfin. Seine Großmutter war eine Mondwölfin.

Nun da er wusste, wie mächtig sie war, wuchs sein Respekt noch ein weiteres Mal. Jedoch auch seine Zweifel. Alle in seiner Familie waren Helden nur er nicht. Seine Mutter hatte ihr Leben für ihn geopfert, seine Tante hatte ihr halbes Leben damit verbracht nach einer Möglichkeit zu suchen, dass niemand mehr den Fluch erleiden musste. Nur er war ein Angsthase und leicht zu verunsichern noch dazu. Mit hängenden Ohren beobachtete er, wie seine Großmutter den Schatten ansprang wie ein aggressives Eichhörnchen. Sie trat auf seinen Hals ein, was ein Röcheln und Husten verursachte, ehe man sah, wie etwas Großes endlich richtig heruntergeschluckt wurde. Alle Anwesenden kamen zum gleichen Schluss: Der Ast mit den Blumen hatte deswegen nichts bewirkt, weil er nie im Magen angekommen war, um von dort den Schatten zu zerstören. Doch nun war es so weit und somit sprang die Mondwölfin ab und brachte sich in Sicherheit, ehe sie mit Absicht den Blütenstaub einer abgefetzten Blume die herumlag, einatmete. Für Kirous sah es verdächtig nach Lavendel aus, auch wenn hier eigentlich keiner wuchs. Er hoffte, Himmel hatte sich nicht ins Dorf geschlichen, dort angepflanzten Lavendel ausgebuddelt und ihn dann hier wieder eingepflanzt. Er traute es ihr aber zu.

Seine Großmutter musste nun durch den eingeatmeten Staub niesen und durch ihre Nasenlöcher kamen die beiden Lichter herausgeschossen, die wieder in den Augen des Schattens verschwanden. Als der junge Wolf sich traute, den Kopf wieder zu heben, sah er, dass die Augen seiner Tante wieder wie gewohnt aussahen und er bemerkte die Verwirrung darin. Scheinbar hatte sie nichts mitgekriegt. Als der Blick von Sand den seinen traf, wedelte er vorsichtig mit der Rute, ehe er den Kopf zu seinem Gegner wandte. Irritiert neigte die Wölfin ihren Kopf in die gleiche Richtung wie ihr Neffe.

Nur um sich Auge in Auge mit dem Schatten vorzufinden. Jeder andere in ihrer Situation hätte vermutlich aufgeschrien, aber sie nicht. Verwundert war sie nicht, in ihren Gedanken war alles vorzufinden, bis zu dem Zeitpunkt, als die Nase des Schattens auf sie zugejagt war. Sie kniff kurz die Augen zusammen, als müsste sie neue Informationen verarbeiten, dann schoss sie plötzlich vor. Sie war schnell unter dem Schatten angelangt und biss ihn in den Bauch. Ein ärgerliches Fauchen ertönte, ehe ein Würgen hörbar war. Ein Schlucken folgte genauso schnell, wie das nachkommende Niesen. Mit einem Mal krampfte die Bestie sich zusammen und wurde geschüttelt. Kirous erkannte diesmal das, was kein anderer entdeckte. Der Schatten würde gleich zusammensacken und Sand erschlagen. Er sprang los und zum ersten Mal in seinem Leben wusste er genau was er tun würde und dass er es schaffen würde. Er packte die Wölfin, die das Geschehen interessiert beobachtet hatte, am Nackenfell und schleifte sie so weit weg, wie es ging. Zuerst knurrte sie wütend, hörte jedoch damit auf, als eintrat, was Kirous vorhergesehen hatte: Der Schatten fiel zusammen wie Brot ohne Hefe im Ofen. Da verstummte sie und riss sich los. Zuerst inspizierte das Ganze erstmals aus der Ferne, ehe sie vorsichtig einen Schritt nähertrat, bereit, sich mit einem Sprung in Sicherheit zu bringen. Als weiterhin nichts passierte, hob sie ihre eine Vorderpfote und stupste einmal gegen das Monster. Sie beschnupperte es von allen Seiten, zog leicht an den Pfoten und grollte ihm ins aufgeklappte Ohr. Dann drehte sie sich um und verkündete: »Es ist tot!« Alle noch Anwesenden jubelten, verstummten jedoch, als die Stimme von Weide erklang und fragte: »Ähm, und wie kommt das Viech jetzt weg? Oder bleibt das hier einfach liegen?« Nun war Sand am Nachdenken. Die Frage war berechtigt und logisch, was beides Ideale waren, die Sand vertrat und trotzdem wusste sie keine Antwort. »Nun ja, ich denke mal wir müssen es... selbst wegbringen?« Es klang, wie eine Frage und diesmal war es Reh, die sich leise zu Wort meldete: »Wir könnten alle zusammen, also das ganze Rudel, das äh, Ding in die Todesschlucht schubsen.« Verblüfft über diesen sinnvollen und logischen Vorschlag von der jungen Wölfin, blickte Sand sie an, ehe sie langsam nickte. »Ich denke, das könnte gehen.«

Als sie das beschlossen hatten, gingen sie Richtung Lager, in ihr Zuhause, das nun wieder sicher war. 

                                                                 °♪ °

~ 1474 Wörter

~ 1474 Wörter

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.


From Wolf to WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt