Ein Bild über einen Schatten, der am Boden lag und offensichtlich gerade starb, war zu sehen. Erneut stand dort etwas und erneut wusste Kirous nicht was es hieß, aber vorlesen konnte man ja immer. »die Befrayg?« Fragend sah der Wolf seine Tante an und konnte an ihrem Blick erkennen, dass sie es einfach nur unnötig fand, dass er diese Frage überhaupt stellen musste. »Das heißt die Befreiung!« bellte sie arrogant. »Von was die Befreiung?« Wollte Kirous wissen und das war der Moment, in dem Sand ihn ansah, als würde sie ernsthaft daran zweifeln, dass dieser junge Wolf ihr Neffe war. Genervt seufzte sie auf und wartete noch einen Moment. Als Kirous sie immer noch fragend ansah, wandte sie sich ab und untersuchte die Bilder weiter. Dabei erklärte sie es ihm. »Die Befreiung von - JA!« noch verwirrter als vorher, legte der junge Wolf nun auch den Kopf schief. »Bitte was?«, erkundigte er sich, doch seine Tante ignorierte ihn. Stattdessen schnupperte sie an den Abbildungen. Nun sah er sie an, als hätte sie Federn im Hirn. Doch sie ignorierte ihn weiterhin.
Mit einem Mal fauchte Sand: »Bitte Was?!« Sie schnupperte nochmal und nochmal. Nach dem sie das noch ein paar Mal wiederholt hatte, hörte sie endlich auf. Stattdessen sprang sie nun vom Felsen und kratzte sich hinterm Ohr. Dass sie das im Stehen schaffte, fand Kirous insgeheim bewundernswert. Denn diese Tatsache verdankte sie ihren langen Beinen. Er selber musste sich dafür immer hinsetzen und selbst dann kam er nur halbwegs gut an die Stelle, an der es kratzte. Schließlich fiel der älteren Wölfin auf, dass sie ihrem Neffen vielleicht, möglicherweise, erklären sollte, was los war. Das tat sie aber nicht. Vorerst nicht. Sie war einfach noch zu verwirrt und irgendwie...enttäuscht. Erst als Kirous sich räusperte und gerade ansetzen wollte, zu einer mehr oder wenigen entschlossenen Tirade, dass sie ihm doch mal erklären solle, was los sei, fing sie an:
»Es gibt eine Pflanze, die der Schatten fressen muss, damit er stirbt.«,
Sand beließ es erst mal bei dem Satz und wartete genauso lange mit ihrem Fortfahren von eben diesem, wie Kirous auch wartete. Der Jungwolf wollte wieder losmeckern, doch er ließ es, denn er hätte es spätestens bei einem strengen Blick von der sandfarbenen Wölfin eingestellt. Mit ihren grauen Strähnchen im Fell, die an jedem anderen komisch ausgesehen hätten, ihr aber eine gewisse Autorität verliehen und ihrer Stimme die keinen Wiederspruch zuließ, wirkte sie wie eine energische, disziplinierte, aber auch weise Wölfin. Was sie ohne Zweifel auch war.
»Wa-« fing Kirous also an, mit der Absicht blaffend klingen (tat er aber nicht). Doch die erfahrene Jägerin unterbrach ihn und fing endlich an zu erklären:
»Es gibt eine Pflanze, die Aurikel. Sie muss der Schatten fressen, damit er umkommt. Diese Pflanze gibt es zu tausenden, im Frühling wachsen sie überall. Den Schatten dazu zu bringen, etwas zu verschlingen, ist nicht schwer, dazu brauchen wir ein paar Zweige der Latschenkiefer, eine Unterart der Bergkiefer. Auch die ist nicht schwer aufzutreiben. Irgendwie enttäuschend, dass es so einfach ist, oder?«
Der Welpe ihrer Schwester sah sie an, als fragte er sich, wieso sie enttäuscht war, dass es einfacher war als gedacht. In seiner Vorstellung war das Rudel von der ganzen Geschichte zu überzeugen zwar schwer, aber nichts dagegen, dieses Viech zu besiegen. Nun aber wendeten sich sein Gedanken um 361°. Plötzlich gab es die Chance, dass alles zu schaffen. Ihm war irgendwie nach Tanzen zumute, aber dann hätte Sand sicher eine Krise gekriegt. Er kannte sie jetzt lange genug, um zu wissen, dass sie nicht unbedingt der spontane, flexible oder eben tanzende Typ war. Dies wollte Kirous so und genauso ihr sagen (dass es doch nun nur noch das Rudel zu überzeugen galt, natürlich und nicht, dass sie nicht wirklich jemand war, der tanzte), doch er sagte es anders als gedacht. »Jetzt müssen wir aber noch die anderen überzeugen, vergiss dass nicht!« Da ärgerte er sich sehr, denn er musste sich eingestehen, dass er nicht genug Mut hatte, um zu riskieren, dass er Sands Zorn auf sich zog oder sich gar mit ihr stritt. So kam es, dass die Gedanken, die er zu Wörtern und Sätzen verweben wollte, Gedanken blieben.
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From Wolf to Wolf
Fantasy»Verflucht seit ihr, möget ihr diesen Fluch von Generation zu Generation weitergeben und das für alle Ewigkeit!«. ❁❁❁ Kirous ist ein junger Wolf, der als Welpe ihm Wald gefunden wurde. Jetzt lebt er glücklich bei einem Wolfsrudel in den Bergen. Doch...