Chapter 10: Where the angles fly

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Stumm standen sie voreinander vor der Haustüre und sagten kein Wort, bis Fionn beschloss etwas unternehmen zu müssen. Er stellte sich vor Nellio, der immer noch auf den Boden sah, und legte vorsichtig seine Hand auf dessen Oberarm. Nellio erschrak, aber nicht so heftig, wie die letzten Male.

"Hey", sagte Fionn leise, legte seine Finger unter Nellios Kinn und drückte es hoch, damit er ihn ansah. In Nellios Blick lag Anspannung und auch ein wenig Angst, während Fionn sorgend sein blasses Gesicht musterte.

"Willst du darüber reden?", fragte Fionn.

Nellio schüttelte den Kopf.

"Okay", antwortete Fionn verständnisvoll, legte seine Hand auf Nellios Wange und strich mit seinem Daumen sanft über seinen Wangenknochen. "Aber ich bin für dich da, wenn du es dir anders überlegst", versicherte der Blonde und Nellio nickte erneut zaghaft.

Sie sahen sich für einen kurzen Augenblick nur an, bevor Nellio das Wort ergriff: "Ich will hier weg". Seine Stimme klang kratzig und leise. Als hätte es ihm viel Kraft abverlangt jetzt etwas zu sagen.

Fionn nickte, strich noch einmal über Nellios Wange, bevor er ihn los lies.

Nellio versuchte sich an einem zittrigem Lächeln, bevor er die durchwachsene Einfahrt entlangging. Fionn folgte ihm lautlos die Straße entlang, bis die Wohnsiedlung zu Ende war und ein kleiner Wald daran angrenzte.
Sie gingen einen schmalen Trampelpfad entlang und kamen an eine kleine Lichtung. Das grüne Gras war knöchelhoch, die Sonne schien zwischen den Bäumen hindurch und warf alles in ein angenehmes Licht. Der Wind strich durch die Bäume und erzeugte ein beruhigendes Rauschen. Es war wirklich schön hier.

Nellio lies sich mitten im Gras nieder, kramte mit seinen zittrigen Fingern in seiner Jackentasche und zog eine kleine Blechbüchse und ein Feuerzeug heraus.

Er öffnete die Büchse und holte ein komisches Papier heraus. Aus einem kleinen Plastiktütchen holte er eine getrocknete Pflanze und zerbröselte sie auf dem Papier. In der Blechbüchse war eine Art braunes Pulver, das er auf die zerbröselte Pflanze streute.
Als letztes legte an ein Ende ein kleines Röllchen und drehte das Papier umständlich um das Röllchen und die getrockneten Pflanzen. Er leckte der länge nach über den abstehenden Streifen des Papiers, damit es pappen blieb.

Fionn war sich ziemlich sicher, dass er Nellio gerade dabei zugesehen hatte, wie er sich einen Joint drehte.

Nellio steckte sich das Stäbchen zwischen die Lippen und zündete das äußere Ende an. Er zog kräftig an dem Dübel, behielt den Rauch für ein paar Sekunden in der Lunge und blies ihn langsam wieder aus. Man sah ihn an, dass er sich durch die Wirkung des Cannabis beruhigte und sein Körper an Anspannung verlor.

Nellio nahm noch einen Zug und lies sich in das weiche Gras zurücksinken.

"Leg dich doch dazu", vorderte Nellio den Blonden auf, der bis jetzt völlig unbeholfen dastand.

Zögernd näherte sich Fionn, legte sich neben Nellio und sah sich die Wolken an, die schnell am Himmel vorbeizogen.

Nellio nahm erneut einen Zug seines Joints und blies den Rauch hoch in die Luft. Er zeigte hoch in den Himmel auf eine Wolke. "Die sieht aus, wie ein Arsch", stellte er fest.

Fionn lachte und war gleichzeitig erleichtert, dass es Nellio scheinbar wieder besser ging.

Der Blonde deutete ebenfalls in den Himmel, während Nellio einen weiteren Zug von seinem Dübel inhalierte.

"Die sieht aus wie ein schiefer Christbaum".

Nellio sah verwirrt zu ihm rüber. "Ich dachte, ihr habt keinen Christbaum, sondern so einen Kerzenständer".

Fionn schmunzelte. "Wir feiern auch nicht Heiligabend. Wir haben Chanukka, das Lichterfest, um die Zeit wenn ihr Weihnachten feiert", erklärte er.

Nellio sah zurück in den Himmel und schien sich jetzt wieder daran zu erinnern. "Stimmt".
Fionn hatte schon als Kind Nellio über die jüdischen Feste und Bräuche aufgeklärt.

Nellio zog wieder an seinem Joint. "Kuck Mal, die hat die Form von einer fetten Katze", sagte Nellio und blies währenddessen den Rauch aus.

Fionn erkannte die Wolke, die sein kiffender Freund meinte und lachte. "Die hat aber ganz schön lange Ohren".

Nellio schüttelte den Kopf. "Das sind die Schnurrhaare, nicht die Ohren. Du musst sie andersrum sehen".

Fionn konzentrierte sich auf die Wolke und erkannte tatsächlich die fette Katze mit den Schnurrhaaren auch aus einem andern Blickwinkel.

Nellio deutete auf eine graue Wolke, die eine undefinierbare Form hatte.
"Die sieht aus wie ich mich fühle. Grau, kalt, durcheinander".
Fionn war sich bewusst, dass Nellio ihm das womöglich nicht so einfach mitgeteilt hätte, wenn er nicht schon den halben Joint in so kurzer Zeit weggedampft hätte.

"Weißt du", begann er wieder zu erzählen, während beide die Wolke ansahen. "Du hast mich vorhin eigentlich so ziemlich gerettet. Ich hätte mit Sicherheit noch länger im Keller sitzen müssen, wenn du mich nicht abgeholt hättest".

"Du warst im Keller?", hakte Fionn nach.

Nellio nickte.

"Warum?", fragte der Blonde.

Nellio zuckte mit den Schultern.
"Meine Mom sperrt mich da manchmal ein, wenn ich ihr zufällig über den Weg laufe".

Fionn sah leicht geschockt zu ihm rüber und erkannte, wie Nellio gerade wieder seine Lippen um den Dübel schloss und genüsslich einatmete.

"Einfach so?", wollte Fionn wissen.

"Einfach so", bestätigte Nellio. "Obwohl, ich glaube sie macht das, weil sie mich aus dem Weg haben will, damit sie sich in aller Ruhe oben den Verstand raus saufen und raus vöglen lassen kann".
Nellio machte eine kurze Pause, in der er zu überlegen schien, bevor er weiter redete: "Ich glaube, sie weiß nicht, wie es da unten, im Keller so ist. Mal ganz abgesehen von der Kälte und davon, dass man so ziemlich alles hören kann, was oben passiert. Man fühlt sich zurückgelassen, alleine, fast schon einsam. Es kommt einem so vor, als wäre man keinem mehr wichtig".

Zwischendrin nahm er einen ermutigenden Zug von seinem Joint.
"Aber am aller schlimmsten sind die Typen, die sie immer mitbringt. Die meisten bekommen es mit, wenn sie mich in den Keller abschiebt. Es ist vielleicht noch nicht so oft passiert, aber die paar Mal reichen, in denen diese dreckigen Männer zu mir runtergekommen sind und mich auch anfassen wollten".

Fionn blieb kurz das Herz stehen. Er hatte ja keine Ahnung, was sein ehemaliger bester Freund alles aushalten musste.

Er stützte sich auf seine Ellenbogen auf und sah ihn erschrocken und sorgend an. "Nelli, wurdest du missbraucht?", fragte er ernst, aber vorsichtig.

Nellio schüttelte den Kopf. "Er hat die Kellertür offengelassen, ich konnte mich losreißen und wegrennen. Und das andere Mal habe ich ihm so fest in die Eier getreten, dass er von selbst wieder abgezogen ist, nachdem er mir noch eine Ohrfeige mitgegeben hat".

Ein wenig erleichtert war Fionn, aber trotzdem geschockt. Nellio hatte schon zwei versuchte, schwere sexuelle Übergriffe hinter sich und das im Alter von siebzehn Jahren.
Fionn konnte sich gar nicht ausmalen, was für seelische Schmerzen Nellio erlitten haben musste.

Fionn wusste nicht, was er sagen sollte außer: "Es tut mir so leid".

Nellio nahm einen kurzen Zug von dem Stäbchen zwischen seinen Fingern und meinte: "Du kannst nichts dafür".

"Aber ich hätte für dich da sein müssen", warf sich der Blonde vor.

Nellio zuckte mit den Schultern.
"Die beiden Male sind zwar schon eine Weile her, aber ich habe immer noch Panik, wenn ich im Keller bin oder große Männer mit schwarzen,a kurzen Haaren und einer Totenkopftätowierung am Arm sehe. Ich habe noch immer Albträume und kann manchmal seine ekligen Hände an mit spüren, wie er mich begrabschen und ausziehen wollte. Also kannst du theoretisch immer noch für mich da sein".

Und in dem Moment schwor sich Fionn für Nellio immer da zu sein, und zwar egal was kommen würde und so lange, bis einer von ihnen unter der Erde lag.

Come as you are (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt