Chapter 9: Free

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Fionn machte sich Sorgen. Was hieß Sorgen? Er war eher angepisst.
Nellio und er waren heute zum Training verabredet, doch er kam nicht.
Fionn war ja schon gewohnt, dass Nellio zu spät war, aber es waren schon fast eine Stunde vergangen.

Was tat jemand wie Nellio an einem Samstagvormittag? Wahrscheinlich im Bett liegen, Nirvana hören und genüsslich an einem Joint ziehen. Fionn verdrehte die Augen bei der Vorstellung daran.

Er ging gerade die Einfahrt zu Nellios Haus rein.
Der Rasen im Vorgarten sah so aus, als wäre er seit Ewigkeiten nicht mehr gemäht worden, der Zaun sah morsch aus und war hier und da sogar ein wenig kaputt.
Fionn hatte das Haus noch anders in Erinnerung. Früher war alles immer ziemlich gepflegt und geordnet, doch jetzt schien davon nichts mehr übrig zu sein.

Fionn ließ sich davon jedoch nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er war der festen Überzeugung, dass Nellio ihr Treffen vergessen hatte und er würde definitiv dafür eine Ansage von dem stolzen Teamkapitän kassieren.
Das Spiel nächste Woche rückte immer näher, sie hatten so gut wie keine Zeit mehr. Nellio musste in top Form sein.

Sie würden zwar auch gewinnen, wenn Nellio nur durchschnittlich gut spielen könnte, aber Fionn wusste, dass mehr in ihm steckte. Und irgendwie mochte er seine Gesellschaft sehr.
Andererseits (was womöglich genau die Seite war, die er sich nicht eingestehen wollte) war er enttäuscht, dass Nellio ihr Treffen so unwichtig war, dass er es einfach vergaß. Fionn wusste nicht genau warum, aber, auf eine komische Art und Weiße, wollte er so viel Zeit wie möglich mit Nellio verbringen und es machte ihn mehr zu schaffen, als ihm lieb war, dass Nellio offensichtlich nicht dasselbe Bedürfnis empfand.

Vor der Haustür blieb er stehen und klingelte. Erst rührte sich nichts. Doch dann vernahm er ein Geräusch, als würde jemand auf die Türe zusteuern, stolpern und an die Kommode fallen.

"Schieße", fluchte die raue, weibliche Stimme. "Dummes Teil".

Schwungvoll öffnete sich die Türe und eine Frau stand dahinter. Sie trug einen rosaroten Bademantel, ihre braunen Haare waren ganz verzottelt. Ihr Gesicht war blass und etwas eingefallen, was sie älter wirken ließ, als sie es war.

Unhöflich sah sie Fionn an, schien ihn gar nicht zu erkennen, dabei hatte sie sich früher immer so über seinen Besuch gefreut.

"Was?", wollte Nellios Mom wissen. Ihr Atem stank nach billigem Wein.

"Ich ähm.... Ist Nellio da?", fragte Fionn unsicher und trat unbewusst einen Schritt von der Frau zurück.

Sie verzog fragend das Gesicht.
"Wer?", wollte sie wissen, als hätte sie keine Ahnung wer diesen Namen trug.

"Nellio", wiederholte Fionn und fühlte sich ziemlich unwohl.

Die Frau überlegte kurz, aber dann ging ihr ein Licht auf und sie murmelte: "Ah das kleine Miststück".

Sie ließ die Tür offen stehen und ging den Flur zurück.
Fionn sah in das Haus. Es sah noch genauso aus, wie früher. Nur hingen jetzt keine Familienfotos mehr an den Wänden, es war weniger sauber und diverse Alkoholflaschen oder Dosen lagen überall am Rand. Fionn schluckte hart. Es schockierte ihn unter welchen Bedingungen sein ehemaliger bester Freund leben musste.

Nellios Mutter hielt vor einer hölzernen Tür, öffnete sie mit viel Schwung und rief: "Du hast Besuch".

Eine Zeit lang tat sich nichts, bis sie drohte: "Jetzt komm hoch, du dreckige Kröte, oder ich mache die Tür zu und öffne sie erst morgen wieder.

Nun hörte man ein Geräusch, das so klang, als würde jemand eine Steintreppe hochschlürfen. Und dann trat er aus der Tür. Nellio. Doch als er sich in Richtung Haustür drehte blieb Fionn der Atem im Hals stecken.
Nellio sah total fertig aus. Er hatte tiefe Schatten unter den Augen, als hätte er die letzte Nacht kein Auge zubekommen, er war total blass und sah kraftlos aus, auch wenn er sehr angespannt wirkte.

Seine Hände auf den jeweils gegenüberliegenden Oberarm gelegt und den Blick auf den Boden gesenkt ging er auf Fionn zu.
Nellio war noch nicht aufgefallen, wer da in der Tür stand. Er sah gerade eher so aus, als stünde er kurz vor einem kleinen bis mittelgroßen Zusammenbruch.

Seine Mutter gab ihm einen kräftigen Schlag an den Hinterkopf, um ihn zum schneller gehen zu alarmieren. Nellio kniff die Augen zusammen, als er den Schlag spürte, und beschleunigte sogleich sein Tempo.
Seine Mutter verbarg nichtmahl, wie schlecht sie ihren Sohn behandelte. Sie tat es so, als wäre es ganz selbstverständlich.

Nellio blieb vor der Tür stehen und wagte es das erste Mal hochzuschielen, wer denn sein Besuch war. Als er Fionn sah, schienen seine Schultern ein wenig entspannter zu wirken, jedoch glitt sein Blick sofort wieder zu Boden.

Eine Zeit lang starrte Fionn erschüttert Nellio an, der keine Anstalten machte etwas zu sagen oder zu machen.

"Was ist jetzt, hm?", wollte Nellios Mutter patzig von Fionn wissen.

Dieser brauchte noch eine Sekunde, um sich wieder einigermaßen zu sammeln und sagte dann: "Wir waren jetzt eigentlich zum Basketballtraining verabredet". Seine Stimme klang leicht angeschlagen vom Schreck.

Die Frau lachte auf, was eher so klang, als würde eine böser Drache niesen.
"Ich dachte er spielt kein Basketball mehr. Er hat sich doch Mal etwas gebrochen, oder so". Sie suchte nach dem richtigen Körperteil. "Der Arm, glaube ich. War auf allerfälle Schweine teuer".
Sie legte Nellio grob die Hand auf die Schulter, was ihn zusammenzucken ließ. "Aber was macht man nicht alles für sein Kind, selbst wenn es noch so ungewollt ist".
Sie hielt es wohl für lustig, Fionn nicht. Er wollte Nellio am liebsten in den Arm nehmen und ihn irgendwo ganz weit weg von diesem Ort, von dieser Frau bringen.

"Ich ähm- Wir sollten am besten gleich anfangen. Also mit dem Training, sonst werden wir heute nicht mehr fertig", bestimmte Fionn, jedoch war das natürlich bloß ein Vorwand, um Nellio aus diesem Loch zu befreien.

"Jaja, nimm ihn nur mit, dann muss ich ihn wenigstens nicht durchfüttern", meinte die Frau, als wäre sie ganz froh, dass ihr Sohn jetzt dann weg war.

Stumm griff Nellio nach seiner Jacke, die neben ihm in der Garderobe hing. Man sah, wie er zitterte, als er die Hand ausstreckte, die Jacke vom Haken fischte und fest an sich drückte. Schuhe schienen ihn eher weniger zu interessieren, denn er spazierte einfach in Socken aus der Tür. Sobald er draußen war, schlug seine Mutter ohne ein weiteres Wort die Tür hinter ihm zu.

Come as you are (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt