《1.1》

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Nikul | 1.1  

Die Mittagssonne sank beständig und die unerträgliche Hitze des Hochsommers ließ die Arbeiter im Walston Forest schweißgebadet in die Mittagspause gehen. Nikul trug wie alle Holzfäller ein rot kariertes Hemd aus leichtem Stoff und eine braune Stoffhose. Seine mit Stahlkappen versehenen schwarzen Arbeitsschuhe ließen die Zweige und Äste unter seinen Füßen zerbrechen, während er abseits der anderen Männer Richtung Muya schlenderte. Das Karo-Hemd war nass von Schweiß und er konnte seinen eigenen Gestank riechen.

Nachdem er seit Sonnenaufgang mit zwanzig weiteren Kollegen Bäume gefällt und zersägt hatte, schmerzte jeder Muskel. Zwei Monate hatte er im Arbeitslager eines unbekannten Forstunternehmens aus Muya geschuftet. Auch wenn die harte Arbeit ihm immer noch alles abverlangte, hatte sein Körper sich mittlerweile daran gewöhnt. Nikuls tiefschwarzes, inzwischen fast schulterlanges Haar, wehte im Wind. Böen, die durch den Wald peitschten, erzeugten ein Orchester von rauschenden Blättern und sich biegenden Ästen. Das Einzige, was die Arbeit in diesem Forst erträglich machte.

Nach einem kurzen Fußweg, Nikul hatte schon seit einer Ewigkeit aufgehört, sich für die Zeit zu interessieren, erreichten Sie das Dörfchen Muya.

Es hatte nichts zu bieten und beherbergte weniger als fünfhundert Seelen, wirkte jedoch idyllisch. Kleine Holzhäuser mit flachen Dächern umgaben den kaum belebten Marktplatz. Heute boten zwei reisende Händler, die für einen Tag in dem Dörfchen rasteten, ihre Waren feil. Der junge Mann folgte dem Kiesweg etwa zehn Meter hinter dem Rest. Er wollte nicht mit ihnen sprechen oder Freundschaften knüpfen. Und auch sonst mit niemandem. Nikul interessierte sich für keinen hier und war dankbar, wenn ihm dies erwidert wurde. Einsam und abgeschieden sein war in einem so kleinen Dorf, in dem jeder jeden kannte, gar nicht leicht. Aber seine mürrische und abweisende Art machten ihn mittlerweile erfolgreich zum Außenseiter.

Er erlaubte sich einen flüchtigen Blick auf die Waren der reisenden Händler und ihre Gesichter. Sie hatten sich für ihren kurzen Zwischenstopp kaum Mühe gemacht, ihre Stände aufzubauen. Nur einen Bruchteil ihrer Waren war auf einem großen zusammenklappbaren Holztisch mit roten Decken ausgelegt. Küchenzubehör wie Bratpfannen und Töpfe, ein paar Gewürze aus der Hauptstadt, Jagdmesser.

Nikul merkte, dass die Händler ihn eingehend musterten und kurz davor waren, ihn anzusprechen, um die Waren anzupreisen. Er konnte es den beiden nicht verdenken, da sie in dieser Gegend heute sicherlich keine gewinnbringenden Geschäfte tätigten. Sein Kopf senkte sich trotzdem sofort zu Boden und der langsame Gang wurde deutlich beschleunigt, um ihren Blicken zu entkommen. Ein Gefühl von Unsicherheit und Panik breitete sich aus. Erkannte man Nikul? Waren dies gewöhnliche reisende Händler?

Der junge Mann, von außen betrachtet höchstens Anfang zwanzig, hat sich in den zwei Monaten seiner Arbeit hier gewaltig verändert. Der leicht braune, für seine Verhältnisse schon starke Teint war überhaupt nicht mehr mit dem blassen alten ich zu vergleichen. Er war ungepflegt und hatte keine Erinnerung an seine letzte Rasur. Nein – er würgte die Panik ab und riss sich zusammen. Hier würde ihn niemand finden.

Vor den Händlern flüchtend hatte er die Gruppe lachender Arbeiter schon fast eingeholt und wurde wieder langsamer. Sie versüßten sich das trostlose Leben hier mit derben Witzen, Alkohol und dem gelegentlichen Besuch von Wanderhuren. Mehr hatte dieser Ort für sie nicht zu bieten.

Die Gruppe teilte sich auf, denn das Unternehmen stellte den Arbeitern zwei Wohngebäude mit jeweils 16 Betten zur Verfügung. Die meisten würden sich etwas erfrischen und hinlegen oder Karten spielen, um ihre Kräfte für den zweiten Teil der Arbeit zu erholen.

Nikul kümmerte sich nicht um Kartenspiele und Wanderhuren. Der billige Whiskey, den der Gastwirt der einzigen Schänke im Dorf eigenhändig im Keller zubereitete, wurde für den schwarzhaarigen Mann allerdings zum treuen und vertrauenswürdigen Begleiter.

Sein Weg führte ihn schnurstracks zum Wirtshaus. Das Gebäude war, wie jedes andere im Dorf, aus Holz und hatte zwei Etagen sowie einen Keller. Im zweiten Geschoss hatte der Wirt fünf Gästezimmer, um Reisenden und Händlern eine Unterkunft zu bieten. Direkt neben dem Gasthaus befand sich ein Stall, der ebenfalls dem Schankwirt gehörte und in dem momentan vier von zehn Boxen mit Pferden belegt waren.

Die anmutigen schwarzen Pferde waren nach dem Königreich benannt und ungewöhnlich kostbar für diesen Ort. Entweder sie gehörten den reisenden Händlern am Markt oder Gästen des Wirts. Nikul hatte sie weder heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit, noch an einem der letzten Tage gesehen. Furcht schnürte ihm wieder die Kehle ab und die Nervosität ersetzte den bereits eingetrockneten, durch die Arbeit in der Sonne entstandenen Schweiß auf seiner Haut, durch Angstschweiß.

Solche Hengste wurden von Lords, reichen Händlern und Kriegern genutzt. Die zwei Gestalten auf dem Markt schienen kaum so erfolgreich zu sein, dass sie sich diese Art von Tier leisteten. Wie zur Bestätigung gab der Größere der beiden ein lautes Wiehern von sich und musterte ihn.

Die topasfarbenen Augen des Hengstes funkelten Nikul an. Es fühlte sich an, als blickten sie direkt in seine Seele und durchschauten ihn vollständig. Alles, was in ihm verborgen war und brodelte. Nikul versuchte erneut, die Gefühle, wie eine lästige Fliege abzuschütteln.

Er hielt vor dem Gasthaus inne und betrachtete die morsche wartungsbedürftige Holztür. Seine Gedanken sammelten sich und Ruhe kehrte in ihn ein – er war hier weit weg.

Niemand kann mich erkennen. Niemand wird mich erkennen.

Er wiederholte die Sätze drei Mal in seinem Kopf und betrat das Gasthaus auf der Suche nach Antworten. Eine knappe Analyse der Situation zeigte ihm zwei Möglichkeiten auf. Aus Panik sofort fliehen und sich etwas Neues suchen, dabei würde er Aufsehen erregen. Oder erst einmal herausfinden, was es mit den nach dem Königreich Fredgar benannten Hengsten auf sich hatte. Die kurze Abwägung der Vor- und Nachteile sowie das Aufflackern von etwas Mut ließen ihn direkt an der Bar auf einem Hocker Platz nehmen.

The Fredgar Chronicles: Rise of the VodrugWo Geschichten leben. Entdecke jetzt