Nervös war Vater seit mehreren Minuten bereits hin und hergelaufen. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Es war als wäre ein Dämon in ihn gewandert. Normal war er eine immer ruhige Person. So ruhig, dass es einen manchmal nerven konnte. Ihn jetzt so unruhig zu sehen war äußerst merkwürdig. „Kommt schon stellt euch angemessen hin.", rief er uns zu. Wir standen bereits seit über fünf Minuten angemessen da. Aus Trotz machte ich einen Schritt nach vorne. Ich erntete von Vater im selben Moment einen wütenden Blick, weshalb ich mich schnell wieder richtig hinstellte. Fast auf Kommando kam er hereingeritten.
Er hatte dunkle Haare mit einigen grauen Strähnen. Sein Gesicht war ernst. Ich blickte zu Vater, der zu meiner Überraschung ein Lächeln auf den Lippen hatte. Es war kein falsches was mich nur noch mehr überraschte. Wann war wohl das letzte Mal als ich ihn lächeln sah? Ich konnte mich nicht erinnern. Dieser Anblick war mir so fremd.
„Reinhard. Es freut mich, dass du die lange Reise auf dich genommen hast." Reinhard sah zu Vater und die Beiden tauschten einen viel sagenden Blick, den ich nicht deuten konnte. Er nickte Vater zu. Spätestens jetzt war mir bewusst wie nah die Beiden sich standen. Sie brauchten keine Worte um sich zu verstehen. Wieso hatte Vater ihn nie erwähnt?
„Darf ich vorstellen, meine Söhne Andreas und Tarmin." Reinhard sah uns kurz an und widmete sich schnell wieder Vater. „Sind sie bereit?" „Natürlich. Sie werden bei Sonnenaufgang mit dir gehen." Reinhard blickte uns wieder an. „Gut ich will früh los."
Vater blickte sich nach Miss Coatwil um, die gerade an uns vorbeigehen wollte. „Miss Coatwil bereiten Sie bitte unserem Gast sein Quartier." „Sehr wohl.", antwortete die alte Dienstmagd. Sie lief schnell in Richtung Gästezimmer. Dann geschah etwas was mich noch mehr überraschte als alles Vorherige. Reinhard lief noch näher auf Vater zu und sah ihm direkt in die Augen. „Ist ewig her.", stellte Vater fest. Reinhard lächelte in Erinnerung. „Ja ich bin zum Mann geworden und du zu einem feinen Lord." Auch Vater begann zu lächeln. Die Beiden umarmten sich brüderlich.
Ich hatte Vater noch nie so innig mit einer Person gesehen. Nicht einmal Mutter. Wobei ich mich nicht mehr genug an sie erinnern konnte, da sie kurz nach meiner Geburt gestorben war.
Dieser fremde Mann behandelte Vater wie einen Bruder.
Müde liefen mein Bruder und ich auf den Markplatz. Reinhard und Vater unterhielten sich angeregt, während sie die Pferde sattelten. Als wir näher kamen konnten wir ihr Gespräch verstehen. „Und du bist dir sicher, dass sie dort sicher sind?"; fragte Manfred besorgt. „Es gibt keinen sichereren Ort in ganz Migorien. Niemand wird ahnen, dass sich die Prinzen dort aufhalten." Vater nickte immer noch besorgt. Die Beiden drehten sich zu uns um und Vater nickte uns aufmunternd zu.
„Gut. Lasst uns aufbrechen.", sagte Reinhard an Vater gerichtet. Wir alle drei stiegen auf unsere Pferde und sahen noch ein letztes Mal zu Vater, bevor wir Reinhard an einen uns unbekannten Ort folgten.
Wir waren nun schon weit geritten. Ich konnte mich nicht mehr selbst zurechtfinden und musste daher mein gesamtes Vertrauen in Reinhard stecken. Ob ich wollte oder nicht. Wir hatten während dem ganzen Ritt kein Wort gewechselt. Reinhard schien nicht gerade an einer Plauderei interessiert. Ohne ein Wort zu sagen blieb er stehen. Andreas und ihm taten ihm nach. Wenn auch mürrisch. Reinhard hatte bereits begonnen das Lager für die Nacht vorzubereiten. Dieser Mann war mir unheimlich. Er sprach nicht viel und schien auch nicht besonders viel Sympathie für uns übrig zu haben. Als wäre es natürlich, begannen auch Andreas und ich ihm eine Abneigung entgegenzubringen, die er einfach ignorierte.
„Wo bringen Sie uns hin?", versuchte ich es zum dritten Mal an diesem Tag. Reinhard schüttelte danach genervt den Kopf. Auch er verbarg seine Abneigung uns gegenüber nicht. „Hatte ich mich die letzten zwei Male nicht klar genug ausgedrückt? Ich bringe euch in Sicherheit. Alles, was ich im Gegenzug erwarte, ist Ruhe von euren Meckereien." „Wie können wir Ihnen vertrauen, wenn Sie uns nicht einmal sagen können wohin wir reiten?", mischte sich nun auch Andreas ein. Reinhard schien von Sekunde zu Sekunde genervter. „Mir ist egal ob ihr mir vertraut." Überrascht über seine Offenheit fiel mir keine Antwort ein. „Aber ihr vertraut doch eurem Vater. Und er vertraut mir.", schob er hinterher. Nun schien er tatsächlich genervt. Anstatt uns anzugreifen lief er einfach ein paar Schritte von uns fort. „Ich gehe Feuerholz sammeln!", rief er uns noch zu bevor er zwischen den Bäumen verschwand.
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Erbsünde
FantasyLuciana, Tarmin, Theriza und Victoria müssen, so wie jeder von sich denkt der rechte Thronfolger zu sein, um die Macht über Migorien kämpfen und überleben.