12.

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Luciana hatte die Nacht nicht schlafen können. Sie fror. Als sie ihr Spiegelbild in ihrem Handspeiegel erblickte erkannte sie sich kaum. Sie hatte noch immer dieselben Gesichtsmerkmale, doch etwas an ihr hatte sich verändert. Sie sah müde aus. Das kindliche war ganz aus ihren Zügen verschwunden. Eine Berührung ihrer Schulter ließ sie zusammenzucken. Sie blickte hin, doch da war nichts. Als sie sich dem Spiegel wieder zudrehte stand Lucian neben ihr. Er sah genau so aus, wie er es tat als sie ihn das Letzte mal sah. Er sah ihr unendlich ähnlich, etwas was sie erst jetzt durch den direkten Vergleich bemerkte. Besonders jetzt, da sich in ihrem Gesicht eine tiefe Trauer und Verzweiflung angesiedelt hatten, wirkte sie ihm ähnlicher dem je. Er lächelte sie an, wie er es getan hatte als sie noch Kinder waren. Kein Funken des herzlosen und hinterlistigen Menschen, den sie kurz vor seinem Tod hatte kennen gelernt. „Ich werde immer ein Teil von dir sein." Luciana schreckt aus ihrem Bett hoch.

Anne wusste schon seit Tagen, dass er kommen würde, also war es für sie nicht besonders überraschend als er ihr eines Tages gegenüberstand. Er hatte sich seit dem letzten Mal als sie sich sahen kaum verändert. „Woher wusstest du, dass ich komme?", fragte Charles, obwohl er selbst die Antwort schon kannte. Aus dem Grund ignorierte Anne die Frage. „Wie geht es Luciana?", fragte Charles besorgt. „Sie hat zwei ihrer Brüder verloren, also dementsprechend." „Ich muss zu ihr." Darauf nickte Anne nur. Doch als Charles an ihr vorbeilief, konnten beide spüren, dass sie sich nicht verändert hatten.

Bei Lucianas Zimmer angekommen klopfte Charles vorsichtig. Ihm wurde nicht geantwortet, doch irgendetwas verriet ihm, dass sie da war. Vorsichtig öffnete er die Tür. Wie erwartet war sie da. Sie saß an ihrem Schreibtisch und schien zu arbeiten. „Charles. Wie schön, dass du da bist.", empfing sie ihn, ohne sich nach ihm umzusehen. Er wollte fragen, woher sie wusste, dass er es war, schwieg aber sicherheitshalber. „Niemand sonst würde es wagen, ohne ein Herein mein Zimmer zu betreten.", beantwortete Luciana Charles unausgesprochene Frage. Charles musste lachen. „Ja. Da hast du Recht." Dann erst blickte sich Luciana zu ihm um. In ihren Augen hatte er sich kaum verändert. Charles jedoch fielen die dunklen Augenringe und die blasse Haut Lucianas auf. Sie darauf anzusprechen, könnte sie als Kränkung auffassen und so schwieg er. Stattdessen setzte er sich auf ihr Bett und sah sie abwartend an. „Und?" „Und?", wiederholte Luciana. „Wir haben uns seit über drei Jahren nicht gesehen. Du musst mir alles genau erzählen." „Hat dich Anne nicht auf dem Laufenden gehalten?", fragte Luciana amüsiert. „Doch. Aber du weißt ja, wie das ist mit Geschwistern. Sie erzählen einem nur die Aspekte, die sie für interessant empfinden." Dabei musste Luciana lachen. Sie konnte sich so gut vorstellen, wie Anne ihrem Bruder einen Brief schrieb, in dem sie nur über unwichtige Dinge schrieb. So war Anne nun mal. Also begann Luciana Charles alles zu erzählen.

Tarmin hatte Angst etwas Wichtiges zu vergessen. Er konnte sich nicht sicher sein, ob er je wieder zurückkehren würde. Noch einmal sah er durch seine Sachen. Ein Klopfen an der Tür ließ ihn sich von seinen Sachen abwenden. Reinhard streckte seinen Kopf durch die Tür und als er sah, dass Tarmin am Packen war, kam er rein. „Wann bist du fertig?" „Gleich." „Gut, denn dein Vater ist kein besonders geduldiger Mensch." Tarmin entschied sich dieselbe Frage, die er ihm schon mal gestellt hatte, erneut zu fragen. „Reinhard? Woher kennst du eigentlich meinen Vater?" Während er das letzte Mal auf die Frage in eine Abwehrhaltung gegangen war, lachte er dieses Mal nur. „Wieso fragst du mich das jetzt?" „Ich weiß, dass Vater dir vertraut und er vertraut nicht vielen Menschen also war ich neugierig." Reinhard schien zu überlegen. „Ich kenne ihn von Strì. Ich habe ihn beim Kämpfen kennen gelernt. Wir konnten uns erst nicht leiden, wurden dann aber unzertrennlich. Aber dann hat dein Vater deine Mutter geheiratet und ich habe ihn jahrelang nicht mehr gesehen. Erst nach ihrem Tod hat er mich wieder angeschrieben. Und dann bat er mich darum euch zu beschützen." Tarmin konnte sich langsam ein Bild von ihm machen. Er war anders als er erst gedacht hatte. Auch wenn er den meisten Menschen gegenüber eher abweisend und sogar herablassend war, schien er seiner Familie gegenüber, einen Schwachpunkt zu haben. Reinhard hatte noch nie etwas Herabwürdigendes über seinen Vater gesagt. Tarmin fand das ein wenig merkwürdig, da es quasi Reinhards ganze Persönlichkeit war andere Leute zu kritisieren.

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